Gastkommentar

Die SPÖ im Migrations- und Islamdilemma

Im linken Milieu herrscht Konsens darüber, dass eine Politik der offenen Grenzen human, korrekt und gut sei. Dabei gäbe es auch aus linker Perspektive genug Argumente, die Zuwanderung aus der islamischen Welt zu beenden.

Am 27. Jänner wird der SPÖ-Landesparteitag den neuen Parteichef und künftigen Bürgermeister in Wien wählen. Seit Wochen legen die beiden Kandidaten, Michael Ludwig und Andreas Schieder, den Delegierten ihre Positionen dar. Was dabei auffällt: Beide Herren, einer angeblich dem „rechten“, der andere dem „linken“ Flügel zugehörig, arbeiten sorgsam um die entscheidenden Themen herum.

Jene Themen, die immerhin Werner Faymann 2016 den Parteivorsitz und die SPÖ 2017 den Bundeskanzler kosteten. Ausgerechnet zur muslimischen Masseneinwanderung, zu Asyl und Integration sowie zum Problem islamischer Parallel- beziehungsweise Gegengesellschaften finden die Kandidaten keine klaren Worte.

Natürlich ist davon auszugehen – oder wenigstens zu hoffen – dass beide Politiker hier Standpunkte haben und die Dimension der Herausforderungen erkennen. Da ihre Partei in diesen Fragen aber gespalten und inhaltlich desorientiert wirkt, hüten sie sich vor eindeutigen Festlegungen.

Sprengstoff für den Sozialstaat

Denn aus verschiedenen, nicht immer nachvollziehbaren Gründen hat sich innerhalb der Sozialdemokratie und anderer linker Milieus im Lauf der letzten Jahrzehnte der diffuse Konsens herausgebildet, eine Einwanderungspolitik möglichst offener Grenzen für human, ideologisch korrekt und mithin gut sozialdemokratisch zu halten.

Zwar gibt es zuhauf rationale Argumente gegen eine Asyl- und Migrationspolitik, die der ungebremsten Masseneinwanderung huldigt: beginnend bei den Kosten von zwei bis drei Milliarden Euro jährlich allein in Österreich; und endend bei den Folgen, die mittelfristig zu gewärtigen sind, wenn Menschen ins Land gelangen, deren religiös und kulturell fundiertes Wertesystem jenem der Aufnahmegesellschaft teils diametral entgegengesetzt ist. Denn die Ausbildung von – in diesem Fall – islamischen Gegengesellschaften ist nicht nur eine sicherheits- und demokratiepolitisch gefährliche Entwicklung.

Sie kann sich, wie neuere Studien nahelegen, langfristig gesehen auch als Sprengstoff für das Modell des Sozialstaates erweisen. Ein solcher beruht auf der Idee der sozialen Kooperation und der Umverteilung, deren Voraussetzung das geteilte Wirgefühl einer Gesellschaft ist. Kommt es zu einer Fragmentierung etwa entlang ethnischer und religiös-kultureller Bruchlinien, sinkt die Bereitschaft, für andere zu bezahlen.

Pointiert auf die aktuelle Situation heruntergebrochen: Ein einheimischer Durchschnittsverdiener wird es immer weniger erstrebenswert finden, jemanden mit seinen Steuern und Sozialabgaben zu alimentieren, der die österreichische Aufnahmegesellschaft, ihr Wertesystem und ihre Lebensweise ablehnt.

Migrationsthema als Minenfeld

Parteien, Politiker oder Normalbürger, die solche Überlegungen anstellen, werden im politisch linken Milieu als „rechts“, neidbehaftet etc. diffamiert. Allerdings können, wie die jüngsten Wahlen belegen, auch immer weniger (nunmehr ehemalige) SPÖ-Wähler derartigen Denkvorgaben folgen. Dennoch bleibt innerhalb der Partei die Diskussion über das Großthema Migration ein Minenfeld. Vertreter der vermeintlich reinen linken Lehre sind schnell mit einer spezifischen Variante der Faschismuskeule zur Hand, nämlich dem Vorwurf, „rechte“ Argumente zu übernehmen oder gar ein „rechter“ Abweichler zu sein, was erstens moralisch verwerflich sei und zweitens keinen Erfolg beim Wähler bringen würde.

