Gastkommentar

Gastkommentar: Der Affe und der Zucker, die Politik und der Boulevard

Das wechselseitige Geben und Nehmen zwischen Politik und Boulevardmedien treibt in Österreich ganz besondere Blüten.

Österreich ist in Aufruhr. Der Kanzler will keine Inserate mehr im Boulevardblatt „Österreich“ schalten. Er reagiert auf ein beispielloses Kanzler-Bashing, das Wolfgang Fellners „Krawallblatt“ (offensichtlich eine mittlerweile anerkannte neue Subkategorie des Boulevard) seit Monaten mit einer Leidenschaft betreibt, die viel Platz und Energie beansprucht. Energie, die man auch in relevante Berichterstattung stecken könnte.

Fellner antwortet mit ebenso demonstrativer wie unglaubwürdiger Gelassenheit: Die nicht einmal 50.000 Euro, für die die SPÖ gebucht hätte, würden sogar unter dem Inseratevolumen der Neos liegen. Ganz beiläufig eine bemerkenswerte Indiskretion, Fellner plaudert sorglos Details über Streupläne seiner Kunden aus!

13 Jahre nach der Gründung von Facebook kann in Österreich die Wirkung der klassischen Boulevardmedien immer noch nicht überschätzt werden. Und damit auch deren Relevanz für Parteien und Politiker. Tageszeitungen haben aktuell eine Gesamtreichweite von 67 Prozent – bei den am Wahltag besonders ausschlaggebenden Älteren über 60 Jahren gar über 80 Prozent! Und hier erzeugt die Politik zwei Drittel ihres medialen Drucks über „Kronen Zeitung“, „Österreich“ und „Heute“ (berücksichtigt: Volumen und Reichweite). Werner Faymanns Abhängigkeit vom Boulevard lag sogar jenseits der 75-Prozent-Marke!

Schreckgespenst für Politiker

Auch wenn die Medienhäuser ihre Geschäftsmodelle den sich ändernden Konsumgewohnheiten ihrer Leser anpassen, online gehen und unterschiedlichste Kanäle bespielen: Ein schlechter Aufmacher in der Printausgabe der „Kronen Zeitung“ ist immer noch das Sinnbild eines Schreckgespensts für Politiker – da kann online viral gehen, was immer auch will.

Das wechselseitige Geben und Nehmen zwischen Politik und Boulevard treibt in Österreich schon besondere Blüten. Die „Kronen Zeitung“ etwa kampagnisiert leidenschaftlich – und lässt sich zur Kampagnisierung auch benutzen, wenn eine Kompatibilität mit der grundsätzlichen Positionierung des Blatts besteht. Denn man kann zur „Kronen Zeitung“ stehen, wie man will – ihr in grundsätzlichen Themen eine Blattlinie abzusprechen geht nicht!

Wenn Jeannée der „Burka-Polizei“ zusagt, die „Kronen Zeitung“ stünde gesamtredaktionell hinter ihr, lässt das auf eine beeindruckende Gleichschaltung schließen. Damit unterscheidet sie sich fundamental von der „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“-Mentalität von „Österreich“. Hier erscheint die „Berichterstattung“ killerinstinktgesteuert und gar nicht reflektiert, folgt aber im Zweifelsfall doch der Logik des Geldes.

Und so cool, wie Fellner den Inserateboykott kleinreden will, läuft das dort mit Sicherheit nicht ab. Denn es geht ums Prinzip! Wenn so etwas einreißt und Schule macht, scheitert das Geschäftsmodell seines Blatts ebenso wie jenes der U-Bahn-Zeitung „Heute“.

Die SPÖ hat einer spöttischen Journaille im Wahlkampf zuletzt ja eine Steilvorlage nach der anderen geliefert, eine erneute Aufzählung der Pannen ist hier nicht nötig. Die primitive Aufarbeitung, die „Österreich“ geliefert hat, ist aber schon eine Klasse für sich!

Wenn Fellner nun im „Zeit im Bild“-Interview sagt, „Österreich“ werde auch in Zukunft betont fair, ausgewogen und unabhängig über Kanzler Kern berichten, kommt das einer gefährlichen Drohung gleich. Christian Kern mag jetzt einfach nicht mehr – alles habe seine Grenzen, sagt er. Vielleicht ist das ja der Anfang eines Umdenkens in der Medienpolitik.

