Wollen die Kolumbianer denn keinen Frieden?

Warum der Friedensvertrag mit der linken Guerilla abgelehnt wurde.

Mit Unverständnis ist international die Ablehnung des Friedensvertrags zwischen dem kolumbianischen Staat und der linksgerichteten Farc-Guerilla bei einem Referendum am Wochenende aufgenommen worden. Die Ablehnung war mit etwa 55.000 Stimmen Unterschied knapp, dennoch: Wollen die Kolumbianer keinen Frieden?

Die niedrige Wahlbeteiligung wird als Grund für das Nein genannt, eine angeblich mangelnde Rücksichtnahme auf die Opfer der Farc als ein weiterer. Letzteres wird zumeist dadurch untermauert, dass der Friedensvertrag vor allem in jenen Regionen abgelehnt worden sei, wo die Farc die meisten Verbrechen begangen habe.

Ein genauerer Blick auf die regionale Verteilung der Resultate zeigt jedoch, dass diese Schlussfolgerung so einfach nicht zutrifft. Vielmehr ist festzustellen, dass das Nein vor allem dort dominiert, wo die bekanntesten Stimmen der politischen Kampagne gegen den Friedensprozess ihre Machtbasis haben: insbesondere in Antioquia, der Heimatprovinz von Ex-Präsident Álvaro Uribe, sowie in Regionen, wo die traditionelle kolumbianische Landelite nach wie vor über großen Einfluss verfügt.

Eine international unterschätzte Komponente des Friedensprozesses ist seine enge Verwobenheit mit bestehenden Konkurrenzen innerhalb der unterschiedlichen ökonomischen Interessengruppen in Kolumbien.

Urbane kontra Landelite

Während etwa die Industriellenvereinigung Andi, die die international ausgerichtete Business-Elite in Bogotá repräsentiert, die Friedensverhandlungen unterstützt und damit auch die Mehrheit der regierenden neokonservativen Partei (Partido de la U) von Präsident Juan Manuel Santos mitgenommen hat, stemmt sich die Landelite, mit Ex-Präsident Uribe als ihrem zentralen Sprachrohr, gegen den Friedensvertrag. Es geht bei diesem Ringen um die politische Machtverteilung, ideologische Orientierungen und nicht zuletzt um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Die Rolle der Bacrims

Ein Frieden mit der Farc hinterlässt gerade in rural geprägten Regionen nicht nur wirtschaftliche Gewinner. Ein wichtiger Faktor ist hier der Bereich der illegalen Ökonomie, der von verschiedenen, aus den rechtsgerichteten Paramilitärs hervorgegangenen Verbrechenskonglomeraten – den sogenannten Bacrims (Kürzel für kriminelle Banden) – dominiert wird.

Uribe steht sinnbildlich für dieses Segment. Seine Verbindungen zu Paramilitärs und Drogenmafia sind seit seiner Zeit als Regionalpolitiker in Medellín bekannt. Aus später veröffentlichten Dokumenten wurde etwa bekannt, dass ihn die US-Aufklärung 1991 als eine zentrale Figur des kolumbianischen Drogenhandels einstufte.

Es ist also nicht überraschend, dass die Regionen mit der größten Ablehnung des Friedensvertrags zugleich auch jene Regionen sind, in denen die 10.000 Bewaffneten der Bacrims besonders aktiv sind. Wenngleich direkte Wahlbeeinflussung vermutlich auf direkt von Banden kontrollierte Viertel beschränkt bleibt, wird in den betreffenden Regionen dennoch eine klare Stimmung gegen jeden Kompromiss mit der Farc erzeugt – aus wohlkalkuliertem Interesse.

Der Friedensprozess hat es – bisher – nicht geschafft, diese Interessen zu berücksichtigen und integrativ zu wirken. Dies ist nun die entscheidende Aufgabe: Die Farc kann dazu wenig beitragen, sie obliegt der Verantwortung der kolumbianischen politischen Elite. Angesichts der diametralen Interessenslagen wird dies ausgesprochen schwierig werden.

Jan Pospisil arbeitet im Political Settlements Research Programme an der University of Edinburgh und ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)

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