Halb Madagaskar zum Nulltarif!

Der Daewoo-Konzern sichert sich mehr als die Hälfte der anbaufähigen Fläche Madagaskars – ohne für die Pacht zu zahlen: Neues vom „freien“ Welthandel.

Der südkoreanische Konzern Daewoo Logistics pachtet 1,3 Millionen Hektar anbaufähiges Land auf Madagaskar für einen Zeitraum von 99 Jahren, um dort Mais und Palmöl anzubauen und die Ernte nach Südkorea zu verschiffen. Dadurch soll die Lebensmittelversorgung in Südkorea gesichert werden. Daewoo zahlt voraussichtlich nichts für diese Pacht; die Gegenleistung besteht allein darin, durch den Ackerbau neue Arbeitsplätze für Landarbeiter in Madagaskar zu schaffen. Madagaskar verfügt insgesamt über 2,5 Millionen Hektar anbaufähige Fläche. Daewoo sichert sich also mehr als die Hälfte der in Madagaskar verfügbaren anbaufähigen Fläche.

Madagaskar ist arm. Das World Food Programme muss schon jetzt 3,5 Prozent der Einwohner mit Lebensmitteln versorgen. Ungefähr 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren leiden wegen unzureichender Ernährung an Entwicklungsverzögerungen. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Das Durchschnittseinkommen liegt unter einem Dollar pro Tag.

Nach den Regeln der Marktwirtschaft macht es Sinn, die Produktionsmittel für Lebensmittel den Ärmsten wegzunehmen: In armen Ländern kann wegen niedrigerer Lohnkosten und niedrigerer Kosten für Grund und Boden billiger produziert werden. Am meisten Sinn macht es also, Lebensmittel in den ärmsten Ländern der Welt billig zu produzieren und in den reichsten Ländern der Welt zum dortigen Preisniveau, also viel teurer, zu verkaufen. So funktioniert Marktwirtschaft in einer Welt des liberalisierten Welthandels.

Dafür gibt's noch mehr Flat-Screen-TVs

Die Nachteile einer solchen Entwicklung sind evident: In den armen Ländern wird den ohnehin hungernden Menschen die Grundlage für ihre eigene Lebensmittelversorgung entzogen. Und in den reichen Ländern wird den dort wirtschaftenden Bauern durch Dumpingpreise, mit denen sie aufgrund der Kostenstruktur in reichen Ländern nicht konkurrieren können, die Existenzgrundlage entzogen – sodass sie nur noch mit umfangreichen Förderungen überleben können. Die Entwicklung hat also Verlierer auf beiden Seiten. Gewinner sind nur die Unternehmen, die diesen Handel betreiben.

Ach ja: Und Gewinner sind auch die Konsumenten in den reichen Ländern, die ihre Lebensmittel billiger kaufen können, als wenn sie im eigenen Land produziert würden. Dafür bleibt ihnen mehr Geld, um größere Flat-Screen-TVs und schnellere Autos kaufen zu können. Was für ein Gewinn!

Das Beispiel Madagaskar ist besonders augenfällig. Aber das Gleiche passiert weltweit auch schon jetzt. Zum Beispiel wird in Südamerika in großem Umfang Regenwald gerodet, damit dort Soja angebaut werden kann. Soja, das nach Europa exportiert wird, damit wir hier unsere Hühner und Schweine in Massenbatterien füttern können, um billiger Fleisch zu produzieren. Fleisch, das wir dann billig an unsere Konsumenten verkaufen können, damit deren Cholesterinspiegel nicht zu niedrig wird. Was für ein Gewinn!

Ist es also gut, wenn wir bei landwirtschaftlichen Produkten freien Warenverkehr haben? Oder wäre es vielleicht besser, wenn Produktion und Konsumation von Lebensmitteln nur regional stattfänden? Wenn also Lebensmittel auf Basis der Kostenstruktur eines Landes produziert und auf Basis der Kaufkraft dieses Landes konsumiert würden? Das würde dazu führen, dass die Bevölkerung von Madagaskar ihr Ackerland zur eigenen Ernährung bewirtschaften könnte und dass österreichische Bauern auch ohne Subventionen von ihrer Arbeit wieder leben könnten. Allerdings müssten wir dann für unsere Lebensmittel auch wieder mehr bezahlen. Wir könnten uns nur kleinere Flat-Screen-TVs und langsamere Autos kaufen. Und wir könnten nicht mehr jeden Tag Fleisch essen. Was für ein Verlust!

Es lebt sich gut auf Kosten der Armen

Ach ja: Und einige Konzerne würden weniger Geld verdienen. Nicht nur die, die billige Lebensmittel in der Dritten Welt produzieren oder einkaufen und uns hier verkaufen, sondern auch die, die uns Flat-Screen-TVs und schnelle Autos verkaufen wollen. Also bleiben wir lieber beim bestehenden System des Freihandels. Es lebt sich gut auf Kosten der Armen!

Reinhard Schanda ist Rechtsanwalt in Wien und Landwirt in der Steiermark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2008)

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