Die "Hysterie" um die Christen im Nahen Osten

Ende einer Geschichte. Das Christentum verschwindet nach gut 1900 Jahren an den Orten seines Ursprungs. Den Westen kümmert das kaum.

Dieser Tage führte ich ein Gespräch mit einem Taxifahrer in Salzburg: Der Mann, Moslem, Palästinenser aus Jerusalem, freute sich augenscheinlich, dass der Fahrgast einigermaßen über seine Heimat und das, was man üblicherweise als Nahost-Problem bezeichnet, Bescheid wusste.

Er selbst hat eine sehr genaue Vorstellung davon, was er sich wünscht: Eine Zwei-Staaten-Lösung komme nicht infrage, hat er gemeint, sondern nur eine israelisch-palästinensische Föderation. Dafür hat er einen einleuchtenden Grund: Er möchte Staatsbürger im ganzen Palästina sein, damit er sich auch in Haifa niederlassen darf, woher seine Eltern stammen.

Unvermittelt kam der Taxler auf die Christen im Nahen Osten zu sprechen. Da seine Frau Christin ist, berührt es ihn, dass die Christen die größten Opfer der Konflikte und Umbrüche im Nahen Osten sind. Nicht einmal in Bethlehem, früher eine fast ausschließlich christliche Stadt, gebe es noch sehr viele, hat er bedauernd gesagt: „Dabei waren die Christen doch schon lang vor uns da.“

Die Christen des Nahen Ostens verbindet eine ungebrochene Tradition mit der Frühzeit des Christentums. Etliche Gemeinschaften, wie die Maroniten im Libanon, die Melkiten und Chaldäer sind mit Rom verbunden und gehören zur katholischen Kirche. Daneben gibt es syrisch- und armenisch-orthodoxe Kirchen und evangelische Gemeinden. Von besonderer Tradition ist die apostolische assyrische Kirche des Ostens, die im Mittelalter die größte der orientalischen Kirchen war, deren Einfluss von Mesopotamien bis Zentralasien reichte.

Das Schicksal der Christen im Nahen Osten ist im Westen den meisten gleichgültig. Es sei „hysterisch“, schreibt die „New York Times“, diese vielleicht als besonders gefährdet und daher besonders schützenswert zu betrachten.

Den Kirchen wiederum ist es irgendwie peinlich, an die Glaubensgenossen erinnert zu werden, da sie doch anlässlich der Flüchtlingsversorgung gerade ihre große Liebe zum Islam entdecken. Durch den Bau von Moscheen zeige Deutschland, wie tolerant der christliche Westen eben sei, hat es kürzlich bei einer kirchlichen Veranstaltung geheißen – und das werde die Muslime sicher beeindrucken.

Unpassenderweise tauchen aber immer wieder Bischöfe und Metropoliten aus Syrien, dem Libanon oder dem Irak in Europa auf und korrigieren dieses naive Bild, indem sie einfach erzählen, was sich in ihrer Heimat abspielt. Im Westen womöglich um Hilfe zu bitten haben sie schon lang aufgegeben: „Wir wollen kein Geld, wir brauchen Solidarität“, sagte der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Louis Raphaël Sako, vor Kurzem in Wien.

Erzwungene Übertritte

Nur um einige Fakten klarzumachen: Vor dem Krieg der USA und ihrer Alliierten 2003 zum Sturz von Saddam Hussein hat es im Irak rund 1,5 Millionen Christen gegeben, heute sind es weniger als eine halbe Million, die meisten von ihnen sind Binnenflüchtlinge und leben in den relativ sicheren Kurdengebieten. Was mit den Christen in der vom IS eroberten Stadt Mossul geschehen ist, weiß man nicht.

Aus Bagdad, wo vor dem Krieg etwa 300.000 Christen gelebt haben, sind so gut wie alle geflohen oder vertrieben worden. Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerechnet die nach einer westlichen Invasion an die Macht gekommenen Politiker die Religionsfreiheit im Irak beseitigt haben. Sako beklagt vor allem, dass Kinder aus Familien, in denen ein Ehepartner zum Islam übertritt, automatisch zu Moslems werden müssen. Dagegen kämpfen die Christen zusammen mit Menschenrechtsorganisationen und anderen nicht moslemischen Glaubensrichtungen mit Eingaben ans Parlament und an die Regierung vehement. Die Aussicht, dass sie Erfolg haben werden, ist gering.

