Gastkommentar

Bitcoin ist keine Blase. Es ist ein Big Bang!

Wie Gold hat Bitcoin nicht deshalb einen Wert, weil es nützlich ist. Sondern es ist nützlich, weil es einen Wert hat.

Ist Bitcoin eine Blase, ein Betrug, ein Pyramidenspiel? Schwer zu sagen. Das Seltsame an Bitcoin ist nämlich Folgendes: während Bitcoin in seinen Wesenszügen wahrscheinlich ein Pyramidenspiel ist und eigentlich aus gar nichts besteht, folgt daraus noch nicht, dass es notwendigerweise kollabieren wird. Um das klar zu sehen, muss man zwei Ideen auseinanderhalten, die meist zusammengeworfen werden. Das eine ist die Idee, dass etwas im Kern aus nichts besteht. Das andere ist die Idee, dass etwas eine Blase ist, die irgendwann platzen muss. Etwas kann aus nichts bestehen und niemals platzen, und alles, was platzt, besteht deswegen nicht schon notwendigerweise aus nichts.

Viele Kommentatoren äußern jüngst die durchaus plausible Meinung, dass Bitcoin keinen Wert haben kann, weil es im Grunde gar nichts ist und auch nichts darstellt. Gemäß dieser Einschätzung ist Bitcoin in seinem Kern ein Betrug. Nicht der Umstand, dass Bitcoin einen zu hohen Preis hätte, ist problematisch, sondern der Umstand, dass es überhaupt einen Preis hat.

Tiefe Wahrheit

Dieser Meinung wohnt eine tiefe Wahrheit inne, auf die ich unten zurückkommen werde. Als praktischer Ratschlag oder Vorhersage eines Preises ist sie aber ein bisschen albern. Was auch immer die Preisentwicklung von Bitcoin sein mag, es ist sehr unwahrscheinlich, dass Bitcoin jemals buchstäblich nichts wert sein wird: Sogar die Nummer 500 in der Hitparade der Kryptowährungen, ein seltsames Wesen namens FuckToken, hat eine Marktkapitalisierung von etwa 820.000 Dollar. Zu glauben, dass Bitcoin, in dem derzeit etwa 135 Milliarden echte Dollar stecken, einmal gar nichts wert sein wird, ist eine seltsame und unrealistische Vorhersage.

Ist es dann nicht zumindest wahrscheinlich, dass der Preis von Bitcoin auf einen viel tieferen Wert abstürzen wird? Ist Bitcoin nicht tief im Blasenterritorium?

Die innere Logik von Blasen ist ein faszinierendes Thema. In einem Blasenmarkt übernimmt eine Rückkopplung von Irrationalität die Handlungsmaximen der Marktteilnehmer: Einen klar überteuerten Wert zu kaufen ist natürlich unsinnig und dumm. Wenn so ein Kauf aber in einem ebenso unsinnigen und dummen Umfeld stattfindet, beginnt er plötzlich Sinn zu ergeben: Einen überteuerten Wert zu kaufen ist durchaus vernünftig, solange man davon ausgehen kann, dass jemand anderer noch viel dümmer ist als man selbst und einem den Wert zu einem höheren Preis abkauft. Umso irrationaler der Markt ist, umso vernünftiger wird es für jeden Einzelnen, den Wert zu kaufen. Blasen sind faszinierend, weil sie Irrationalität in Vernunft verwandeln. Sie machen aus Unsinn Sinn. Für eine gewisse Zeit zumindest.

Befindet sich Bitcoin also auf so einem Blasenpfad? Um das herauszufinden, müssen wir den Marktwert mit dem inneren Wert vergleichen. Was ist also der innere Wert von Bitcoin? Diese Frage ist nun des Pudels Kern. Die Nullwert-Hypothese sagt, dass der innere Wert von Bitcoin null sein muss. Andere versuchen, den inneren Wert irgendwie aus dem Nutzen von Bitcoin heraus zu rechnen. Aber anstatt uns an diesen Spekulationen zu beteiligen, sollten wir lieber einen Schritt zurücktreten und einen Blick darauf werfen, was der Begriff des „inneren Wertes” auf Bitcoin angewandt überhaupt bedeuten kann.

Vergleich mit Tulpenzwiebeln

Vergleichen wir also den Preis von Bitcoin mit dem Preis von Tulpenzwiebeln: Im Fall von Tulpenzwiebeln, wie bei jedem anderen Vermögenswert, ist der innere Wert begrifflich vom Marktwert unterscheidbar. Der innere Zweck von Tulpenzwiebeln ist es ja nicht, einen Marktwert zu haben. Er ist es vielmehr, Tulpen wachsen zu lassen. Je mehr der Marktpreis diesen inneren Wert übersteigt, desto tiefer befinden wir uns im Blasenland.

