Pensionsversicherung braucht eine Reparatur

Es hilft nicht weiter, wenn sich der Vorsitzende der Pensionskommission mit untauglichen und wirren Argumenten gegen das Unvermeidliche stellt. Denn an einem Nachhaltigkeitsmechanismus wird kein Weg vorbeiführen.

Die Kommission zur langfristigen Pensionssicherung hat jüngst zwei Gutachten lebhaft diskutiert. Die Berechnungen der Fachexperten des Sozialministeriums haben ergeben, dass die Ausgaben der gesetzlichen Pensionsversicherung sowohl kurzfristig bis 2019 als auch langfristig bis 2060 kräftig steigen werden. Bis zum Jahr 2019 steigt demnach der Bundeszuschuss um vier Milliarden auf 13,5 Milliarden Euro an und liegt damit durchgängig und teilweise deutlich über dem Finanzrahmen, der im Bundesbudget für die Pensionsversicherung vorgesehen ist.

Das Langfristgutachten der Pensionskommission lässt einen Anstieg des Bundesbeitrags bis zum Jahr 2050 um mehr als 2,3 Prozentpunkte auf 4,8 Prozent des BIPs erwarten. Auch dieser Wert überschreitet den Referenzwert, der im ASVG für die finanzielle Nachhaltigkeit festgelegt wurde, beträchtlich.

Steigende Lebenserwartung

Als Ergebnis der Gutachten ist festzuhalten, dass die finanzielle Nachhaltigkeit der gesetzlichen Pensionsversicherung kurz- wie auch langfristig nicht gesichert ist.

Hinter der Thematik der Finanzierbarkeit der Ausgaben für die gesetzliche Pensionsversicherung in Österreich verbirgt sich das Phänomen der steigenden Lebenserwartung. Derzeit steigt die Lebenserwartung bei Geburt jedes Jahr um etwa zweieinhalb Monate an. Dies impliziert, dass bei gleichbleibendem Pensionsantrittsalter die durchschnittliche Bezugsdauer einer Pensionsleistung und damit der Gesamtaufwand für die Pensionsversicherung ansteigen.

Seit 1970 ist die Lebenserwartung um fünf Jahre angestiegen. Im selben Zeitraum ist allerdings das Pensionsantrittsalter in Österreich um drei Jahre auf unter 59 Jahre gesunken. Die damit verbundenen Ausweitungen der Bezugsdauern von Pensionsleistungen um acht Jahre sind für die aktuelle Finanzierungsproblematik verantwortlich.

Unmittelbar besteht die Aufgabe, die unhaltbar niedrigen Werte des effektiven Pensionsantrittsalters rasch anzuheben. Für die langfristige Finanzierbarkeit der Pensionen wiederum ist es unabdinglich, dass die steigende Lebenserwartung bei der Bestimmung des Pensionsleistungsniveaus in angemessener Form berücksichtigt wird. Dafür gibt es unterschiedliche denkbare Lösungen.

Mittlerweile werden in der überwiegenden Mehrzahl aller EU-Mitgliedstaaten derartige Nachhaltigkeitsmechanismen angewandt. In Österreich fehlt ein Mechanismus zur Gewährleistung der langfristigen Finanzierbarkeit. Das Ergebnis des Langfristgutachtens ist daher wenig überraschend.

Erstaunlich ist nun allerdings die Reaktion des Vorsitzenden der Pensionskommission. Dr. Rudolf Müller argumentiert, dass der im Langfristgutachten berechnete Anstieg der erforderlichen Bundesmittel für den Staatshaushalt zu bewältigen sei. Diese Sichtweise ist zulässig. Nicht zulässig ist es jedoch – und das gilt meines Erachtens noch viel mehr für einen Verfassungsrichter – das Gesetz zu missachten.

Gesetz demonstrativ ignoriert

Im ASVG ist eindeutig definiert, dass bei einer signifikanten Abweichung von einem vorgegebenen Pfad für die Bundesmittel ein Mehraufwand vorliegt, der mit entsprechenden Maßnahmen zu korrigieren ist. Die Pensionskommission ist per Gesetz verpflichtet, das Vorliegen eines Mehraufwandes zu überprüfen und gegebenenfalls Maßnahmen vorzuschlagen. Gemäß Ergebnissen des Langfristgutachtens liegt ein Mehraufwand unzweifelhaft vor. Der Vorsitzende der Pensionskommission ignoriert demonstrativ das Gesetz und empfiehlt, den weiteren Verlauf der Entwicklung zu beobachten.

