Gastkommentar

Individualität und Gehorsam sind ein Widerspruch

Die Gesellschaft hat sich geändert, die Aufgaben des Bundesheers sind gleich geblieben. Wertewelten prallen aufeinander.

Ungezählte, negative Erinnerungen ehemaliger Grundwehrdiener, Schockerlebnisse, unmenschliche Behandlung: Im Zuge des tragischen Todes eines jungen Rekruten berichten viele ehemalige Grundwehrdiener über ihre negativen Erfahrungen mit Ausbildern beim Bundesheer.

Und diese Erlebnisse lösen beim Leser Unwohlsein, Kritik und Unverständnis über die Ausbildungsmethoden beim Bundesheer aus. Offensichtlich besteht ein tiefer Graben zwischen den Bedürfnissen des Einzelnen und den Anforderungen, die das Bundesheer an junge Wehrpflichtige stellt.

Keine wesentliche Änderung

Werte, die unsere Gesellschaft prägen, sind Individualität, Selbstverwirklichung, Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, Transparenz und Meinungsfreiheit. Die Werte, die die Grundfesten des Militärs – und damit auch des Bundesheeres – bilden, sind jedoch ganz andere: Disziplin, Ordnung, Pünktlichkeit, Unterordnung, Befehl und Gehorsam. Und diese Werte haben sich seit Hunderten Jahren auch nicht wesentlich geändert.

Damit prallen zwei Wertewelten aufeinander; fokussiert auf den 18-jährigen Staatsbürger, der selbst noch mitten in der Bildung seiner eigenen Persönlichkeit steckt. Er trägt die Werte der Zivilgesellschaft mit sich und geht damit durch das Kasernentor, er prallt förmlich dagegen. Die bisherige Sozialisierung in einer behüteten Welt der Individualität wird innerhalb weniger Minuten durch die militärische Welt beendet: Es ist genau jener Kulturschock, den viele Grundwehrdiener erleben, wenn sie Soldat werden; mir ging es genauso, als ich im Oktober 1986 in die Jansa-Kaserne in Grossmittel eingerückt bin.

Die Gesellschaft hat sich schneller als das Militär verändert, mit dieser Herausforderung ist übrigens auch die katholische Kirche konfrontiert, eine Organisation mit ähnlichen Problemen wie das Militär: Werte prägen die Organisation, und Hierarchien sind stark ausgeprägt. Sie ist schwerfällig, sie steht für das Bewahrende, das Historische, das Ewige.

Uniform macht uniform

Die Werte, die das Bundesheer und damit jede Armee bestimmen, sind im Grunde unverrückbar: Individualität kann und darf in einer Armee keine Rolle spielen: Die Uniform macht uniform. Pünktlichkeit ist für das Gelingen militärischer Operationen die Voraussetzung, eine große Anzahl von Menschen kann man nur mithilfe klarer Strukturen und Hierarchien führen, und Befehl und Gehorsam sind die Grundfesten jeder militärischen Tätigkeit.

Und daher stehen diese Werte im Widerspruch zu den Werten unserer Gesellschaft: Sie werden auch von ihr nicht gelehrt, weder verlangt noch eingefordert. Sie haben schlichtweg keinen Wert.

Militärische Werte stehen jedoch nicht für sich und sind kein Selbstzweck. Sie schaffen die Voraussetzungen, damit Soldaten in einem militärischen Einsatz erfolgreich sind. Wer aber möchte in Österreich, im Jahr 2017 etwas von einem militärischen Einsatz hören? Streitkräfte sind jedoch genau dafür geschaffen: „Das Bundesheer als die bewaffnete Macht der Republik Österreich“, so steht es im Wehrgesetz. Aufgaben, mit denen das Bundesheer in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird – Hilfe nach Hochwasser, Assistenzeinsätze oder Lawinenbergungen –, können die Soldaten nur deshalb erfüllen, weil sie für einen militärischen Einsatz vorbereitet sind und die militärischen Werte angewendet werden. Angewendet, eingefordert, auch gegen Widerstand, manchmal auch zu heftig und zu laut.

Es entsteht der Eindruck, dass sich besonders viele ehemalige Grundwehrdiener aus Wien und dem Wiener Umland beim Militär unverstanden, schlecht und falsch behandelt fühlen. Ist es zusätzlich ein Stadt/Land-Problem? Werden die Werte unserer Gesellschaft bei der Stadtjugend noch mehr gelebt? Sind Individualität, Freiheit und Unabhängigkeit bei Stadtbewohnern noch stärker ausgeprägt als bei jenen am Land? Und würde das erklären, dass das Aufeinanderprallen der beiden Welten bei der Stadtjugend noch stärker erlebt wird?

Garde im Blickfeld

Besonders die Garde ist in den vergangenen Wochen im Blickfeld der Öffentlichkeit gestanden. Die Garde hat neben militärischen Aufgaben und einer damit verbundenen umfassenden Ausbildung die militärische Repräsentation Österreichs sicherzustellen. Bereits wenige Wochen nach dem Einrücken stehen 120 Soldaten in Reih und Glied und vollführen, nach einem kurzen Kommando, exakt das Gleiche. Beim Exerzieren fokussieren sich auch beinahe alle militärischen Werte wie in einem Mikroskop: Damit viele Soldaten exakt zur gleichen Zeit das Gleiche machen, sind Disziplin, Selbstdisziplin und Ordnung gefordert, Unterordnung und Gehorsam. Und alle Werte der Gesellschaft wie Individualität, Selbstverwirklichung oder Entfaltung der eigenen Persönlichkeit haben keinen Platz.

Die Werte der Gesellschaft und die militärischen Werte sind voneinander weit entfernt und stehen oftmals in einem Widerspruch. Dennoch ist gerade eine Wehrpflichtigenarmee wie in Österreich Garant dafür, dass die Werte sich immer wieder berühren, tangieren, treffen und austauschen. Bei einer Berufsarmee driften die Welten auseinander.

DER AUTOR

Oberst Mag. Michael Bauer (geboren 1965 in Wien) ist Absolvent der Theresianischen Militärakademie, Berufsoffizier. fünfjährige Verwendung als Kompaniekommandant einer Panzeraufklärungskompanie. 1999 bis 2003 Presseoffizier beim Kommando Internationale Einsätze. Studium der Politikwissenschaft an der Uni Wien, Lektor an der Donau-Uni Krems und an der FH Campus Wien. Seit 2009 Pressesprecher des Verteidigungsministeriums.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2017)

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