Die Kleineren müssen zahlen, die Großen kneifen

Ein Jahr nach LuxLeaks: Steuerflucht kostet heuer eine Billion Euro.

Wie können wir das zulassen? Dass Facebook an 362 britische Angestellte 35 Millionen Euro Pfund Boni auszahlt, aber nur 5800 Euro Steuern bezahlt – für das gesamte Jahr 2014. Oder dass Apple mit seinem iPhone europaweit in den Jahren 2010 bis 2014 rund acht Milliarden Euro zu wenig Steuern bezahlt hat?

Vor einem Jahr enthüllte eine Gruppe investigativer Journalisten geheime Steuerabmachungen von mehr als 340 multinationalen Konzernen in Luxemburg. Dieser LuxLeaks-Skandal brachte ans Tageslicht, was längst ein offenes Geheimnis war: Immer mehr Unternehmen von Amazon über Pepsi bis Ikea zahlen eine Steuerquote von weniger als einem Prozent auf den Gewinn.

Ein Jahr ist vergangen, und noch immer gibt es keine konkreten Maßnahmen auf europäischer Ebene. Zwar gab es erst im Oktober die Einigung der EU-Finanzminister, ab 2017 Daten über Vorbescheide an international tätige Unternehmen automatisch über Ländergrenzen hinweg auszutauschen. Doch die Informationen werden derart begrenzt, dass die EU-Kommission nicht einmal die Namen der betroffenen Unternehmen erfährt. Und die G20-Staaten kündigen via OECD für Mitte November einen weiteren Aktionsplan gegen Steuervermeidung an.

Vereinheitlichung der Systeme

Klar ist: „Business as usual“ ist keine Option. Beschäftigte wie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können die Benachteiligung gegenüber Konzernen nicht mehr länger hinnehmen. Es geht um 1000 Milliarden Euro pro Jahr, die durch absurde Steuervermeidungskonstruktionen in Europa verloren gehen.

Die EU muss umgehend einen Prozess beginnen, um die Steuersysteme der 28 Mitgliedstaaten schrittweise zu vereinheitlichen. Oberste Priorität: Multinationale Unternehmen müssen ihre Steuern dort zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Kreative Steuervermeidung darf nicht mehr toleriert werden. Strenge gesetzliche Rahmenbedingungen müssen dafür sorgen, dass illegitimes Handeln künftig auch illegal ist. Dazu zählt auch der konsequentere Umgang mit Wirtschaftsprüfern wie PwC, Deloitte, Ernst&Young und KPMG.

Steuertricksereien auf dem Rücken von KMU und Beschäftigten wurden längst zum Geschäftsmodell. Das können und wollen wir uns nicht mehr leisten.

Oberstes Gebot: Transparenz

Die EU-Kommission und die 28 EU-Finanzminister sind am Zug, für die ersten Schritte gegen Steuerflucht zu sorgen: Transparenz ist das oberste Gebot im Vorgehen gegen den Steuersumpf. Im Zuge der sogenannten länderweisen Berichtspflicht ist sicherzustellen, dass Sondervereinbarungen von Konzernen und Finanzministerien offengelegt werden. Das Europäische Parlament war hier bereits aktiv und hat in der Aktionärsrichtlinie den Weg dafür bereitet.

Wir müssen einen gemeinsamen Rahmen in Europa schaffen, der regelt, welche steuerlichen Sonderausnahmen für bestimmte Unternehmen möglich sind. Die EU-Kommission sollte künftig solche Ausnahmen einzelner Länder genehmigen müssen – und damit für Ordnung sorgen. Damit sollen Schlupflöcher beim Hin- und Herschieben von Gewinnen, also eine „doppelte Nichtbesteuerung“, verhindert werden.

Schließlich sollten die Maßnahmen in eine gemeinsame europäische Steuerpolitik münden. Wir brauchen für einen gemeinsamen Binnenmarkt keine 28 Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlagen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen auf faire Mindeststeuersätze hinarbeiten sowie auf starke Sanktionen gegen Steueroasen.

Evelyn Regner (* 1966 in Wien) ist SPÖ-EU-Delegationsleiterin und Mitglied im Steuer-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments (TAXE).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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