Dann helft mal schön...

Wie man gegen die Fluchtgründe statt gegen die Flüchtlinge vorgeht: Ideen für eine andere Sicht des Asylthemas.

Die Bundesregierung wünscht sich in ihrem Fünfpunkteprogramm zum Thema Asyl eine „gemeinsame europäische Politik, die gegen die Gründe für Flucht und Vertreibung vorgeht“.

Als erste Maßnahme dazu werden jetzt also wohl endlich die Jahr für Jahr schrumpfenden Mittel der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) erhöht. Ihre stufenweise Erhöhung auf 0,7% des BIPs bis zum Jahr 2030 und den entsprechenden Plan dazu hat die Regierung zwar bis vor dem Sommer versprochen, aber noch nicht geliefert.

Geld allein nützt ohnehin wenig. Denn die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit, unter ihnen die Hilfsorganisationen, die permanent die Prügel für die schleppende Entwicklung im Süden einstecken müssen, sind gar nicht so wichtig. Entscheidend für die „Beseitigung der Gründe für Flucht und Vertreibung“ wäre die Abschaffung der sogenannten entwicklungspolitischen Inkohärenz: also die bessere Abstimmung von Handels-, Wirtschafts-, Außen-, Finanz- und Entwicklungspolitik mit dem Ziel der Armutsbeseitigung.

Entwicklungspolitische Ziele können nicht allein von der staatlichen EZA und den NGOs erfüllt werden. Zuerst müssen die viel wirkmächtigeren außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Interventionen der Industriestaaten so gestaltet sein, dass sie nicht primär die eigenen Interessen, sondern die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den ärmsten Länder wirklich fördern. Das ist auch die Zielsetzung der neuen „nachhaltigen Entwicklungsziele“, die von der UN-Vollversammlung am 25.September beschlossen werden. Im Moment sind wir davon noch viele Lichtjahre entfernt, weshalb auch die Beseitigung der „Gründe für Flucht und Vertreibung“ in weiter Ferne liegt.

In den entwickelten Staaten und in den von ihnen dominierten globalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation (beim Handel), im Internationalen Währungsfonds (beim Kapitalverkehr) und in der Weltbank (bei der Entwicklungsfinanzierung) geben viele unterschiedliche Eigeninteressen den Takt vor. Die Beseitigung der entwicklungspolitischen Inkohärenz und damit der Armut in den Ländern, aus denen so viele Flüchtlinge kommen, ist keines davon.

Billige EU-Produkte

Beobachten lässt sich das auch in der Europäischen Union. Sie investiert einerseits in afrikanische Gesundheitssysteme, wirbt aber dann das ausgebildete Personal mit attraktiven Verträgen nach Europa ab. Sie fördert Programme zur Ernährungssicherheit und zur Verbesserung der lokalen Agrarproduktion. Aber gleichzeitig überschwemmt sie die afrikanischen Märkte mit billigen Agrarprodukten aus der EU.

Ein besonders groteskes Beispiel für die entwicklungspolitische Inkohärenz stammt aus Australien: In Papua-Neuguinea managen von der Regierung in Canberra bezahlte ausländische Entwicklungsexperten das Finanzministerium und wahren dabei die Interessen australischer Bergbaukonzerne. Gleichzeitig unterstützt Australien die indigene Bevölkerung bei Programmen zum Erhalt der Artenvielfalt...

Unter solchen Voraussetzungen kann die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur scheitern. Sie muss es geradezu.

Warum sie nachgerade scheitern soll, erklärt der deutsche Politikwissenschaftler Ulrich Brand mit klaren Worten: Unser Wohlstand sei gerade der Inkohärenz zu verdanken. Es gehe gar nicht anders, als zwei Drittel der Welt im Elend zu halten, wenn wir wollen, dass es uns ohne schmerzhafte Reformen weiterhin so gut gehen soll wie bisher.

Die Regierung möchte eine „gemeinsame europäische Politik, die gegen die Gründe für Flucht und Vertreibung vorgeht“? Na, dann helft mal schön.

Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer ist Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2015)

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