Rettet den Qualitätsjournalismus!

Nicht nur der ORF, sondern der seriöse Journalismus insgesamt wird bald am Ende sein. Nur eine neue Medienpolitik, die sich an ausländischen Vorbildern orientiert, kann das verhindern.

Das Programm? Grottenschlecht. Alexander Wrabetz und seine Führungsmannschaft? Unfähig. Die politische Unabhängigkeit der Berichterstattung? Gefährdet wie nie zuvor. Die wirtschaftlichen Aussichten? Katastrophal.

Egal ob man Medienexperten fragt oder Musikantenstadl-Zuschauer, alle sind sich einig: Es steht schlecht um den ORF.

Tatsächlich, es könnte besser um ihn stehen, und vieles am Küniglberg läuft bei Weitem nicht, wie es sollte. Aber, andererseits: Das Programm ist wesentlich besser als sein Ruf; der Generaldirektor und seine Direktoren tun angesichts der Tatsache, dass das Unternehmen ORF eigentlich unführbar ist, was sie können; die Journalisten sind deutlich unabhängiger von der Politik als in der Ära Schüssel; und die wirtschaftlichen Aussichten sind im Vergleich zu denen vieler Banken geradezu grandios.

Absurde Argumente

Und wer (wie wir im Rahmen eines Forschungsprojekts) ausländische Fernsehanstalten wie BBC, ARD oder SRG mit dem ORF vergleicht, erkennt vor allem drei Unterschiede. Erstens: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Öffentlich-Rechtlichen sind nirgends so schwierig wie hierzulande. Zweitens: Die Diskussionen über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sind fast überall weiter gediehen als in Österreich. Drittens: Die Argumente in dieser Diskussion sind nirgends so absurd wie in Österreich. Kleine Auswahl gefällig?
Beginnen wir mit einem Lieblingsthema der heimischen Mediendebatte, mit der Unabhängigkeit des ORF: Die in Österreich immer wieder geforderte Entpolitisierung des obersten Gremiums des ORF, des Stiftungsrats, ist absoluter Unsinn. Denn der ORF ist ein Medienunternehmen, das wirtschaftlich gesehen dem Staat, philosophisch betrachtet uns allen gehört. Die Vertreter des Eigentümers müssen also irgendwie demokratisch legitimiert sein. Sie sind daher praktisch überall außer in Österreich von politischen Parteien entsandt, oft sind sie sogar Berufspolitiker. In fast allen Ländern wird freilich mehr Wert auf ihre Qualifikation gelegt als in Österreich: Sie müssen etwas von Medien, Medienpolitik und Unternehmensführung verstehen, dieses Wissen auch in Hearings unter Beweis stellen. In Österreich hingegen stellt Fachwissen für den Job des Stiftungsrats nur in Ausnahmefällen keinen Hinderungsgrund dar.
Der ORF ist das einzige öffentlich-rechtliche Medienunternehmen der Welt, das offiziell davon ausgeht, weiterhin 40 Prozent Marktanteil halten zu können. Internationalen Vergleichen zufolge wären in zehn Jahren dreißig Prozent durchaus ein Erfolg. Der ORF braucht also ein Szenario, wie er mit der niedrigeren Quote wirtschaftlich überlebt. Er sollte aber auch kommunizieren, dass sinkende Quoten keine Schande sind – sondern logische Folge der Digitalisierung oder der bewussten Entscheidung, mehr intelligente Informationssendungen und dafür weniger Volksmusikstadel zu produzieren.

Gehalt nach Quote?

Denkt man das alles zu Ende, kann man es nur höchst sonderbar finden, dass sich das Gehalt der ORF-Generaldirektors nach der Quote bemisst. Stattdessen müsste es davon abhängig sein, ob und wie gut der ORF seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllt. Freilich muss vorher dieser Auftrag neu und zeitgemäß definiert werden.
Kein Land der Welt außer Österreich zweigt schließlich ein Drittel der Fernseh- und Radiogebühren für die Förderung von Folkloreveranstaltungen und Bundesländer-Events ab, rund 200 Millionen, die dem ORF Jahr für Jahr fehlen.

