Pfund, eigene Währung oder gar der Euro?

Eine Unabhängigkeit Schottlands hätte nicht nur politische, sondern auch riesige wirtschaftliche Auswirkungen.

Schottland bereitet sich auf das morgen, Donnerstag (18.September), stattfindende Unabhängigkeitsreferendum vor, und Großbritannien – ja ganz Europa – muss sich auf die Auswirkungen eines positiven Ausgangs der Abstimmung gefasst machen. Die Unabhängigkeit Schottlands würde den Verfassungsrahmen Großbritanniens und Europas revolutionieren und anderen europäischen Unabhängigkeitsbewegungen von Katalonien bis Norditalien enormen Auftrieb verleihen.

Lange Wechselbeziehungen

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Unabhängigkeit sind allerdings weit weniger gewiss. Die Befürworter der Unabhängigkeit beharren seit Langem darauf, in erster Linie von der Unverwechselbarkeit der schottischen Identität motiviert zu sein. Allerdings sind Schottlands Geschichte und seine Traditionen, wiewohl zweifellos landeseigen, auch von der jahrhundertelangen Wechselbeziehung mit England und anderen Teilen der britischen Inseln geprägt.

Das drängendere Problem der Schotten ist das Geld. Die Frage, ob ein unabhängiges Schottland weiterhin das britische Pfund als Währung haben könnte oder sollte, beherrschte in den vergangenen Monaten die Diskussionen der Referendumskampagne. Je nachdem, welchen Weg Schottland einschlägt, könnte das Ergebnis – für Schottland, Großbritannien und Europa – sehr unterschiedlich ausfallen.

Bisher halten schottische Nationalisten daran fest, dass ein unabhängiges Schottland das Pfund behalten würde. Doch derartige Ankündigungen könnten einem Eigentor gleichkommen, wenn man bedenkt, um wie viel einfacher es wäre, Argumente für eine eigene Währung vorzubringen – ganz abgesehen davon, dass der britische Schatzkanzler George Osborne die von Schottlands Erstem Minister, Alex Salmond, vorgeschlagene Währungsunion lange Zeit ausdrücklich abgelehnt hat.

Unterschiedliche Bedingungen

Das Problem mit den Vorstellungen der schottischen Nationalisten ist, dass sie genau dem größten Manko der Eurozone entsprechen. Angesichts der Tatsache, dass eine Einheitswährung ohne gemeinsame Geldpolitik nicht funktioniert und die wirtschaftlichen Bedingungen in einer Währungsunion unterschiedlich sind, haben die einzelnen Mitglieder bisweilen ungeeignete wirtschaftspolitische Strategien mitzutragen.

Während des Baubooms in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends beispielweise hätten Irland und Spanien eine restriktivere Geldpolitik verfolgen müssen– mit höheren Zinssätzen und einem niedrigeren Kredit-Aktiva-Verhältnis. Doch die Mitgliedschaft der Länder in der Eurozone bedeutete, dass staatliche Kreditnehmer und jene des Privatsektors gleichermaßen von den sehr niedrigen Zinsen profitierten.

Nachdem die Finanzkrise ausgebrochen war und die politischen Entscheidungsträger in diesen und anderen Ländern nach Möglichkeiten gesucht hatten, die Banken zu einer Wiederbelebung der Kreditvergabe zu zwingen, wurde offensichtlich, dass es an den nötigen und verfügbaren Instrumenten fehlte.

Verheerende Auswirkungen

Heute steht Großbritannien vor einem ähnlichen Dilemma. Der Immobilienboom im Großraum London verlangt eine restriktivere Geldpolitik. Doch höhere Zinsen hätten für die Wirtschaft im Rest des Landes, wo die Erholung weiterhin anämisch verläuft, verheerende Auswirkungen.

Überdies weist London, ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland, einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss auf (acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts) – ein möglicherweise gravierendes Problem angesichts der deflationären Wirkung, die der deutsche Überschuss auf den Rest der Eurozone ausübt. Schon jetzt liegt Großbritanniens externes Defizit höher als in jedem anderen Industrieland.

Das Verhalten einer Währung kann durch einen mächtigen und beherrschenden Sektor der Wirtschaft gesteuert werden. Im Fall des Pfund ist dies der Finanzsektor. Mancherorts wurde der rapide Kursverfall des Pfund in den Jahren 2007 und 2008 – eine handelsgewichtete Abwertung von dreißig Prozent – als dringend notwendiger wirtschaftlicher Impuls angesichts des damit verbundenen Schubs für Wettbewerbsfähigkeit der Exporte betrachtet. Die unabhängige Geldpolitik Großbritanniens bot dabei einen Grad an Flexibilität, die den Ökonomien der Eurozone fehlte.

Doch das wiedererstarkte Vertrauen in den Finanzsektor löste einen sprunghaften Anstieg des Pfund aus (bis 18 Prozent seit Ende des Jahres 2008), wodurch die Wettbewerbsfähigkeit Großbritanniens erneut untergraben wurde. Was der City of London nützt, ist nicht unbedingt gut für den Rest der Wirtschaft.

Es besteht daher ein unverkennbarer Anreiz, dem ökonomischen Arrangement, das Schottland an London fesselt, zu entkommen – ein Anreiz, den auch der große schottische Ökonom Adam Smith erkannt hätte. Tatsächlich war dessen einflussreichstes Werk, „Der Wohlstand der Nationen“, von der Überzeugung getragen, dass die Interessen der Londoner Kaufmannschaft die britische Handelspolitik verzerren.

Die Alternative zur Beibehaltung des Pfund hält allerdings ihre eigenen Herausforderungen bereit. Dem schottischen Ökonomen Ronald MacDonald zufolge sollte ein unabhängiges Schottland über seine eigene Währung verfügen, die sich aufgrund der Abhängigkeit der Wirtschaft von Öl und Gas aus der Nordsee wie eine Petro-Währung verhalten würde.

Doch einen dominanten Sektor durch einen anderen zu ersetzen tut dem Rest der schottischen Wirtschaft wahrscheinlich nicht gut. Sie würde ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, wenn steigende Energiepreise den Wechselkurs nach oben treiben. Für weniger wettbewerbsfähige Branchen hieße das Verluste und Insolvenzen, wodurch sich die wirtschaftliche Aktivität noch stärker konzentrieren und spezialisieren würde.

Obergrenze für Wechselkurs

Die Last der Anpassung auf den Wechselkurs zu schieben ist nicht die Antwort. Die kleinen, offenen Ökonomien Schweiz und Norwegen – wichtige Vorbilder für Schottland – kämpften während der globalen Finanzkrise mit drastischen Währungsaufwertungen. In der Schweiz löste man das Problem mit der Einführung einer Obergrenze für den Wechselkurs des Franken gegenüber dem Euro.

Das sollte Schottland animieren, den Zusammenschluss mit einem größeren Währungsraum und einer stärker diversifizierten Ökonomie zu verfolgen. Wie wäre es mit der Einführung des Euro?

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

Copyright: Project Syndicate, 2014. www.project-syndicate.org.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Harold James
(58 J.) studierte in Cambridge Wirtschaftsgeschichte. Seit 1986 lehrt er in Princeton, derzeit ist er dort Professor für Geschichte und Internationale Politik, zugleich Professor für Geschichte am European University Institute in Florenz. Zahlreiche Publikationen, sein jüngstes Buch: „Krupp: Deutsche Legende und globales Unternehmen“. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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