Boulevard hat eigene Gesetze

Presseförderung, Schaltungen und Medienkooperationen öffentlicher Stellen müssen endlich an die Erfüllung definierter journalistischer Kriterien gebunden werden, die entsprechende Kontrolle wäre beim Presserat gut aufgehoben.

Im Boulevard herrschen eigene Gesetze. Wer sie befolgt, gewinnt. Wer sich widersetzt, wird im besten Fall ignoriert (in der Politik schlimm genug) oder an den medialen Pranger gestellt. Diese fortgesetzte Konditionierung der Politik beispielsweise in der Asylfrage ist auch ein Ergebnis der Boulevard-Berichterstattung.

In Oberösterreich lagen für den im Sommer 2015 wahlkämpfenden Josef Pühringer Peitsche und Zuckerbrot der (OÖ-)„Krone“ nur zwei Tage auseinander. Dazwischen stand dessen radikaler, ihm offensichtlich widerstrebende Kurswechsel in der Frage des Umgangs mit ankommenden Flüchtlingen. Danach war Pühringer in seiner Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht mehr authentisch, aber die „Kronen Zeitung“ ruhiggestellt.

Das Muster ist bekannt und bewährt, Faymanns Brief an Dichand 2008 zum Lissabon-Vertrag war ebenfalls eine wirksame Unterwerfungsgeste und beendete ein wahres Trommelfeuer an EU-kritischer Berichterstattung in der „Kronen Zeitung“. „Wer in Österreich regiert, bestimmen die Wähler erst in zweiter Linie“ kommentierte die „FAZ“ damals die politische Kultur in Österreich.

Die Law-and-Order-Helden

Die im Boulevard erfolgreichen Politiker sind zuallererst die, die eine Law-and-Order Mentalität an den Tag legen. Zuerst Mikl-Leitner, dann Sobotka oder auch Doskozil haben damit ein leichtes Spiel, und Sebastian Kurz hat nachgezogen. Durch die Unterordnung unter die Österreich-zuerst-Doktrin des Boulevard wurde die ÖVP – auf Kosten der FPÖ – vom Schmiedl in der Asyl- und Ausländerpolitik letztlich doch noch zum Schmied. Und – man mag es nicht mehr hören oder sagen – dieses Thema „überdeckt alles andere“. Wer hier das Ohr am Boulevard hat, der hat einen gewaltigen Vorteil.

So hat die „Kronen Zeitung“ ganz klar ihre Lieblinge. Davon profitiert auch ein Peter Pilz, der hier ein Protektorat gefunden hat, aus dem heraus er trefflich gegen den ORF – einen Lieblingsfeind der „Krone“ – schießen kann! Pilz, der schon als grüner Abgeordneter eine Präsenz vorweisen konnte, die manchen Minister hätte neidisch machen können, verkörpert einen Typ, auf den die „Krone“ abfährt. Ein Robin Hood wie einst Hans-Peter Martin, den sie ins EU-Parlament gehievt hat – damit kann man sich dort identifizieren.

Hoch lebe das Feldbild!

Wer mitspielt, etwa das Sicherheits- zu einem Ausländerthema oder die Steuer- zu einer Neiddebatte macht, der hat die „halbe Miete“ in der Tasche (Jeannée). Kaum etwas läuft ohne Feindbild. Komplexität verwirrt den Boulevard, um die aufzulösen, braucht es Platz – und an dem herrscht angesichts bunter Bilder und Headlines absurden Ausmaßes großer Mangel. Das Verhältnis von Bild zu Text liegt in „Österreich“ bei 65:35! In der „Krone“ immer noch bei 61:39. Und hier sind die Headlines noch nicht einmal einberechnet.

Daran muss ein intellektueller, manchmal geradezu verkopfter Zugang wie jener der Neos scheitern. Im Februar und März dieses Jahres kam Matthias Strolz in der „Kronen Zeitung“ auf exakt eine Meldung. Es ging um die Frage, ob uns in Österreich die Skifahrer ausgehen würden. Und da geht es für Österreichs größte Tageszeitung dann wirklich ans Eingemachte.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Walter Schwaiger

(*1973) ist Geschäftsführer von MediaAffairs. Die von ihm entwickelte Methode der Medienmarktanalyse versteht sich als Teil der Marktforschung. Schwaiger berät in kommunikationsstrategischen Fragen sowohl in politischem als auch wirtschaftlichem Kontext. MediaAffairs veröffentlicht außerdem Studien. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2017)

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