Gastkommentar

Stigmatisierung der Atomwaffen

Der neue Verbotsvertrag ist ein hart erkämpfter Meilenstein auf dem Weg zu einer Welt ohne Nuklearwaffen.

Vergangene Woche stimmten 122 Staaten bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung für den Vertragstext eines umfassenden Verbots von Nuklearwaffen. Dieser Vertrag ist das Resultat eines gut zehn Jahre dauernden Prozesses, der in mehrerer Hinsicht einen fundamentalen Wandel bei der internationalen Kontrolle militärischer Atomtechnologie erreicht hat.

Zyniker und Kritiker des Vertrages halten dagegen, dass die Aussicht auf Abrüstung seitens der bestehenden Nuklearwaffenstaaten schon lange nicht mehr so düster gewesen sei wie gegenwärtig; diese Staaten würden einen Verbotsvertrag schlichtweg ignorieren. Auch wenn sich künftige Prozesse substanzieller nuklearer Reduktionen zweifelsohne schwierig gestalten werden, verkennt diese Kritik doch die längerfristige Wirkmächtigkeit des Verbotsvertrags.

Die Präambel des Vertrags lässt erkennen, welchen fundamentalen Wandel das Politikfeld erfahren hat. Nicht mehr die nationale Sicherheit, die über Jahrzehnte das Denken und Handeln dominiert hat, sondern die Sicherheit des einzelnen Menschen und der Menschheit bildet nun eine alternative Prämisse dieses Politikbereichs.

Nicht mehr ausschließlich Diplomaten und Experten, sondern auch die Opfer der Produktion, des Testens und des Einsatzes von Nuklearwaffen haben nun einen festen Platz und eine legitime Stimme in Debatten über Nuklearwaffen. Und nicht mehr nur Staaten, sondern auch nicht staatliche, zivilgesellschaftliche Akteure wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes haben erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten.

Bemerkenswerter Wandel

Auch wenn dieser Wandel bemerkenswert ist und der Verbotsvertrag als historisch bezeichnet werden kann, wird er nicht unmittelbar oder im Alleingang zu nuklearer Abrüstung führen. So sehen das auch die Befürworter des Vertrags, wenngleich ihnen die Vertragsgegner den Glauben an einen spontanen Abrüstungserfolg und damit eine utopisch-naive Vision unterstellen. Der Realismus der Befürworter lässt sich auch daran erkennen, dass der Vertrag ein rechtlich bindendes Verbot von Nuklearwaffen als wichtigen Beitrag zu einer Welt ohne Atomwaffen bezeichnet, nicht als das ausschließliche Instrument globaler Abrüstung.

Längerfristige Relevanz

Die längerfristige Relevanz des Verbotsvertrags ist zunächst darin begründet, dass er den diffusen und umstrittenen Artikel VI des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages durch ein explizites und umfassendes Rahmenwerk ergänzt. Weiters werden Nuklearwaffen durch diesen Vertrag delegitimiert und stigmatisiert. Der Vertrag ist damit eine verstetigte Form des Drucks auf Besitzer von Nuklearwaffen sowie jene Staaten, die unter einem nuklearen Schutzschirm stehen.

Der Druck allein wird Staaten wohl nicht zum nuklearen Verzicht bewegen. Er kann aber im Verbund mit anderen Faktoren, wie etwa Erwägungen hinsichtlich der Finanzierbarkeit von nuklearen Streitkräften oder wachsenden Bedenken über deren fehlerhafte Kontrolle nationale Atomwaffenpolitik maßgeblich beeinflussen. Nicht zuletzt ist der Vertrag aber auch ein ethischer Rahmen, der neue Generationen von außenpolitischen Entscheidungsträgern in ihrem Denken über Nuklearwaffen prägen wird.

Der Verbotsvertrag ist ein hart erkämpfter Meilenstein auf dem Weg zu einer Welt ohne Nuklearwaffen. An weiteren Verträgen zur Reduktion bestehender Arsenale wird jedoch kein Weg vorbeiführen. Auch wenn diese derzeit in weiter Ferne zu liegen scheinen, hat sie der Verbotsvertrag wieder greifbarer gemacht.

Martin Senn ist Professor für
Internationale Politik an der
Universität Innsbruck und Lektor
an der Diplomatischen Akademie Wien.


E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2017)

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