Wer in Syrien helfen will, spielt mit dem eigenen Leben

Helfer in dem Bürgerkriegsland genießen keinerlei internationalen Schutz.

Der abscheuliche Angriff am Wochenbeginn auf einen UN-Hilfskonvoi für Aleppo schockiert die ganze Welt. Er ist der traurige Beweis dafür, in welche Gefahr sich Helfer in Syrien begeben: gefangen zwischen den Fronten, immer auf der Flucht vor Bombardements, Entführungen und Verhaftungen. Unsere Teams verteilen Hilfsgüter in der Nacht und können immer nur kleine Essensrationen ausgeben, weil Benzin fehlt und ständiger Beschuss eine zentrale Verteilung zu gefährlich macht. Für unsere lokalen Partnerorganisationen sind diese logistischen Albträume inzwischen zur Routine geworden.

Humanitäre Hilfe zu leisten sei in Syrien heute gefährlicher als eine Waffe zu tragen, berichten mir syrische Kollegen. Seit 2012 ist Hilfeleistung in Gegenden, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, verboten. Sie darf nur von Organisationen, die bei der syrischen Regierung registriert sind, durchgeführt werden. Die Arbeit von kleinen Hilfsorganisationen wie jenen, mit denen Care in den von der Opposition kontrollierten Gegenden zusammenarbeitet, wird daher kriminalisiert.

Ich arbeite seit Beginn der Syrien-Krise für humanitäre Organisationen. Seither wurden acht Kollegen in Syrien inhaftiert, weil sie beispielsweise Informationen über Projekte, Dokumente oder Bargeld bei sich hatten. Helfer in Syrien genießen keinen internationalen Schutz und sie riskieren, sich vor einem Militärtribunal für die Finanzierung „terroristischer Aktivitäten“ verantworten zu müssen.

Hilfe unter Geheimhaltung

Internationales Recht ist zu einer Utopie geworden. Hilfe für die Zivilbevölkerung in von der Opposition kontrollierten Gebieten oder für Menschen in Städten, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, wird als Akt des Widerstands verstanden. Humanitäre Hilfe folgt jedoch den Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit. In Syrien muss die Hilfe für Menschen in Not daher unter größter Geheimhaltung erfolgen.

Krieg wird immer brutaler

Zugleich verschärft sich der Krieg in Syrien. Neue bewaffnete Gruppen bilden sich, die die Zivilgesellschaft in den Gebieten der Opposition marginalisieren und den Raum für soziale und humanitäre Aktivitäten weiter schrumpfen lassen. Manche Gruppen versuchen, Hilfe auch für ihre politische Agenda zu nutzen, indem sie nur bestimmten Personen Zugang zu Gesundheitskliniken und Verteilungen ermöglichen. Wenn Zugang zu humanitärer Hilfe als Kriegswaffe benutzt wird, werden allerdings nicht nur die Leben der Menschen in Not aufs Spiel gesetzt, sondern auch die der Helfer.

Der Angriff am Montagabend in Aleppo war zwar der erste auf einen offiziellen UNO-Hilfskonvoi. Aber es war leider nicht das erste Mal, dass humanitäre Hilfe unter Beschuss kam. Krankenhäuser, Schulen und Lagerhäuser sind regelmäßig Ziele.

Es ist das Mandat von Care und unseren Partnern, weiterhin in Syrien zu helfen. Es ist inakzeptabel, dass Helfer dabei rücksichtslosen Angriffen ausgesetzt sind, die nicht zwischen Kriegsparteien und Zivilisten unterscheiden. Stephen O'Brien, Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, hat klar ausgesprochen, dass geplante Angriffe auf humanitäre Helfer ein Kriegsverbrechen sind.

Die Menschen in Syrien sind ausgelaugt von den Jahren der Gewalt, des Leids und des Hungers. Das Mindeste, was die internationale Gemeinschaft ihnen schuldet, ist ein sofortiger, uneingeschränkter Zugang zu humanitärer Hilfe, ein Ende der Belagerung und eine Feuerpause. Dies kann den Weg bereiten für ein Ende der Kämpfe hin zu einer politischen Lösung für diesen abscheulichen Krieg.

Sonja Meyer ist Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Care für die Nothilfe in Syrien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2016)

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