Wählen nach Syrien, Brexit und Trump

Am 4. Dezember stehen nur mehr zwei Kandidaten zur Wahl, auch für jene Wähler, die ursprünglich weder noch wollten. Eine Wahlpflicht gibt es nicht mehr. Dafür aber umso mehr eine Wahlverpflichtung.

Im internationalen Umfeld von Syrien, Brexit und Trump steht Österreich zum dritten Mal vor einer Bundespräsidentenwahl. Brexit und Trump werden als Revolte der „Vergessenen“ gegen das politische Establishment interpretiert. Das verändere die Ausgangslage für die österreichische Protestpartei FPÖ und ihren Kandidaten, Norbert Hofer, grundlegend.

Nun ist die FPÖ und ihre Politphilosophie gegen das Establishment tatsächlich Teil eines zumindest europaweiten Trends zu EU-feindlichem, semiautoritärem Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und hemmungslosem Populismus. Eines Trends, der Österreich nunmehr die zweifelhafte Chance bietet, zu seinem ersten europäischen Erfüller zu werden.

Trends bilden sich aus einer Wechselwirkung von Gefühlen und Empfindungen, zwischen Bauch und Hirn. Einmal für längere Zeit Gefühltes verfestigt sich und wird dann unmerklich über die Empfindung zur Überzeugung, deren unscharfe Entstehung längst in Vergessenheit geraten ist. Dieser Prozess verstetigt sich mit der Zeit.

Die alternde und damit sich verfestigende Empfindung führt gelegentlich zur Ideologie, die dann floriert, wenn es ihr gelingt, Maßnahmen zur Beseitigung des ursprünglich gefühlten Negativen als wirksam darzustellen. Ideologie ist dann der Trend, und der Trend ist die Ideologie. Beides erscheint schicksalhaft, unvermeidbar; beides ist im Grunde genommen hohl und schwach, neigt aber, wie so oft bei Schwäche, zur Intoleranz.

Die Blindheit der Etablierten

Wenn feindliche Trends auf etablierte Strukturen stoßen, zeigt sich, mit welcher Blindheit die Etablierten geschlagen sind. Jede bessere Revolution bietet Anschauungsunterricht. Aber auch die Regierten trifft und verunsichert es; groß ist die Zahl der Diktatoren, die über demokratische Wahlen „ungewollt“ zur Macht gekommen sind. Aber alle Betroffenen ziehen aus diesen politischen Realitäten falsche Schlüsse. Das zeigt die Auswahl der Hofburg-Kandidaten von SPÖ und ÖVP ebenso wie das Strohfeuer des Wahlerfolgs für das Team Stronach.

Was sich dort ankündigte – die dumpf-starke, aber noch unscharfe Sehnsucht des Wahlvolkes nach echter Veränderung – dominierte dann die Bundespräsidentenwahl: Auch wenn die Bedeutung von Bundespräsidenten- und Nationalratswahlen unterschiedlicher kaum sein könnte, war das doch das Ende des „Lagerwahlkampfes“ und ein erster echter Personenwahlkampf in der österreichischen Innenpolitik. Mit Irmgard Griss gab es erstmals eine wirklich unabhängige Kandidatin, der um Haaresbreite der Erfolg versagt blieb; für die beiden Regierungsparteien ein Waterloo. Die folgende Stichwahl zeigte klar eine Abkehr von polarisierendem Populismus.

Dass die FPÖ dieses Ergebnis nicht akzeptiert hat, ist aus ihrer Sicht absolut folgerichtig. Zwar ist Hofer der Kandidat der FPÖ, die sich selbst als Bewegung bezeichnet, aber er ist nur ein Teil eines blauen Dreigestirns Kickel-Strache-Hofer. Der Generalsekretär der FPÖ ist zweifellos der „Kopf“, der Mastermind hinter den Kulissen des Hofer-Wahlkampfes – und wohl auch des Aufstiegs der FPÖ und des Gangs zum VfGH. Der Kandidat heißt vordergründig Norbert Hofer, in Wahrheit aber FPÖ. Hofer ist Teil dieser „Bewegung“, die mit aller Macht (und allen Mitteln) nach oben drängt.