Weiters spricht sich Dr. Müller gegen eine automatische Berücksichtigung der Lebenserwartung in der Pensionsformel aus. Er argumentiert erstens, dass durch die automatische Anhebung des Pensionsantrittsalters das Risiko des vorzeitigen Ablebens von der gesamtgesellschaftlichen auf die individuelle Ebene verschoben würde.

Ausgleichung des Risikos

Als unverdächtiger Zeitzeuge hat der deutsche Pensionsexperte Professor Bert Rürup zuletzt bei einer Veranstaltung in Wien genau diese Aussage als exemplarisches Beispiel für die offensichtliche Unkenntnis des Wesens einer öffentlichen Pensionsversicherung zitiert.

Es ist gerade die Kernaufgabe einer Versicherungsgemeinschaft, das individuelle Risiko der Langlebigkeit bzw. des vorzeitigen Ablebens zwischen den Mitgliedern auszugleichen. Abgesehen davon hat dieses Thema überhaupt nichts mit einer automatischen Anpassung des Pensionsantrittsalters zu tun. Auch derzeit besteht das individuelle Risiko, früh zu sterben beziehungsweise die Chance, über Langlebigkeit eine Pensionsleistung sehr lange zu beziehen.

Zweitens argumentiert Müller damit, dass vor allem ärmere Bevölkerungsschichten eine niedrigere statistische Lebenserwartung aufweisen und damit gegenüber anderen Mitgliedern der Versicherungsgemeinschaft bei automatischer Anhebung des Pensionsantrittsalters benachteiligt würden. Dieses Argument ist logisch falsch.

Eine Veränderung des Pensionsantrittsalters trifft alle Mitglieder der Versicherungsgemeinschaft in gleicher Weise – es ändert nichts an möglichen Ungleichbehandlungen innerhalb der Versichertengruppe. Zutreffender ist, dass in der geltenden Rechtslage eine schleichende Ungleichbehandlung einzelner Altersjahrgänge vorliegt: Mit der laufend steigenden Lebenserwartung profitieren jüngere Kohorten von steigenden durchschnittlichen Pensionsbezugsdauern.

Frauen leben länger

Drittens sieht Dr. Müller das Problem, dass eine automatische Anpassung des Pensionsalters an die Lebenserwartung zu einer Diskriminierung von Frauen gegenüber Männern führen würde. Tatsache ist, dass Frauen im statistischen Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung aufweisen als Männer und somit bei gleicher Leistungshöhe tendenziell über eine längere relative Bezugsdauer einer Pensionsleistung gegenüber Männern profitieren.

Wird nun das Pensionsantrittsalter automatisch und für beide Geschlechter in gleichem Maße angehoben, ändert sich am relativen Verhältnis zwischen Frauen und Männern gar nichts.

Wenn es Dr. Müller ein Anliegen ist, sich mit dem Thema der Ungleichbehandlung innerhalb der Pensionsversicherung auseinanderzusetzen, gibt es sicherlich geeignetere Ansatzpunkte als die von ihm selbst angeführten Argumente. Hauptaufgabe eines Vorsitzenden der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung sollte es jedoch sein, sich jenem Auftrag zu widmen, für den die Kommission geschaffen wurde: die finanzielle Nachhaltigkeit der Pensionsversicherung zu überwachen.

Diesbezüglich bringt es herzlich wenig, sich mit untauglichen und wirren Argumenten gegen das Unvermeidliche stellen zu wollen. Denn an einem Nachhaltigkeitsmechanismus – in welcher Form immer – führt kein Weg vorbei.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Ulrich Schuh ist seit 2011 Forschungsvorstand bei EcoAustria– Institut für Wirtschaftsforschung. Der Volkswirt war langjähriger Abteilungsleiter am Institut für Höhere Studien und Mitarbeiter in der wirtschaftspolitischen Abteilung des Finanzministeriums. Derzeit ist er unter anderem Mitglied der Pensionskommission, des Fiskalrates und des Finanzmarktstabilitätsgremiums. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2014)

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