Im Fall von Bitcoin hingegen können wir überhaupt nicht zwischen innerem Wert und Marktwert unterscheiden. Der Zweck von Bitcoin ist es nicht, Tulpen wachsen zu lassen, sondern gerade, einen Preis zu haben. Bitcoin hat also einen inneren Wert nur dann und nur insofern es einen Marktwert hat. Das ist natürlich äußerst paradox. Es bedeutet nämlich Folgendes: Je mehr Bitcoin eine Blase ist, desto mehr wahren Wert hat es, und desto mehr ist es, was es zu sein behauptet: eine Wertanlage. Je mehr Bitcoin also eine Blase ist, desto weniger ist es eine Blase. Kann das Sinn haben?

So paradox es auch erscheinen mag, diese Struktur ist weder gänzlich neu noch ungewöhnlich. An sich genommen wäre es natürlich dumm und unsinnig von mir, ein Edelmetall wie Gold zu kaufen, für das ich keinerlei Nutzen habe. Was den Kauf von Gold dennoch vernünftig macht, ist hauptsächlich der Umstand, dass ich mir sicher sein kann, jemanden zu finden, der dumm genug ist, mir das Gold abzukaufen, auch wenn dieser Käufer selbst genauso wenig mit Gold anzufangen weiß wie ich. Niemand wird den Goldkauf idiotisch nennen. Vielmehr haben wir im Falle von Gold ein Art Idiotenplateau erreicht, eine Art Konsolidierung oder Normalisierung der Torheit. Ist Gold also eine Blase?

In einer Hinsicht sicherlich: Der Marktwert von Gold liegt hoch über seinem inneren Wert, und diese Preisüberhöhung wird allein durch die Erwartung in eine fortbestehende Preisüberhöhung aufrechterhalten. Heißt das, dass diese „Blase” platzen wird? Unwahrscheinlich.

Genauso funktioniert Bitcoin. Es hat einen Wert, weil die Menschen erwarten, dass es weiterhin einen Wert haben wird. Wie bei Gold mag das eine kollektive Torheit sein, aber es hat Bitcoin in etwas verwandelt, das bereits jetzt für Zehntausende nützlich ist: u. a. wird es derzeit als günstiger Kanal für sonst teure Auslandsüberweisungen genutzt, oder als sicherer Hafen, um schnell aus kollabierenden Währungen zu fliehen, die, wie der venezolanische Bolivar, noch viel unechter sind als Bitcoin selbst. Wie Gold hat Bitcoin nicht deshalb einen Wert, weil es nützlich ist, sondern es ist nützlich, weil es einen Wert hat.

Der Umstand, dass Bitcoin vielleicht gar nicht platzen wird, macht es nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil. Wenn es wahr ist, dass Bitcoin teilweise die Aufgabe übernehmen wird, die jetzt von Gold übernommen wird, dann können wir ganz einfach den Wert eines Bitcoins berechnen: Der Goldmarkt ist mit etwas 7,5 Billionen Dollar kapitalisiert.

Wenn wir annehmen, dass Bitcoin die Hälfte dieses Marktwertes übernimmt und dass es höchstens 21 Millionen Bitcoin gibt (in Wahrheit sind viel weniger verfügbar), dann wäre der Wert von einem Bitcoin mit zumindest 170.000 Dollar zu veranschlagen. Wenn das tatsächlich die Richtung wäre, in die sich Bitcoin bewegt, dann wären wir erst am Anfang einer supermassiven „Blase”, eines Phänomens von derart astronomischen Dimensionen, dass wir es eher als Big Bang bezeichnen sollten. Solch ein Knall würde einen unkontrollierbaren Transfer von Vermögen in einem Ausmaß bringen, das die Welt noch nicht gesehen hat. So etwas geht selten ohne sozialen Aufruhr vor sich. Klingt düster? Nicht wenn man ein paar Bitcoin hat!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Christoph Kletzer, geboren 1974 in Wien, hat an den Universitäten Cambridge und Durham unterrichtet und lehrt derzeit Rechtsphilosophie und Finanzrecht am King's College London. Der Autor studierte Philosophie und Rechtswissenschaften in Wien und Cambridge. Er ist Vizedirektor des Yeoh Tiong Lay Centre for Politics Philosophy And Law in London.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2017)

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