Spirale des Misstrauens

Niemals hat ein Projekt die Türkei so tief gespalten wie dieses von Erdoğan vorangetriebene Verfassungsreferendum.

Wer die Türkei wirklich liebt, hätte dem Land dieses Verfassungsreferendum erspart. In einer repräsentativen Demokratie, deren Ziel es sein sollte, wirtschaftliche und soziale Vielfalt zu erhalten und zu vertiefen, ist es politisches Gift, eine derartige grundlegende politische Veränderung herbeizuführen.

Das am Sonntag angesetzte Verfassungsreferendum hat die politische Zerrissenheit immens vergrößert und einen Teil der Bevölkerung, die dieser Verfassungsveränderung ablehnend gegenübersteht, ins existenziell bedrohliche Abseits katapultiert. Niemals zuvor war die Türkei so tief gespalten wie seit der Ankündigung zu dieser Verfassungsabstimmung.

Durch diesen Weg, den die im Machtrausch befindlichen nationalistisch-islamistischen Eliten beschritten haben, geht es mit der politischen Stabilität im In- und Ausland rasant bergab, analog dazu die Wirtschaft. Die tiefe Spaltung des Landes wird noch viel ernstere Folgen haben, vor allem für die aufgeklärten Stimmen in der Türkei. Durch die autoritäre Politik der AKP wurde das Misstrauen gegen den Staat und seine Organe noch mehr geschädigt. Das ohnehin schwach gereifte demokratische Gemeinwesen in der Türkei hat einen irreparablen Rückschlag erlitten.

Geblendete Türken

Die Spirale des Misstrauens wird von der AKP mit Rückenwind aus Teilen der nationalistischen MHP weiter vorangetrieben. Durch die starke Präsenz in den gelenkten Massenmedien und durch nationalistisch-islamistische Trolle in den sozialen Netzwerken verbreiten die AKP und ihre Ableger Zwietracht, Hetze und direkte und indirekte Aufrufe zu Gewalt gegen Andersdenkende.

Die so geblendeten Türken verwechseln immer häufiger Unterstellungen mit Fakten, Tatsachen mit Verleumdungen.

Erdoğan wird mit seiner geplanten Verfassungsänderung den Weg der Intoleranz und Ineffizienz in der Türkei einbetonieren und das Land noch stärker in Richtung Abhängigkeit vom Ausland führen. Die unterzeichneten Milliardenverträge mit Saudiarabien und Katar, die Annäherung an die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) sowie die Gründung einer eigenen Stiftung, mittels der der Zugriff auf das gesamte Staatsvermögen ermöglicht wird, sind jetzt schon Belege dafür, dass ein Ausverkauf der Türkei eingeläutet ist.

Es gleicht dem Muster der Rechtspopulisten: Nach außen hin wird das Bekenntnis zu Vaterland, Nation und Heimat bekundet, hinter der Bühne aber wird der Ausverkauf forciert, um die eigenen Taschen und jene der Günstlinge des Systems zu füllen.

Unabhängig davon, wie das Referendum ausgehen wird: Die AKP unter Erdoğan übt Kontrolle über den Staat, die Religion, Wirtschaft, Finanzen, Kultur und Medien aus. Statt auf Minderheiten, Menschenrechte und Zivilgesellschaft Rücksicht zu nehmen, schürt er Emotionen und vernichtet mit einer Mischung aus Islam und Politik Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Medienfreiheit.

Die Rechnung dafür werden die Türken zu tragen haben – und die Türkei, die von potenzieller Vielfalt zur Einfalt verkümmert.

Efgani Dönmez (geboren 1976 in Sivas-Kangal, Türkei) war von 2008 bis 2015 für die Grünen im Bundesrat.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2017)

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