Polen auf dunklen Pfaden

Der nationalistische und autoritäre Kurs, wie ihn neuerdings auch Warschau steuert, könnte die EU noch zerstören.

Ähnlich wie Ungarns Regierung unter Viktor Orbán baut nun auch die neue Regierung in Polen die Staatsordnung radikal um und schlägt zunehmend eine autoritäre Richtung ein. Besonders bedenklich ist die Aushöhlung des polnischen Verfassungsgerichtshofes durch die personelle Gleichschaltung mit der rechtsnationalen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Es besteht die akute Gefahr, dass die Gewaltenkontrolle im polnischen Rechtsstaat institutionell sowie praktisch nicht mehr gegeben ist. Eine unabhängige und funktionsfähige Judikative gilt als unverzichtbare Dimension einer rechtsstaatlichen Demokratie. Insofern begibt sich Polen auf den dunklen Pfad einer defekten Demokratie.

Für die EU ist diese Entwicklung erschütternd. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass der Spillover-Effekt, auf dem einst die Hoffnungen der europäischen Integration ruhten, heute in Form von Nationalismus und dem Abbau von demokratischen Werten den Untergang der EU vorbereitet. Ungarn und Polen sind nicht der Gipfel, sondern nur die Vorboten einer traurigen Entwicklung, die längst in den Kern der Union vorgedrungen ist und ihr den gemeinsamen Boden – die in Artikel 2 des EU-Vertrags festgeschriebenen Werte – unter den Füßen wegzieht.

Lethargie als Katalysator

Orbán, Kaczyński, Le Pen, Wilders, Strache und Co. haben sich längst vom gemeinsamen Wertekurs verabschiedet und manifestieren ihre immer radikaler formulierten Positionen im Schatten der Ressentimentswelle in der Flüchtlingsdebatte. Beispiele gibt es genug. Orbán selbst ging so weit, sich als Hüter der ungarischen Identität zu bezeichnen. Zudem basieren fast alle Nachrichten der Fidesz-Partei auf dem Begriff der nationalen Einheit. Das Ziel ist dabei immer dasselbe: Es geht um eine Monopolisierung der wichtigsten Schlüsselpositionen innerhalb der Staatsordnung.

Als Katalysator des nationalen Wiedererwachens dient die Lethargie der traditionellen politischen Kräfte Europas. Sie überlassen die Deutungshoheit über gesellschaftliche Probleme anderen – jenen, die einfache und verständliche „Lösungen“ präsentieren. Dass diese Lösungen meist kurzschlüssig sind, ist irrelevant. Entscheidend ist, dass sie glaubhaft sind.

Diese Entwicklung nicht ernst zu nehmen wäre fahrlässig. Es ist das Versäumnis der demokratischen Kräfte in der EU, beim Auf- und Ausbau der Union und ihrer Institutionen nicht konsequent genug auf die Entwicklung einer europäischen Gesellschaft, europäischer Parteien und einer gemeinsamen europäischen Problemwahrnehmung sowie gemeinsamer Lösungsstrategien zu insistieren.

Es ist das Fehlen einer glaubhaften intergouvernementalen Problemlösungsstruktur, das es so leicht macht, den Rückfall in nationale Denk- und Handlungsmuster als politischen Fortschritt zu verkaufen. Scheiternde Demokratien innerhalb der EU sind deshalb so erschütternd, weil sie den Bürgern die Diskrepanz zwischen Status quo und politischen Anforderungen vor Augen führen. Dieses Bewusstsein hat das Potenzial, sie zu Fall zu bringen.

Benedikt Lentsch (*1987) studierte Politikwissenschaft in Wien und Innsbruck und absolviert an der Donau-Uni Krems den Masterstudiengang Politische Kommunikation.

Marco Neher (*1985) studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Kommunikation in Innsbruck, Heidelberg und Berlin.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2015)

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