Apropos Geld: Das geht nicht nur dem ORF aus, sondern auch anderen Medienunternehmen. Bald wird Qualitätsjournalismus, also jene immer seltener werdende Spielart des Journalismus, welche die Leute gescheiter statt dümmer macht, in den Printmedien nicht mehr finanzierbar sein. Seit die Jungen und mit ihnen die Anzeigenerlöse von den Zeitungen ins Internet abwandern, bauen Qualitätszeitungen von der New York Times abwärts weltweit Mitarbeiter ab.

In europäischen Kategorien denken

Allerdings hat die New York Times trotz Personalabbau immer noch über 1.000 journalistische Mitarbeiter, die „Süddeutsche“ immer noch rund 300. „Die Presse“ oder „Der Standard“ haben weniger als 100. Die New York Times kann also auch künftig eine journalistische Qualität liefern, von der wir hier in Österreich nur träumen können. Hierzulande freilich geht es spätestens seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise schlicht und ergreifend ums Überleben des (aufwendigen und teuren) Qualitätsjournalismus.

Österreich hat nur sehr wenige Qualitätsmedien: ORF, „Presse“, „Standard“, „Kurier“, „Salzburger Nachrichten“, „profil“, „Falter“, einige Regional- und Nischenmedien, das war's. Dass der kleine Markt nicht mehr hergibt, ist die eine Erklärung dafür. Die traurige Tatsache, dass einige hunderttausend potenzielle Leser von Qualitätsmedien und zahlreiche exzellente Journalisten zwischen 1938 und 1945 vertrieben oder umgebracht wurden, ist die andere.

Es wäre also dringend angebracht, dringender als in jedem anderen europäischen Land, darüber zu diskutieren, wie man Qualitätsjournalismus im ORF, aber auch in anderen Medien erhalten und fördern kann.

Förderung nur für Qualität

Was immer am Ende einer solchen Diskussion herauskommt: Die finanzielle Situation des österreichischen Journalismus kann dadurch nur besser werden, und sie muss besser werden. Wahrscheinlich wird der ORF dann mehr Gebührengelder bekommen (zumindest die oben erwähnten, die ihm sowieso zustehen). Vielleicht bekommen dann auch Privatsender Gebührengelder, nämlich für Programme, die den Kriterien des Qualitätsjournalismus entsprechen. Vielleicht findet man neue Finanzierungsmöglichkeiten für Print- und Onlinemedien, ausländische Modelle dafür gibt es. Auf jeden Fall ein Segen wäre eine Reform der veralteten Presseförderung, hin zu einer echten Förderung des Qualitätsjournalismus.

Eine Diskussion über all diese Themen wird zwar die Freunde absurd-komischen Theaters weniger gut unterhalten als die Farce Bacher gegen Wrabetz im „Club2“. Aber nur, wenn eine solche Diskussion endlich ernsthaft geführt wird, mit Blick auf die Erfahrungen in Deutschland, Großbritannien und anderen entwickelten Mediendemokratien, und nur wenn sie zu vernünftigen Ergebnissen kommt, wird die Qualität des politischen Diskurses erhalten beziehungsweise wieder möglich. Nur dann wird dem Land die Herrschaft von Demagogen und Radikalpopulisten erspart bleiben. Denn nur qualitativ hochwertiger Journalismus kann die Bürger mit jenen Informationen versorgen, die sie befähigen, in der Wahlzelle eine Entscheidung zu treffen, die nicht von dumpfen Ressentiments gesteuert ist, sondern vom Wissen und Verständnis politischer Absichten und Alternativen.

Wegbereiter für Strache und Co.

Wenn die Politik, sprich die rot-schwarze Koalition, nicht erkennt, dass es ihre Aufgabe ist, die Rahmenbedingungen für diese Art von Journalismus zu schaffen, dann schaufelt sie sich ihr eigenes Grab. Und bereitet den Weg für Politiker vom Schlage eines H.C. Strache. Und was der mit dem ORF machen würde, wenn er einmal Bundeskanzler sein sollte, möchte ich mir eigentlich gar nicht vorstellen.

Prof. Dr. Reinhard Christl ist Vorstand des Instituts für Journalismus der FH Wien und leitet das Forschungsprojekt „Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2009)

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