Gastkommentar

Sperren errichten gegen den Vormarsch des Hasses

Wir sind es all jenen, die unter autoritären Regimen gelitten haben, schuldig, heute für demokratische Werte aufzustehen.

Nach einem Aufmarsch weißer Rassisten in Charlottesville, Virginia, im August, bei dem die antifaschistische Aktivistin Heather Heyer getötet und weitere Menschen verletzt wurden, rügte US-Präsident Donald Trump in anrüchiger Weise „beide Seiten“ für die Gewalt. Indem er Neonazis mit jenen, die sich ihnen entgegenstellten, gleichsetzte, hat Trump das US-Präsidentenamt erneut besudelt. Und indem er einige Teilnehmer des Aufmarschs in Charlottesville als „ganz feine Leute“ bezeichnete, machte er sich mit bigotten Rechtsextremen gemein.

Ein paar Wochen später, während Hurrikan Harvey auf Texas niederging, begnadigte Trump Joe Arpaio, den früheren Sheriff von Maricopa County in Arizona. Arpaio war im Juli wegen Missachtung des Gerichts verurteilt worden, weil er sich der Anordnung eines Bundesrichters widersetzt hatte, das „racial profiling“in Bezug auf Latinos einzustellen. Doch aus Sicht Trumps wurde Arpaio „dafür verurteilt, dass er seinen Job gemacht hat“.

Solidarisch mit Rassisten

Arpaio prahlte einst, dass das Freiluftgefängnis, in dem er illegale Einwanderer einsperrte, so etwas Ähnliches wie ein Konzentrationslager sei. Er ist inzwischen Exponent der Tea Party und anderer fremdenfeindlicher rechter Bewegungen. Durch die Begnadigung Arpaios hat Trump einmal mehr implizit seine Solidarität mit weißen Rassisten und Nativisten deutlich gemacht. Traurigerweise haben viele von Trumps Verbündeten in der Republikanischen Partei auf seine Aussagen und Handlungen bestenfalls mit einem Stirnrunzeln reagiert.

Aber auch in Europa ist eine erschreckende Zunahme von Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu verzeichnen. Und es wäre an der Zeit, dass die Europäer, die den weißen Rassismus gern als amerikanisches Phänomen abtun, vor der eigenen Tür kehren. Seit Trumps Wahl und dem Brexit-Referendum in Großbritannien sind Volksverhetzung und Verbrechen gegen ethnische Minderheiten und Ausländer in vielen westlichen Ländern „normal“ geworden.

Das verpestete Internet

Besonders besorgniserregend ist dabei, dass die Intoleranz unter jungen Leuten im Aufwind zu sein scheint. Die britische Zeitschrift „TES“ vermeldet, dass „Hassdelikte und durch Hass motivierte Zwischenfälle an britischen Schulen“ im Sommer und Herbst 2016 gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahres um 48 Prozent zugenommen hätten. Wie der Bericht vermerkt, fällt dies zeitlich mit dem Brexit-Referendum und der Wahl Trumps zusammen.

In der heutigen Informationslandschaft haben sich die sozialen Medien zum wichtigsten Mittel zur Verbreitung von Hass entwickelt. Die größten Social-Media-Plattformen hosten inzwischen zahllose gefälschte und anonyme Konten, die fremdenfeindliche, nationalistische und rassistische Botschaften ausspeien.

Diese Konten verpesten ein Medium, an dem viele junge Menschen Spaß haben, und setzen ein leicht beeinflussbares Publikum gefährlichen Falschmeldungen und Verschwörungstheorien aus. In der Mehrzahl der Fälle werden sie ungestraft von durch Russland finanzierten Trollen in Mazedonien oder in Osteuropa betrieben. Doch sind es nicht nur Internettrolle, die Rassismus, Antisemitismus und Homophobie ermöglichen. Viele Politiker und prominente Meinungsbildner tun weltweit dasselbe.

Zwar haben die Führungen etablierter Parteien der Gewalt von Charlottesville und Trumps Reaktion darauf eine klare Absage erteilt, doch sie müssen mehr tun. Mehr denn je muss die EU jetzt ihr Bekenntnis zur Aufrechterhaltung ihrer Kernwerte Gleichheit und Toleranz demonstrieren.

Die Tatsache, dass die ungarische und die polnische Regierung vorsätzlich die demokratischen Institutionen in ihren Ländern untergraben, sollte Beleg genug sein, dass wir Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht als selbstverständlich betrachten können. Es hat viele Jahre gedauert, demokratische Institutionen in Mittel- und Osteuropa aufzubauen, aber nur ein paar Parlamentswahlen, um diesen Fortschritt rückgängig zu machen.

Bildung ist entscheidend

Zum Wohle der europäischen Demokratie müssen die übrigen EU-Mitgliedstaaten jetzt kollektiv tätig werden, um diese zunehmend autoritären Regierungen wegen ihrer Übertritte mit Sanktionen zu belegen.

Angesichts der Tatsache, dass der Hass wieder auf dem Vormarsch ist, müssen wir uns daran erinnern, dass Bildung entscheidend im Kampf gegen den Autoritarismus ist, der aufblühen kann, wenn Generationen satt und selbstgefällig werden. Um sicherzustellen, dass demokratische Werte Bestand haben, müssen wir alle dazu ermutigen, über die Lehren der Vergangenheit nachzudenken, als Millionen groteskem Missbrauch ausgesetzt waren.

Wir sind es all jenen, die in der Vergangenheit unter autoritären Regimen gelitten haben, schuldig, jetzt für demokratische Werte aufzustehen. Wir können damit beginnen, dass wir wie Heather Heyer den rechtsgerichteten Populisten entgegenwirken, die im Westen offen Hass säen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan,

Copyright: Project Syndicate, 2017.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Guy Verhofstadt
(*1953 in Dendermonde) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Gent. Er gehört der Partei der Flämischen Liberalen und Demokraten an und war von 1999 bis 2008 belgischer Ministerpräsident. Er war Präsident der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (Alde) im Europaparlament. Er ist Chefunterhändler des EU-Parlaments für die Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich (Brexit). [ AFP ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2017)

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