Gastkommentar

Eine Gesellschaft im Laufschritt gegen die Wand

Die Fronten zwischen österreichischem und arabisch-muslimischem Kulturkreis sind verhärtet; Vermittlung wird schwieriger.

Es war doch schon immer so“, höre ich, wenn ich sage, dass wir uns als Gesellschaft im Laufschritt auseinanderbewegen und die Polarisierung ein ungesundes Maß angenommen hat. Stimmt nicht. Ich bin in zwei Kulturkreisen daheim: dem österreichischen und dem (arabisch-)muslimischen.

Das klassische Zuhause und die „Welt da draußen“ waren, im Hinblick auf gewisse Gepflogenheiten getrennt – aber mit gegenseitiger Beeinflussung. Aus dieser Situation hat sich mein Bedürfnis für Vermittlung zwischen beiden entwickelt.

Früher habe ich es als gesellschaftlichen Auftrag verstanden, heute sind (Wissens-)Vermittlung und Konfliktprävention ein Bestandteil meiner Arbeit. Gesellschaftliche Entwicklungen in die eine oder andere Richtung erlebe ich doppelt intensiv, im privaten und beruflichen Leben, aber auch in der Mehrheitsgesellschaft und der „Migrantencommunity“.

In einer Zeit, in der Debatten primär auf emotionaler Ebene geführt werden, wird es für mich immer schwieriger, meditative Aufgaben zu übernehmen. Zu sehr haben sich die Fronten verhärtet, zu stark wirken Medien, zu groß ist die Angst der Menschen. Vor einigen Jahren hätte ich, ohne zu zögern, vorurteilsgeladenen EuropäerInnen eine Reise in arabische Länder empfohlen, um mit Menschen in Berührung zu kommen, die arabische Gastfreundschaft zu erleben. Begegnung als Mittel zum Abbau von Vorurteilen.

Belästigung im Kino?

Gerade diese Begegnung fürchte ich heute. Ich kann nicht mehr sagen, dass Frauen in Kairo nicht sexuell belästigt würden, schließlich haben mehr als 98Prozent der ägyptischen Frauen bereits Erfahrung damit gemacht. Ich kann auch nicht versichern, dass Begegnungen im Irak, im Jemen oder sonst wo friedlich verlaufen werden. Die Wut gegenüber „dem Westen“, dem (oft zu Recht) Doppelmoral im Umgang mit Menschenrechten unterstellt wird, ist zu groß. Die Liste der westlichen Interventionen zum „Demokratieexport“ und zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen ist lang, die Folgen meist verheerend. Sei es der Sturz Mossadeghs im Iran, sei es der Feldzug gegen den Irak, sei es generell die Unterstützung von arabischen Diktatoren.

Auch andersrum funktioniert es kaum noch. Der salonfähig gewordene Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft zeigt sich in der neuen politischen Ausrichtung Österreichs und wird in unterschiedlichsten Begegnungen und Diskursen sichtbar. Der Hass auf „die anderen“ macht mittlerweile nicht mehr vor Säuglingen halt, wenn dem Neujahrsbaby Asel und seinen Eltern auf sozialen Plattformen der Tod gewünscht wird.

Ein solches Klima führt auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft zu Verrohung und Normalisierung von menschenfeindlichen Gesinnungen. Bei empathische(re)n Menschen führt es zu Unverständnis gegenüber den eigenen „Landsleuten“. Die Folgen sind Isolation und Rückzug in eigene Blasen. Dass ein solches Klima nicht an den (muslimischen) Migrantencommunitys vorbeigeht, liegt auf der Hand. Sprayings auf offener Straße mit „Tötet Muslime“ oder „Muslime raus“ (dieser Tage in Wien) sind keine Seltenheit mehr. Jene, die sich um Vermittlung bemühen, resignieren langsam.

An ihrer Stelle treten Konservative(re), die sich in ihrer Identität bedroht fühlen. Die bei manchen, aus niedrigeren Sozialmilieus stammenden Menschen ohnehin schwach ausgeprägte Reflexionsfähigkeit tritt ganz in den Hintergrund. Der „Clash of Cultures“ existiert nicht nur in den Köpfen der Neuen Rechten, sondern mittlerweile auch jener, die sich als Mitte bezeichnen würden. Ich erlebe, wie vor allem MuslimInnen der älteren Generation (aber auch der jüngeren) aufgrund des subjektiv wahrgenommenen Gefühls der Bedrohung in die Offensive gehen, konservativer und engstirniger werden.

