Das Gift der Lüge in der halben Wahrheit

Ex-Minister Einem rief zu bewusstem Verschweigen oder Bagatellisieren bestimmter Informationen auf. Auch er sollte wissen: Medienmacht wird zur Ohnmacht, sobald sie auf eine sehr feste, in sich konsistente öffentliche Meinung trifft.

Man musste sich die Augen reiben, die Brille putzen und zweimal hinsehen, um es glauben zu können: Ein ehemaliger Mehrfachminister und Europaratssprecher der SPÖ ruft die Medien zur Täuschung ihres Publikums auf. Nichts anderes war es, was Caspar Einem tat, als er in der „Presse“ (10. November) gegen „entbehrliche“ oder sogar „schädliche“ Nachrichten zu Felde zog und die Medien ganz unverhüllt zu einem bewussten Verschweigen oder Bagatellisieren bestimmter Informationen aufrief.

Konkret geht es Einem darum, alles zu vermeiden, was die Bevölkerung an der Massenzuwanderung aus dem Orient erschrecken oder zu Abwehrreflexen veranlassen könnte. Nach der Aufzählung einiger unliebsamer Kommentare zum Ansturm der Asylanten und harter Kritik an Josef Pühringer und Parteifreund Franz Voves gelangt Einem zur Erkenntnis: „Ohne mediale Unterstützung könnten die als schädlich qualifizierten Aussagen kein Publikum erreichen und blieben deshalb unwirksam und harmlos.“

Maßlose Arroganz

Etwas später appelliert er an das Verantwortungsbewusstsein der Journalisten: „Schädliche Nachrichten sollten sie nicht transportieren.“ Mit anderen Worten, die Medien sollten Tatbestände, die nicht einer vorgegebenen politischen Grundlinie entsprechen, einfach verschweigen. Geschrieben und berichtet werden soll nicht über das, was ein Interesse der Bevölkerung darstellt und einen Bezug zur Lebensrealität der Österreicher hat, sondern über das, was linksliberaler Gesinnung nützt.

Die Wahrheit aber ist laut Hegel das Ganze. Bereits in der halben Wahrheit steckt das Gift der Lüge. In den von Caspar Einem vertretenen Ansichten verbergen sich sowohl politischer Unverstand als auch politische Verderbtheit. Zum einen hat er sich als einer jener Schwarmgeister zu erkennen gegeben, die bei der Flüchtlingskrise ausschließlich an die Quartierbeschaffung und nicht auch an die schwerwiegenden Folgen des Geschehens in demografischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Hinsicht denken. Die Verderbtheit hingegen besteht in der maßlosen Arroganz, die Wähler als ein politisch einfältiges und lenkbares Wesen zu betrachten und über das Informationsmenü bestimmen zu wollen, was der Bevölkerung guttut.

Aber noch etwas ist Einem entgegenzusetzen, nämlich eine beträchtliche Fehleinschätzung von Medienverhalten und Medienmacht. Im Grunde haben sich der ORF und ein Großteil der Printmedien in der Flüchtlingsfrage ohnehin so verhalten, wie er es gern haben möchte. Beispiele dafür boten die Tage vor der Wiener Landtagswahl. In dieser Phase wurde von den Medien ganz offenkundig alles vermieden, was der Bevölkerung am Durchzug oder Zuzug der Flüchtlingsmassen missfallen und die Sorgen vor der Völkerwanderung womöglich verstärken könnte.

Sperrzonen der Wahrnehmung

Kaum etwas zu hören war in dieser Zeit über die immer deutlicher werdenden Anzeichen der Missstimmung in Deutschland über die Flüchtlingspolitik der Berliner Regierung. Als journalistisch unfein galten (und gelten) Meldungen über Massenschlägereien zwischen Asylanten unterschiedlicher Herkunft in Erstaufnahmezentren. Schon gar nicht berichtet wurde von Angriffen syrischer oder afghanischer Asylanten auf die Polizei, von angedrohten Hungerstreiks, weil das Essen zu einförmig war, und anderen Klagen über Komfort der Unterbringung. Die Beispiele für das Verschweigen von Sachverhalten sind vielfältig.

