Gastkommentar

Keine Furcht vor Kickl oder anderen FPÖ-Ministern

Aber das tiefe Misstrauen und die Sorge um Österreichs Zukunft bleiben.

Seit die neue Regierung feststeht, fragen zahlreiche Journalisten, ob man sich vor Kickl und Co. fürchten müsse – vor allem, da die FPÖ das Innen- und Verteidigungsministerium und alle Geheimdienste übernimmt. H.-C. Strache betreibt seit mehreren Jahren eine neue Politik der „Annäherung“, besonders an die Rechte in Israel. Er verurteilt immer jede Form von Antisemitismus und Neonazi-Ideologie. Kann man dieser neuen Seite der FPÖ also trauen?

Dass weder die großen jüdischen Organisationen (WJC und EJC) noch die israelische Regierung und ganz sicher nicht die jüdische Gemeinde in Österreich auf diese Annäherungsversuche eingehen, liegt an Straches mangelnder Glaubwürdigkeit. Er versucht nämlich, „mit einem Hintern auf zwei Hochzeiten zu tanzen“.

Zuletzt wurde er bei einem ORF-Gespräch am 18. Dezember mit der „Ariel/Dreck am Stecken“-Frage konfrontiert: Kann der Erfinder dieses Spruches österreichischer Innenminister werden? Statt klar und unmissverständlich diese Aussage zu verurteilen, versuchte Strache, sich aus der Verantwortung zu schwindeln.

Als ich Haider damals geklagt habe, gab es „Versuche“, Mitarbeiter von mir zu bestechen, um Hinweise zu erhalten, damit der FPÖ-Chef vor Gericht bestehen könnte. Da es aber keinen Dreck gab, musste sich Haider letztendlich entschuldigen. Herbert Kickl habe ich in der Hitze der Auseinandersetzung mit Goebbels gleichgesetzt. Dies war ohne Zweifel falsch, Kickl kann nicht mit einem Kriegsverbrecher verglichen werden.

Kickl entschuldigte sich nie

Dessen ungeachtet war es seine damalige Skrupellosigkeit, durch solche und andere Aussagen unbescholtene Menschen oder Personengruppen zu beleidigen und zu diffamieren, die zu meiner Aussage geführt hatten. Tatsächlich gibt es, obwohl seither 16 Jahre vergangen sind, weder eine Entschuldigung noch einen Ausdruck des Bedauerns seitens Kickls.

Ein anderes Thema ist die Zeitschrift „Aula“, in der NS-Literatur beworben wird, KZ-Opfer verunglimpft und beleidigt werden, antisemitische und den Holocaust leugnende Autoren regelmäßig schreiben. Diese Publikation wird von der FPÖ massiv finanziell unterstützt, FPÖ-Minister und Funktionäre schreiben dort.

Kommen nun die „Keller-Nazis“?

Ein drittes Beispiel sind jene rechtsextremen Burschenschaften (z. B. Olympia und Teutonia), die sich allen Versuchen, sich vom Neonazismus und Antisemitismus abzugrenzen, widersetzen. Man mag diese „Spinner“ belächeln, aber das Lächeln vergeht einem, wenn solche „Keller-Nazis“ als Mitarbeiter von Norbert Hofer ins Parlament geholt wurden. Und es ist abzuwarten, wie weit die Minister Hofer, Kunasek usw. Schaltstellen in ihren Ministerien und von ihnen beherrschten Institutionen mit „Keller-Nazis“ besetzen.

Müssen also Juden in Österreich vor all dem Angst haben? Wohl kaum. Juden in Europa haben in den vergangenen Jahren gelernt, einen Plan B zu entwickeln: Wenn die Situation untragbar wird, werden sie ihre Koffer packen. So etwas tut man nicht leichtfertig, man gibt nicht Heimat, Sprache, Kultur, Job usw. auf, nur weil die falsche politische Partei an der Macht ist.

Aber es gab zuletzt Situationen in Malmö, im Süden Frankreichs, in Vororten von Paris und in Ungarn, die jüdische Menschen dazu bewogen, diese Länder zu verlassen. In Österreich sind wir Gott sei Dank noch nicht an diesem Punkt angelangt. Aber es gibt Anlass zu großem Misstrauen und zur Sorge!

Dr. Ariel Muzicant (geboren 1952 in Haifa) ist Unternehmer, er war 1998 bis 2012 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) und von 1998 bis 2006 Vizepräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2017)

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