Was aber, rational gefragt, sollte daran „rechts“ sein, Masseneinwanderung als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit den Sozialstaat zu erkennen und sie daher unterbinden zu wollen? Und inwiefern sollte es sozialdemokratischen Werten widersprechen, den Islam wie er aktuell von Islamisten, aber auch in der moderat konservativen Praxis geübt wird, als Integrationshemmnis zu benennen?

Gerade als linke Partei mit aufklärerischer Agenda müsste die SPÖ dem Phänomen Religion und seinen organisierten Vertretern, also Imamen, Moscheevereinen und anderen Erscheinungen des politischen Islam mit kritischer Distanz begegnen. Das aber geschieht nicht. Stattdessen schaute die SPÖ Wien etwa dem Aufbau islamischer Kindergärten mit konservativer Ausrichtung tatenlos zu und finanzierte diesen auch noch. Seine letzte Wahlkampfveranstaltung absolvierte der damalige (Noch-)Bundeskanzler Christian Kern ausgerechnet vor Anhängern des politischen Islam aus dem Umfeld von AKP und Millî Görüş.

Sozialdemokratie und Religion

Mag diese Szene auch nur der finale Tiefpunkt einer erbarmungswürdigen Wahlkampagne gewesen sein, im Gesamtbild zeigt sich: Die SPÖ setzte dem politischen Islam bisher wenig entgegen.Hält man sich die politisch-historischen Wurzeln der Partei vor Augen, mutet dies umso paradoxer an. Noch im Verständnis des Austromarxismus war Religion eine Art Überbauphänomen, das bloß aus wahlstrategischen Gründen nicht offen bekämpft wurde.

Denn, wie Otto Bauer 1927 bedauernd feststellte, es gäbe viele sozialdemokratische Wähler, die durch „wissenschaftliche Aufklärung schwer erreichbar“ wären und „unter dem Einfluss der überlieferten Religion“ stünden. Sie sollten aber nicht verschreckt werden.

Ganz offen aber wurden Kirchen und Religionsgemeinschaften bekämpft, weil sie ihre Macht angeblich dazu benutzten, der wirtschaftlichen und sozialen Befreiung des Menschen entgegenzuwirken. Nach dieser Befreiung würde der Mensch dann auch fähig sein, sich vollends „von dem religiösen Spuk zu befreien“.

Verlust ideologischer Substanz

Die „Arbeiter-Zeitung“ brachte die sozialdemokratische Haltung zur Religion zuweilen auch weniger vorsichtig auf den Punkt: Gläubige Menschen wurden als „Arme im Geiste“ oder als „armselige Herdentiere“ (der christlichsozialen Partei) bezeichnet.

Glücklicherweise sind die Zeiten des Kulturkampfes lange verflossen, und keiner wünscht ihre Wiederkehr, auch nicht unter zeitgemäß veränderten Vorzeichen. Dennoch erstaunt es, dass im linken politischen Spektrum ein wesentliches Element der ideologischen DNA so vollständig auf dem Altar der politischen Korrektheit geopfert wurde.

Die schwierige Situation der SPÖ, ebenso wie die Krise der Sozialdemokratie in Europa insgesamt, ist nicht zuletzt auf den Verlust an ideologischer Substanz in der Religionsfrage zurückzuführen. Immer weniger Wähler verstehen, wieso sie ihr säkulares Gesellschaftsmodell, das führend von der Sozialdemokratie erkämpft worden ist, durch die Rückkehr des Religiösen, diesmal in Form des Islam, gefährden lassen sollten. Tragischerweise ist es die Sozialdemokratie, die heute den Rückschritt vorantreibt und dies auch noch für fortschrittliche Politik hält.

DER AUTOR

Christoph H. Benedikter (geboren 1966 in St. Pölten ) studierte Handelswissenschaft, Geschichte sowie Kultur- und Sozialanthropologie in Wien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung mit den Schwerpunkten Zeitgeschichte und strategische Analyse sowie freier Ausstellungskurator.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2018)

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