Manche sehen einen Kampf gegen den Islam. Sie klammern sich erst recht an das, was ihnen Halt gibt. Hat etwa jemand erwartet, dass es keine reaktionären MuslimInnen gibt? Dass es unter MuslimInnen nicht auch Pegida-ähnliche Phänomene gibt? Im Zuge meiner Arbeit stelle ich fest, dass dieses reaktionäre Verhalten oft auf sozioökonomische Gründe und ein damit verbundenes beschränktes Religionsverständnis zurückzuführen ist.

Zauberei ist haram

So kommt es, dass an einem Standort in Favoriten muslimische Kinder, die in der Lernbetreuung im Zuge einer Nikolo-Aktion Zauberkästen erhalten haben, ihrer Betreuerin erzählen, dass die Eltern diesen weggesperrt haben, weil Zauberei „haram“ (arabisch: verboten) sei. Das ruft, vollkommen verständlich, bei den PädagogInnen Unverständnis hervor. Jene, die schon lang dabei sind, wissen, dass dies eine „neuere“ Entwicklung ist, und sie gehen nicht dazu über, kulturelle oder religiöse Gründe für das Verhalten zu suchen. Andere, unerfahrene PädagogInnen jedoch schon.

In Kombination mit der schlechten Presse, die „der Islam“ hat, und dem Bild, das mehrheitlich muslimische Länder nun einmal geben – und dafür auch selbst die Verantwortung tragen, auch wenn wir die konsequenzenreiche koloniale Vergangenheit berücksichtigen –, ergibt das Dialoge, die bei Eltern das Gefühl der Bedrohung verstärken und beim anderen Part Vorurteile bestärken. Damit schließt sich der Teufelskreis.

Debatte um Kopftuch

Unlängst wurde ich in eine Schule gerufen, in der es den „Verdacht auf Radikalisierung“ gab, weil sich ein 18-jähriges Mädchen für das Tragen eines Kopftuchs entschieden hatte. Im Gespräch sagte sie mir, dass die LehrerInnen sie deshalb attackiert hätten. Die Direktion fragte, ob sie jetzt nach Syrien wolle. Andere fragten, ob ihr Vater sie gezwungen, gar geschlagen habe. Der Vater selbst sagte mir, dass er gegen die Entscheidung seiner Tochter sei. Er hatte Angst, dass die Lehrerschaft sie aufgrund des Kopftuchs schlechter behandeln würden. Jetzt plant er, seine Tochter von der Schule zu nehmen.

Es sind Entwicklungen, die ich spüre und die mich im Hinblick auf die Zukunft, die eine gemeinsame ist, ob wir nun wollen oder nicht, stark verunsichern.

Ja, es gibt die Probleme in der muslimischen Community. Es gibt Stimmen, die diese ansprechen. Ja, auch ich bin der Meinung, dass diese lauter sein sollten. Ich erlebe aber selbst, dass durch das Klima, das mittlerweile herrscht, Verständigung – das Mittel zu einer funktionierenden Gesellschaft – untergraben wird. Viele der muslimischen AktivistInnen, die ich kenne, nehmen sich mit öffentlicher Kritik zurück, um den lauernden KulturkämpferInnen keine Steilvorlage zur Hetze zu bieten. Eine solche Entwicklung ist brandgefährlich – für uns alle.

Wir können so weitermachen, in eigenen Blasen leben, die Polarisierung währen lassen und somit die Fronten für unsere Kinder und Kindeskinder verhärten, aber am Ende des Tages sind wir dazu verdammt, miteinander auszukommen, wenn wir eine friedliche Gesellschaft anstreben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Rami Ali (25) ist Wiener mit ägyptischen Wurzeln. Der Autor ist Politologe, Trainer und Vortragender. Rami Ali ist vorwiegend in der Konfliktprävention und Erwachsenenfortbildung tätig und lehrt zu Themen rund um Integration, Diversität, Interkulturelle Kommunikation, Islam, Extremismus und Prävention sowie politische Themen des Nahen Ostens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.