Gastkommentar

Die verlorenen Stimmen bei der Nationalratswahl

Wenn Wahlkarten im Ausland nicht ankommen, wächst der Unmut.

Die Nationalratswahl im Oktober war entscheidend für die weitere Entwicklung Österreichs. Bei vielen Wählerinnen und Wählern war das Bedürfnis, mitzubestimmen, besonders groß. So lag die Wahlbeteiligung mit 80 Prozent gleich fünf Prozent über der Wahl 2013. Wahlkarten hatten einen nicht unerheblichen Anteil daran. Mit 750.000 Stück erreichten sie heuer einen historischen Höchststand. Einfluss auf das Wahlergebnis hatten jedenfalls auch rund 400.000 Österreicherinnen und Österreicher im Ausland.

Die Wahlbeteiligung hätte sogar noch höher sein können. Der Wahltag brachte für viele Wähler im Ausland nämlich die bittere Gewissheit, faktisch von der Wahl ausgeschlossen zu sein. In vielen Fällen kamen die Karten nicht nur zu kurzfristig an, um rechtzeitig zurückgeschickt zu werden, es häufen sich auch Berichte von Personen, die ihre Wahlkarte erst nach der Wahl erhielten.

Dieses Problem ist keinesfalls neu. Schon die vergangene Bundespräsidentenwahl wurde von Medienberichten über Wahlkarten begleitet, die entweder zu spät oder gar nicht ankamen. Umfragen zeigen, dass es sich dabei um ein weitverbreitetes Phänomen handelt, das nicht nur auf einige weiter entfernte Länder wie Australien oder die USA beschränkt war. Beschwerden kamen auch aus zahlreichen europäischen Nachbarstaaten, in die der Postweg nicht so lange in Anspruch nehmen sollte.

Desinteresse & Gleichgültigkeit

Offizielle Reaktionen machen nur wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage. Beschwerden wird zumeist mit Desinteresse oder Gleichgültigkeit begegnet. Einer verärgerten Österreicherin in Australien teilte das Innenministerium unlängst mit, dass sich „eine Verbesserung (. . .) nur im Weg einer Gesetzesänderung“ herbeiführen ließe. Ergänzt wurde dies mit folgendem Satz: „Man muss sich dabei aber im Klaren sein, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Fristengefüges gegebenenfalls nur bis zu einem gewissen Grad auf insuffizient tätig werdende Postverwaltungen in anderen Staaten wird Rücksicht nehmen können“.

Wählen in den Botschaften

Solche und ähnliche unbefriedigende Antworten werden wohl wenig dazu beitragen, den Unmut zahlreicher unfreiwilliger Nichtwähler zu beschwichtigen. Da das Problem schon länger bekannt ist, wäre es jedenfalls an der Zeit, eine Lösung dafür zu finden. Immerhin sollte man in Zeiten steigender Politikverdrossenheit eigentlich versuchen, mehr Menschen zum Wählen zu bewegen.

Vielleicht ist bei der Suche nach einer Lösung nur etwas mehr Initiative der zuständigen Stellen gefragt. Sollte eine Fristverlängerung nicht möglich sein, könnte sich der Gesetzgeber ja auch andere Möglichkeiten überlegen, um Wählern im Ausland die Stimmabgabe zu ermöglichen. Man könnte etwa die österreichischen Vertretungsbehörden stärker einbinden.

Stimmzettel könnten auch von den Botschaften statt von den Heimatgemeinden bezogen werden. Man könnte zudem überlegen, Auslandsösterreichern wie in anderen EU-Staaten das Wählen direkt in den Botschaften zu ermöglichen. Ebenso ist es eventuell sinnvoll, über eine Online-Stimmabgabe (E-Voting) nachzudenken.

Möglichkeiten gäbe es also, es fehlt bisher anscheinend an Initiativen. Neben dem politischen Unmut, den das derzeitige mangelhafte System hervorruft, verursacht der zu späte Versand Zehntausender Wahlkarten in alle Welt schließlich auch unnötig hohe Kosten, die von der Allgemeinheit getragen werden müssen.

Philipp Strobl studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Innsbruck; derzeit forscht er an der Swinburne University of Technology in Melbourne/Australien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2017)

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