Bei der erwähnten Tagung, die sich dem Thema „Christenverfolgung heute“ widmete, meinte der Fraktionsvorsitzende der CDU im Deutschen Bundestag, Volker Kauder, etwas betulich, Deutschland begegne auch jenen „mit Barmherzigkeit, die Christen ausgrenzen“.

Das Wort Ausgrenzung ist freilich eine lächerliche Beschönigung dessen, was den Christen im Nahen Osten wirklich passiert. Zu keiner Zeit habe es mehr christliche Märtyrer gegeben, als im 20. und 21. Jahrhundert, beklagte Kurienkardinal Kurt Koch, das finde jedoch öffentlich kaum Erwähnung.

„Lust auf Abenteuer“

Kauder stellte aber immerhin einen Zusammenhang zwischen der Flucht- und Migrationsbewegung aus dem Nahen Osten und dem Umgang mit den Christen her. Aus deren Sicht stellt sich die Lage im umkämpften Raum des fruchtbaren Halbmonds sehr anders dar als in der üblichen westlichen Perspektive.

Der Patriarch der griechisch-katholischen Kirche in Syrien, Gregorios III. Laham, der seinen Sitz in Damaskus hat, hat sie auf der Jesuitenhochschule St. Georg in Frankfurt erklärt. Er wäre froh, sagte der Bischof, dass Deutschland Flüchtlinge aufnähme, aber besorgt darüber, dass sie geradezu eingeladen wurden. Die Bereitschaft, Kriegsflüchtlingen Schutz zu gewähren, sei in Syrien so verstanden worden, „dass Deutschland soundsoviele Leute haben will“.

Gegen die gängige Meinung im Westen hält der Patriarch einen Gutteil der Emigranten nicht für Kriegsflüchtlinge, sondern für Wirtschaftsmigranten, manche der jungen Leute darunter seien einfach von der „Lust auf Abenteuer“ getrieben. Der Islamische Staat schüre auch bewusst die Furcht, um Menschen in die Flucht zu treiben.

Ausdrücklich in Schutz nimmt Gregorios den syrischen Präsidenten und verstößt damit gegen ein anderes westliches Meinungsdogma, nach dem Bashar al-Assad das eigentliche Problem Syriens sei. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten des Landes herrsche relative Sicherheit und gute Versorgung. Viele Binnenflüchtlinge suchten in den vom Regime kontrollierten Gebieten Schutz. Nur dort seien auch die Christen sicher. Die Hilfsstelle seiner Kirche für Flüchtlinge in Damaskus betreue momentan 8000 Familien.

Krieg aller gegen alle

Der schleichende Exodus der Christen aus dem Nahen Osten ist schon länger im Gang, er hat sich aber durch den Krieg im Irak und dann durch den Arabischen Frühling dramatisch verstärkt. Mit dem Zerfall des Irak und Syriens verlieren die Christen die relative Toleranz und den Schutz, den ihnen wohlwollende Diktatoren geboten haben. Es bleibt nur noch der latent instabile Libanon.

Dass Syrien mit dem Libanon und teilweise auch dem Irak eines der wenigen Länder im Nahen Osten war, in dem ein einigermaßen säkulares Regime geherrscht hat, der Islam nicht Staatsreligion war und alle Religionen ein Auskommen hatten, wird kaum gesehen. In einem Krieg aller gegen alle kommen jetzt vor allem die Christen unter die Räder, denn der Hass auf das Christentum ist allen Bürgerkriegsparteien gemeinsam, dem IS ebenso wie den Gruppen der angeblich demokratischen Opposition.

Die Verfolgung der Christen geht aber auch auf ihrer Flucht weiter. In den offiziellen UNO-Flüchtlingslagern in der Türkei und Jordanien werden Christen nicht aufgenommen. Das zu sagen ist freilich „hysterisch“, wie uns die „New York Times“ belehrt.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2015)

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