Wenn Helfer zur Zielscheibe werden

Mitarbeiter von NGOs werden zunehmend attackiert. International fehlt der politische Wille für effektiven Schutz.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen nach einem Unfall dringend in ein Spital, aber alles, was sie vorfinden, ist ein verlassenes Gebäude. Dumm, dass Sie ausgerechnet im Südsudan medizinische Hilfe brauchen. Der jüngste Gewaltausbruch hat hier unzählige Menschen dazu gezwungen, alles liegen und stehen zu lassen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Diese Szene ist in vielen Ländern, in denen Care und seine Partner arbeiten, Realität. Meist sind es lokale Helfer, die zurückbleiben und die wichtigsten Dinge am Laufen halten. Die unermüdlich daran arbeiten, Hilfsgüter und Nahrungsmittel zu verteilen, den Spitalsbetrieb aufrechtzuerhalten und Hilfseinsätze zu koordinieren. Wegen dieser Arbeit stehen sie oft im Kreuzfeuer.

Im vergangenen Jahrzehnt haben die Angriffe auf Helfer zugenommen. 2015 gab es 145 Angriffe auf Helfer und insgesamt 285 Opfer. Die gefährlichsten Länder für humanitäre Arbeit: Afghanistan, Somalia, Syrien, der Jemen – und der Südsudan, wo Care im vergangenen Monat Kollegen und Kolleginnen evakuieren musste, um sie vor der aufflammenden Gewalt in Sicherheit zu bringen.

Als Bedrohung angesehen

Vor 15 oder 20 Jahren wäre eine Fahrt in einem Auto mit unserem Logo eine Sicherheitsgarantie gewesen. Heute werden wir zur Zielscheibe. In einigen Ländern werden internationale Hilfsorganisationen als Teil einer ausländischen Kultur wahrgenommen, die von manchen als Bedrohung gesehen wird.

Care hat viel in die Sicherheit seiner Helfer investiert, denn moderne Nothilfe inkludiert umfangreiches Risikomanagement. Doch wenn wir manche Risken nicht in Kauf nehmen, werden wir jene Menschen, die von Kämpfen und Gewalt betroffen sind, nicht erreichen.

Angelina, eine junge Mutter aus dem Südsudan, sagte neulich zu einem Kollegen: „Wenn wir sehen, dass die humanitären Kräfte abziehen, dann wissen wir, dass die Situation wirklich schlimm ist. Wenn sie hier sind, gibt uns das Sicherheit. Aber wer hilft uns, wenn sie weg sind?“

Das humanitäre Mandat von Care sieht vor, Hilfe unabhängig von ethnischer oder politischer Zugehörigkeit, Geschlecht und Nationalität zu leisten.

Es braucht aber einen beständigen Dialog mit allen kriegführenden Parteien, um einen sicheren Zugang für humanitäre Hilfe zu verhandeln und verständlich zu machen, dass unsere Hilfe neutral und unparteiisch ist. Diese Strategie funktioniert jedoch in manchen Teilen der Welt nicht länger.

Wir haben Sicherheitsrichtlinien, die den Bedrohungen vor Ort entgegenwirken. Wir haben Kollegen und Kolleginnen, die die Sicherheitslage kontinuierlich analysieren und über Zeitpunkt und Ort der Hilfseinsätze beraten. Aber all das kostet Geld und Zeit.

Wenn es Angriffe in die Medien schaffen, dann vor allem dann, wenn internationale NGO-Mitarbeiter betroffen sind. Tatsächlich sind es aber zum Großteil lokale Helfer, die zum Ziel von Angriffen werden.

Der erste Humanitäre Weltgipfel im Mai dieses Jahres schaffte leider keine Lösungen. Entscheidungen hinsichtlich eines besseren humanitären Systems wurden zwar getroffen – aber keine Effizienz und kein Geldbetrag der Welt werden dieselbe Sicherheit für die Helfer hervorbringen wie ein Ende der Kriege, Krisen und Konflikte, die so viel Leid und Unheil bringen.

Der Schutz humanitärer Helfer in bewaffneten Konflikten ist eine Verpflichtung, die dem internationalen humanitären Recht unterliegt. Aber: Ohne entsprechenden politischen Willen aller Staaten wird es auch künftig eine große Anzahl von Angriffen und Entführungen sowie Todesfälle von Helfern geben.

Barry Steyn ist Leiter der Abteilung Sicherheit bei Care International.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2016)

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