Innerhalb der Sperrzonen journalistischer Wahrnehmung liegen auch Berichte über die nationale Herkunft von Straftätern. Bezeichnend dafür ist eine Rüge, die der „Kronen Zeitung“ durch die mediale Sittenwacht, den Presserat, erteilt wurde, als das Blatt gegen den zitierten Comment verstieß. Die Frage drängt sich auf, ob Pressefreiheit nur als Recht der freien Meinungsäußerung verstanden werden darf, oder ob sich mit ihr nicht auch die Pflicht verbindet, offen und vollständig über das zu berichten, was den Journalisten selbst zwar nicht schmeckt, für die Bevölkerung jedoch eine Bedeutung hat.

Oberflächliche Betrachtung

Charakteristisch für das Verhalten der Medien nach den jüngsten Wahlen ist die recht einseitige Beschäftigung mit Aspekten politischer Machtverschiebungen, internem Gezänk der Parteien und personellen Rochaden in Führungsgremien. Das heiß geliebte journalistische Ratespiel lautet: Wer mit wem? Wer womöglich mit dem Dämon Strache? Wer statt wem? Wer mit wem wie lange noch?

Der Hauptvorwurf, den sich die Medien im Zusammenhang mit der Völkerwanderung gefallen lassen müssen, ist die oberflächliche und vordergründige Betrachtung dieses Megaproblems. Die journalistische Neugier begnügt sich, ebenso wie die der Regierung, nahezu ausschließlich mit den Fragen der momentanen Unterbringung und humanitären Versorgung der Flüchtlinge. So gut wie gar nicht nachgedacht wird über die beginnende Umformung des Kontinents samt dem Bündel düsterer Perspektiven.

Spätestens die Pariser Tragödie vom 13. November hat auch den Medien ins Bewusstsein gerückt, dass in jeder Masse von Menschen, egal, welcher nationalen Herkunft, auch eine statistisch berechenbare kriminelle Energie steckt. Als Richtwert kann gelten, dass sich unter 100.000 Personen mindestens 5000 potenzielle Straftäter befinden.

Schweigen und Ratlosigkeit

Nahezu ausgeklammert von der Nachrichtengebung sind unter anderem die heiklen Aspekte der Abschiebung der Riesenzahl jener Migranten, die keinen Anspruch auf Asyl und Hilfe haben und somit unberechtigt hier leben. Schweigen und Ratlosigkeit umgibt nicht zuletzt die Kardinalfrage, wie die in hundert Einzelheiten differierenden Ethnien dauerhaft friedlich mit der heimischen Bevölkerung koexistieren können, ohne dass die einen die anderen schließlich völlig überlagern.

Die ständig beschworene Formel „Integration“ ist aus einer Vielzahl von Gründen eine vage und vor allem unendlich ferne Hoffnung. Das formelle Bekenntnis zur Verfassung oder zur Einhaltung der landesüblichen Nachtruhe bietet noch keinerlei Gewähr für ein echtes Miteinander und Füreinander.

Nicht ganz zu übersehen ist im Zusammenhang mit Caspar Einems krausen Ideen die Frage nach dem wahren Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinung. Die Legende von der Medienmacht hat bei den zurückliegenden Landtagswahlen einen merklichen Dämpfer bekommen. Denn die FPÖ hat ihre unbestreitbaren Erfolge sowohl in Oberösterreich als auch in Wien gegen starken Gegenwind in ORF und Print erzielt.

Die viel zitierte Medienmacht wird zur Ohnmacht, sobald sie auf eine sehr feste, in sich konsistente öffentliche Meinung trifft. Das ist gegenwärtig der Fall. Die Schweigespirale dreht sich in die Gegenrichtung. Kein Zweifel.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt war Journalist in Linz, ehe er 1964 in die empirische Sozialforschung wechselte. Er war Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach und zählte dort zum Führungskreis um Professor Elisabeth Noelle-Neumann. Ab 1972 Aufbau des Instituts für Markt- und Sozialanalysen (Imas) in Linz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2015)

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