„Die Presse" hatte recht: Wir zahlen für Koalitionspfusch

Ärgerlich ist, wenn man kommen sieht, was kommen wird. Das Budgetloch war in dieser Zeitung schon vor der Wahl zu besichtigen.

In der September-„Spiegelschrift" ermunterte ich die Leser und Leserinnen, ihr Leibblatt einem Qualitätstest zu unterziehen: „Presse"-Seiten aufzubewahren und nach der Nationalratswahl zu beurteilen, wer glaubwürdiger gewesen ist - die Politiker oder die Zeitung.

Diese hat nämlich durch ihre Berichterstattung indirekt auch ein Tagebuch aller Wahlversprechen geführt. Was ist von Bundeskanzler Werner Faymanns Behauptung in einem „Presse"-Interview geblieben: „Ein Sparpaket schließe ich aus"? Nichts außer einem geschönten 24-Milliarden-Euro-Loch.

„In Wahrheit droht uns ein Sparpaket", hat die Zeitung schon damals behauptet, nachträglich bestätigt sie: „Budgetschwindel fällt Koalition auf den Kopf". Nicht in allen Medien kommt das so deutlich heraus, und manche schieben die Schuld an der Misere bereits auf Wirtschaftsexperten. Ich halte mich sicherheitshalber an die „Presse", sie hat auch in den heißen Wahlkampfwochen nicht geflunkert. Merkwürdig ist höchstens, wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer in fast allen Medien und zumeist auch in der „Presse" relativ ungeschoren davonkommt, obwohl er in Bezug auf Budgetlöcher und Reformstaus eine ähnlich fatale Rolle spielt wie der schwarze Gewerkschaftsführer Fritz Neugebauer bei Lehrern und Beamten.

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Der kritische Kurs der „Presse" in der Budgetfrage schließt nicht aus, dass sie lustvoll Millionen und Milliarden verwechselt, meist so augenscheinlich, dass man es gleich merkt. Die Neuverschuldung in der gesamten Eurozone machte im Vorjahr 350 Milliarden Euro aus. „2009 betrug sie noch 566 Millionen." Nein, auch damals waren es schon Milliarden (23. 11.).

Der Tausenderpunkt fällt, wohin er will. Die Nationalbank-Tochter Münze Österreich habe „Provisionen von insgesamt 536.000 Millionen Euro gezahlt" (31. 10.). Das wären also 536 Milliarden Euro, so viel liegt für Schmiergeldzahlungen nicht bereit. Auch mit anderen Daten geht die Zeitung wenig wählerisch um, gibt sie doch die Dichte der Erdmasse mit ca. 5,5 Gramm pro Kubikmeter an. Ein Kubikmeter Erde soll fünf Gramm wiegen? Das tut schon ein Kubikzentimeter.
„Eine sieben Meter hohe Aschewolke" eines indonesischen Vulkans habe Menschen in die Flucht gejagt (4. 11.). Allein schon das Foto der Wolke lässt erkennen, dass es sich nicht bloß um ein paar Meter gehandelt haben kann.

„Die Presse am Sonntag" widmet nahezu zwei Seiten dem „Letzten Fleischhauer Wiens" (3. 11.). Er schlachtet die Tiere noch selbst, „seine Kundschaft weiß das zu schätzen". Die Reportage ist ausgezeichnet, ja sogar - soweit das mit diesem Thema vereinbar ist - hingebungsvoll geschrieben.

Ist es ungerecht, jetzt herumzumäkeln? Es muss sein, auch „Die Presse" hat eine Kundschaft, und diese schätzt es nicht, wenn ihr in einem Artikel eine Basisinformation vorenthalten wird. Wo ist der Betrieb zu finden? Liesing ist ganz schön groß, wenn man dort einen bestimmten Fleischhauer sucht.

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Etlichen Lesern fällt auf, dass die Zeitenfolge lax gehandhabt wird. „Im Sommer fuhr er mit seinen Eltern nach Ungarn, wo sein Vater geboren wurde" (9. 11.). Da könnte man fragen, ob er zur Geburt seines Vaters rechtzeitig angekommen ist? Ähnlich: „Am Wochenende wurde bekannt, dass Nurman 80-jährig an Lungenkrebs verstarb" (29. 10.). Die Reduzierung des Lateinunterrichts bleibt offenbar nicht folgenlos. Gebildete Römer waren mit ihrer Consecutio Temporum im Ausdruck präziser.

