Das nordische Rezept

Österreich beklagt erneut den Geburtenrückgang. In Skandinavien zeigt man erfolgreich, was man dagegen tun kann.

Auf dem Laugavegur, der Flaniermeile Reykyavíks, werden am späten Vormittag die Parkplätze knapp – und zwar die für Kinderwagen. Denn in den Cafés sitzen die jungen Väter Islands und plaudern über die Ess- und Schlafgewohnheiten ihrer Kleinen. Mit einer Geburtenziffer von 2,04 Kindern pro Frau ist die Nordatlantik-Insel europäischer Rekordhalter, gefolgt von Norwegen, Finnland, Dänemark, Schweden und den Niederlanden. Das einkommensabhängige Kindergeld stellt sicher, dass ein Einkommen nicht vollständig wegfällt, wenn ein Paar ein Kind bekommt. In Island liegt es zurzeit bei 80 Prozent des letzten Bruttobezuges, gedeckelt bei 5000 Euro im Monat. Der geteilte Elternurlaub ermöglicht beiden Elternteilen den raschen Wiedereinstieg ins Berufsleben. In Island stehen Müttern und Vätern je drei Monate zu, weitere drei Monate können nach Belieben aufgeteilt werden. Und mit einem flächendeckenden Netz von Einrichtungen zur Kindertagesbetreuung wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich.

Höhere Frauenerwerbsquote

Auf den Hinweis der „staatlichen Bevormundung“ antwortet etwa Stefan Fölser, Volkswirt und Chef des Schwedischen Wirtschaftsverbandes, bloß: „Diese Frage kann auch nur ein Österreicher stellen.“ In Deutschland brauchte es mit Ursula van der Leyen gar eine konservative Familienministerin, um das nordische Modell des Elterngeldes zu übernehmen.

In Österreich wird, seit die Statistik Austria soeben die aktuellen Zahlen veröffentlicht hat, gerade wieder der starke Geburtenrückgang lauthals beklagt. Wozu haben wir eigentlich ein Europäisches Zentrum für Sozialforschung, ein Institut für Demografie, ein Bevölkerungsprogramm bei der IIASA (Institute for Applied Systems Analysis) in Laxenburg? Wer mit den dort arbeitenden Experten telefoniert, wird als Antwort auf die Frage, wie man die Geburtenziffern wieder in die Höhe bringt, genau das beschriebene nordische Rezept erhalten. Es hat darüber hinaus noch den Nebeneffekt einer höheren Frauenerwerbsquote – ebenfalls wünschenswert, um die Herausforderungen der demografischen Alterung in den Griff zu bekommen. Denn dadurch erhöht sich die Anzahl der Beitragszahler in die sozialen Sicherungssysteme.

Verminderung des „Tempo-Effekts“

Im übrigen darf der negative Rekordwert von 1,4 Geburten pro Frau in Österreich angezweifelt werden. Wie viele Kinder eine Frau in ihrem Leben tatsächlich bekommt, weiß man dummerweise immer erst hinterher: wenn ihre reproduktive Phase abgeschlossen ist. Statistiker haben dafür das 45. Lebensjahr festgesetzt. Die aktuellsten Werte für exakte Geburtenziffern liegen heute also erst für den Jahrgang der 1963 geborenen Frauen vor (das alles weiß man bei der Statistik Austria natürlich).

Die Prognosen werden auch deshalb schwieriger, weil Paare den Zeitpunkt der Geburt ihres ersten Kindes immer weiter nach hinten verschieben. Tomas Sobotka vom Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat eine Methode gefunden, mit der sich diese „Tempo-Effekt“ genannte Verzerrung vermindern lässt. Die Berechnung nach dieser Methode zeigt: Im Jahr 1984 lag die Geburtenziffer für Österreich nicht bei 1,52, sondern bei 1,67. Und heute liegt sie nicht bei 1,41, sondern bei 1,64. Das ist allerdings immer noch zu wenig, um den negativen Folgen der demografischen Alterung entgegenzuwirken. Wirklich Abhilfe schafft nur das „nordische Rezept“.

Fredy Mayer ist Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2008)

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