Gastkommentar

Die Tausenden Gesichter der Armut in der Welt

Wenig beachtet, hat Papst Franziskus einen „Welttag der Armen“ ausgerufen: ein hoffnungsvolles Zeichen für die Linke

In Wien wird derzeit über das Linkssein debattiert. Das hängt naturgemäß mit dem Wahlergebnis zusammen, das eine Verschiebung unter den politischen Nutznießern des herrschenden Systems nach sich gezogen hat. Die politische Diskussion bleibt an der Oberfläche und wird bald wieder einschlafen.

Denn das Grundsätzliche linker Positionen wird nicht angesprochen. Das tut im globalen Kontext derzeit in Anwendung der von Karl Marx und Friedrich Engels vor fast 170 Jahren im Kommunistischen Manifest getroffenen Analyse aber das Oberhaupt der katholischen Kirche.

In einer Botschaft hat Papst Franziskus mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit den 19. November 2017 zum „Ersten Welttag der Armen“ erklärt. Die „Option für die Armen“ ist mit seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ vom 24. November 2013 schon am Beginn seines Pontifikats gestanden. Papst Franziskus: „Ebenso wie das Gebot, ,Du sollst nicht töten‘ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein ,Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft tötet.“

Gier kennt keine Grenzen

Und fortführend: „Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel.“ Für Papst Franziskus ist die Armut brutale und dennoch straffrei bleibende Gewalt, er sieht „eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei“, die den Menschen einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt: „Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen.“

Zu den reichsten Ländern der Welt gehört die Demokratische Republik Kongo. In der Erde von Kolwezi finden sich viele weltweit gefragte Mineralien, Kupfer und Kobalt zuhauf. In den 1930er-Jahren haben die belgischen Kolonialherren mit der Ausbeutung des Kupfergürtels begonnen, der sich auf einer Hochebene von Sambia bis in den Südosten des Kongo erstreckt. Und heute?

Massen von kongolesischen Kindern, Frauen und Männern schuften fürs nackte Überleben im Bergbau, dessen Abwässer in Flüsse und Seen geleitet werden. Krebserkrankungen treten auf, Missbildungen von Kindern sind epidemisch. Konzernen wie Apple, Samsung oder LG ist es ebenso gleichgültig wie den Käufern ihrer Produkte, wie diese blutigen Erze auf den Markt gekommen sind.

Tägliche Herausforderung

Riesengewinne aus dem kongolesischen Elend werden von dem von Ivan Glasenberg geführten Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, vom Rohstoffhändler Dan Gertler aus Israel und vom korrupten kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila angehäuft. Die jüngst veröffentlichten Paradise Papers nennen diese Namen.

Zu dieser Not und dem Elend, der Sklaverei und der Kriege bedingenden Wirtschaftsordnung gehören zum Beispiel die Profite der gigantisch reichen Familie Sackler, die mit den in ihren Pharmaunternehmen hergestellten Schmerz- und Betäubungsmitteln breite Bevölkerungsschichten der USA süchtig gemacht hat.

In Deutschland werden Abermillionen Gewinne aus den todbringenden Waffenexporten begleitet von prekären Arbeitsverhältnissen und Kinderarmut. Nach dem Münchner Armutsbericht sind im reichen München 22.000 Kinder arm. Papst Franziskus verallgemeinert, die Armut fordere tagtäglich heraus, „indem sie uns mit Tausenden Gesichtern anschaut, die gekennzeichnet sind von Schmerz, Ausgrenzung, Missbrauch, Gewalt, Folter, Gefängnis, von Krieg, vom Entzug von Freiheit und Würde, fehlenden Bildungschancen und Analphabetismus, Gesundheitsnotlagen und Arbeitslosigkeit, Menschenhandel, Sklaverei, Exil, Elend und erzwungene Migration.“

Und weiter: „Die Armut hat das Gesicht von Frauen, Männern und Kindern, die aus niederträchtigen Interessen ausgebeutet werden, niedergetrampelt von der perversen Logik der Macht und des Geldes. Diese grausame und nie vollständige Liste ist man gezwungen, angesichts einer Armut zusammenzustellen, die die Frucht sozialer Ungerechtigkeit sowie moralischen Elends, der Habgier weniger und der allgemein verbreiteten Gleichgültigkeit ist“.

Revolutionäre Sicht

Kann ein Papst wie Franziskus die Welt verändern? In der Geschichte der Menschheit ist die katholische Kirche mit ihren als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ auftretenden Päpsten nicht in der Lage gewesen, die Welt tatsächlich zum Besseren zu verändern.

Wegen seiner revolutionären Erneuerungssicht wird gegen Papst Franziskus innerhalb und außerhalb der Kirche voreingenommen und feindselig mobilisiert. Das in Spanien gegründete Opus Dei (Werk Gottes) organisiert eine wichtige innerkirchliche Front der Gegner. Franziskus ist aus seinem Mitgefühl und seinem Mut für Gerechtigkeit bemüht, das Christentum in der katholischen Kirche mit den authentischen Worten wieder in den Vordergrund treten zu lassen, dass Hab und Gut allen gehört. Der „Welttag der Armen“ ist ein glaubwürdiges und hoffnungsvolles Zeichen für die Linke, auch in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Univ.-Prof. i. R. Gerhard Oberkofler (geboren in Innsbruck) studierte Geschichte und Kunstgeschichte, ist Wissenschaftshistoriker und leitete 19 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung das Innsbrucker Universitätsarchiv. Der Autor ist bekennender Marxist. Zahlreiche Publikationen, zuletzt ein Buch über das Denken und Handeln des Schweizer Marxisten Konrad Farner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2017)

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