EU-Kommissionspräsident Barroso mahnt „die Regierung in Zürich" (12. 11.), aber dort ist niemand daheim. Die Schweizer Regierung hat ihren Sitz in Bern.

Das Saldo der Leistungsbilanz (14. 11.) sollte immer der Saldo sein. Er ist männlich.

Die Haare des Mädchens werden „aufwendig geflechtet" (21. 11.). Die neue Rechtschreibung stellt zwar die Wahl zwischen „aufwändig" und dem veraltenden „aufwendig" frei. Aber geflochten bleibt geflochten und nicht geflechtet.

In der Grafik „Der große Kampf ums Holz" (2. 11.) schneidet sich die Papierindustrie gleich zwei Stück in der Tortengrafik ab, wodurch die Darstellung samt Prozentsätzen fragwürdig bleibt.

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Das Tauziehen der Redakteure um die Nachrichtenhoheit scheint unerbittlich, die Dubletten häufen sich. Dass Volksschullehrer künftig in Kindergärten auftreten sollen, steht gleich zweimal auf einer Seite (14. 11.).

Die evolutionäre Kraft der Zeitung entfaltet sich im Ringen um den richtigen Buchtitel des letzten und unvollendeten Romans von Albert Camus. Im Spectrum (2. 11.) tippt man noch auf „Der letzte Mensch". „Die Presse am Sonntag" lädt tags darauf nach: „Der erste Mensch", und so stimmt er auch.

Bei Naturkatastrophen werden gern Klischeeformulierungen aus dem Instrumentenkoffer geholt. „Die Spur der Verwüstung", die der Taifun Haiyan gezogen habe, findet sich jedoch nur zweimal im Blatt, das ist auszuhalten. Dass allerdings der philippinische Delegierte bei der Klimakonferenz ebenfalls von der „Spur der Verwüstung" berichtet hat, ist unpassend und möglicherweise bloß journalistisch so wiedergegeben. Die Verwüstung allein beschreibt das Elend treffender als bloß eine Spur davon.

Weniger schlimm, sondern recht heiter muss es „in dem vor Turbulenzen strotzenden Team Stronach" zugehen.
US-Präsident Obama wirbt für seine Iran-Politik: „Im kleinen Kreis überzeugte er einen kleinen Kreis von Senatoren" (21. 11.). Man sieht, je weniger Leute dreinreden, desto besser das Ergebnis.
Wenn eine Pressemeldung der Stadt Wien nahezu 1:1 übernommen wird, kommt eine Verkündigung in Amtsdeutsch heraus: „Die Wiener Linien ziehen nicht die Option auf weitere ULF-Straßenbahnen von Siemens, sondern schreiben den Auftrag für 120 bis 150 neue Garnituren aus" (30. 10.). Gemeint ist: Für die in Betrieb befindliche Niederflurstraßenbahn gibt es keine Nachbestellungen, die Stadtwerke suchen einen Nachfolgetyp. ULF ist übrigens die Abkürzung für Ultra Low Floor - Niederflurstraßenbahn.

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Wie alt kann eine Opernsängerin sein, wenn sie sehr jung ist? Das Feuilleton umkreist diese existenzielle Frage in drei Spalten, in denen die Sängerin Valentina Nafornit? aus Moldawien in Text und Bild zu bewundern ist (12. 11.). Operndirektor Dominique Meyer habe die „blutjunge Sopranistin" entdeckt. Sie käme „recht rasch" zu prächtigen Rollen und könne nicht fassen, „wie ich es wagen konnte, in meinem Alter schon auf den großen Bühnen der Welt zu stehen".

Nahezu atemlos treibe ich die Lektüre bis zum letzten Satz voran, aber das biologische Alter des Stars wird nicht enthüllt. Jetzt hilft nur noch Wikipedia: „Valentina Nafornit? (born 1987)" steht dort. Blutjunge Opernsängerinnen sind also 25 bis 26 Jahre alt.

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