Es geht also um eine grundsätzliche Richtungsentscheidung und nicht „nur“ um den Präsidenten. Das macht diese Wahl so überdurchschnittlich wichtig. Zudem wäre die Wahl Hofers der erste sichtbare Triumph für den europäischen Rechtspopulismus à la Wilders und Le Pen und würde Österreich in jenes rechte Eck stellen, in das es einfach (noch) nicht gehört.

Auch die innenpolitischen Auswirkungen wären vielfältig. Mit den verfassungsgemäßen Vollmachten hätte Hofer die Möglichkeit, anders als seine Vorgänger seit 1945, vielfach polarisierend zu handeln. Nach der ersten Stichwahl hat die FPÖ mit ihrem Einspruch einen Vorgeschmack geliefert (das allerdings nicht unumstrittene Erkenntnis des VfGH wäre auch ein lohnendes Thema für eine juristische Klausurarbeit).

Hofer und Strache stellen die zwei Gesichter der Partei nach außen dar, Strache in seiner rabaukenhaften scheindynamischen Jugendlichkeit, rhetorisch von großem Können, wenn auch immer wieder über das Ziel schießend (etwa mit seinem „Bürgerkrieg“-Ausspruch), für ein verbessertes Image frisch vermählt im Zeichen der volkstümlichen Tracht. Hofer als Symbol der milden Seite der „Bewegung“, der die Furcht des Bürgers vor dem Rabauken abwenden und ein wirksames Gegengewicht zum als links verteufelten Kandidaten Van der Bellen darstellen soll – so wahr ihm Gott helfe! Hofer hat sich zu Anfang des Wahlkampfes ungebremst gegen Europa ausgesprochen, in der Folge das relativiert. Seine Position in vielen Fragen erscheint flexibel, wie jüngst ein „ZiB 2“-Interview gezeigt hat.

Die formativen Einflüsse auf sein Weltbild, sein geistiges Umfeld sind ohne Zweifel retro – auch wenn daraus immer wieder scheinattraktive Gegenpositionen zur gegebenen, ungeliebten Gegenwart formuliert werden. Sein im Wahlkampf geäußertes Statement: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist . . .“ lässt vieles offen. Hofer ist aber unzweifelhaft prominenter Vertreter einer politischen Partei und wird immer in deren Interesse handeln. Er ist Parteipolitiker und würde es auch als Bundespräsident bleiben.

Alexander Van der Bellen kandidiert als Unabhängiger, hat aber als langjähriger Bundessprecher der Partei die Unterstützung der Grünen. Seine Wählerschaft geht weit über das grüne Lager hinaus und ist heterogen, aber vereint in ihrer Gegnerschaft zur FPÖ. Er vertritt erstaunlicherweise zahlreiche Ansichten, die alles andere als trendig sind. Er ist für Europa, was heutzutage eine Menge politischen Mutes erfordert.

Trotz der mehrheitlich grünen Finanzierung seiner Kampagne vertritt er glaubhaft eine Überparteilichkeit für das angestrebte Amt. Er hat seine Positionierung in den bisherigen Wahlkämpfen unverändert beibehalten, wenn auch in heißen Momenten des Wahlkampfes gelegentlich schärfer formuliert. Das verleiht ihm erhöhte Glaubhaftigkeit, auch wenn seine Intellektualität seine für den Wahlerfolg wichtige Volkstümlichkeit vermindert.

Bekannte politische Größe

Von ihm kann erwartet werden, dass er seine Vollmachten mit Sorgfalt einsetzen würde. Er vertritt die für das Amt erforderliche Unparteilichkeit glaubhaft. Seine grüne Vergangenheit ist dafür kein Hindernis, die österreichischen Grünen waren nie Teil des verhassten Establishments. Er ist zwar eine bekannte politische Größe, war aber nie Teil des regierenden „Systems“ – eher sein Bekämpfer.

Am 4. Dezember stehen nur mehr zwei Kandidaten zu Wahl, auch für jene Wähler, die ursprünglich weder noch wollten. Eine Wahlpflicht – wie in der Verfassung vorgesehen – gibt es nicht mehr. Dafür aber umso mehr eine Wahlverpflichtung, gerade für diese Grundsatzwahl.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Prof. Stephan Friedberg war langjähriger Geschäftsführer von Bertelsmann Music Österreich und Präsident der österreichischen Landesgruppe der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI), Member of the Board IFPI London. Über viele Jahre vertrat Friedberg die urheberrechtlichen Interessen der Musikindustrie in Österreich. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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