Gastkommentar

Das deutschnationale Dilemma der FPÖ

Das Handling der Affäre Udo Landbauer durch die Parteispitze wird im völkischen Lager als eklatanter Treuebruch gewertet.

Die Affäre Landbauer als Illustration des (möglichen oder unmöglichen) Spagats der Strache-FPÖ zwischen den Anforderungen des Regierens und den Erwartungen ihres Kernpersonals: Auf alle Fälle zeigen sich in der Regierungsverantwortung Bruchlinien, die in der Opposition gerade noch zu kaschieren waren.

Es war allerhand, was die FPÖ ihrem verbindungsstudentischen Rückgrat im Lauf der vergangenen Wochen zumutete: Kein Geringerer als der Parteichef (und Burschenschafter) erklärt, Burschenschaften hätten „mit der FPÖ nichts zu tun“, bezieht just am Ball der völkischen Verbindungen Stellung gegen Antisemitismus – und trägt dabei noch nicht einmal Couleur. Der niederösterreichische Spitzenkandidat Udo Landbauer tritt aus seiner Burschenschaft aus und wird trotzdem von der Partei geopfert. Eine Nationalratsabgeordnete erklärt per Presseaussendung, keiner Verbindung anzugehören. Der Wiener Vizebürgermeister (und Burschenschafter) bezeichnet im Interview unumwunden Österreich als sein Vaterland, die Österreicher als sein Volk und 1945 als Jahr der Befreiung.

Verhaltene Reaktionen

Die Parteispitze wiederum will mit einer Kommission die Geschichte des dritten Lagers aufarbeiten. Die Dritte Nationalratspräsidentin (und Mädelschafterin) erklärt, künftig nicht mehr für das Burschenschafter-Zentralorgan „Aula“ schreiben zu wollen. Und ausgerechnet ein freiheitlich geführtes Innenministerium eröffnet das erste Auflösungsverfahren gegen eine völkische Korporation seit 1961.

Die nach außen dringenden Reaktionen der damit Angesprochenen sind bisher verhalten. Sie machen aber deutlich, dass das Handling der Affäre durch die Parteispitze vielerorts als eklatanter Treuebruch gewertet wird. Während Neonazis bereits eine fortschreitende „Mosaisierung“ der FPÖ orten, ereifern sich auch gemäßigtere Rechte in den sozialen Medien über die plötzlich ausgebrochene „Distanzeritis“, einen „Kniefall vor dem Zeitgeist“ oder „Verrat“. Auch langjährige treue Gefolgsleute bringen Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die FPÖ sich einmal mehr „die guten Leute herausschießen“ lasse. Manche fühlen sich bereits an die Schüssel-Ära erinnert, in der die FPÖ sich vom Koalitionspartner „am Nasenring“ habe führen lassen.

Nun gäbe es freilich viele Gründe, an der Aufrichtigkeit der jüngsten FPÖ-Distanzierungen zu zweifeln: Die Folgenlosigkeit ähnlicher rhetorischer Bekundungen in der Vergangenheit; die viel dokumentierte Praxis der doppelten Signale (wie einen Yad-Vashem-Besuch des Parteichefs mit Burschenschafterdeckel); die offenbar vorrangig auf Reinwaschung abzielende Konzeption der angekündigten „Historikerkommission“ oder auch der Umstand, dass die Parteispitze sich zunächst mit einer „Jetzt erst recht!“-Kampagne demonstrativ an die Seite Landbauers stellte und ihn erst fallen ließ, als die machtpolitische Kosten-Nutzen-Rechnung sich zu seinen Ungunsten gewendet hatte.

Für ein Milieu, in dem Grundsatztreue und Standhaftigkeit als Tugenden an sich gelten, ist die Frage nach den Motiven – Gesinnungswandel oder doch nur Machtkalkül? – allerdings zweitrangig. Davon unabhängig zeigt die Affäre ein strukturelles Problem an, dem die FPÖ (und mit ihr die Regierung) sich gegenübersieht und das kaum auflösbar erscheint: Der chronische Charakter rechtsextremer Ausritte im völkischen Verbindungswesen legt eine Partei, in der dieses Verbindungswesen stark wie nie zuvor verankert ist, auf ein ständiges Oszillieren zwischen Partei- und Regierungskrise fest.

Jörg Haider posthum bestätigt

Angesichts dessen erfährt Jörg Haider posthume Genugtuung: Er hat bereits Mitte der 1990er-Jahre erkannt, dass eine in den Fängen der völkischen Korporierten befindliche Partei möglicherweise Wahlen gewinnen, aber kaum erfolgreich regieren kann.

So ging er auf Distanz zur „Deutschtümelei“ (1995), ließ das Bekenntnis zur „deutschen Volksgemeinschaft“ aus dem Parteiprogramm streichen (1997) und ersetzte die „ideologischen Tiefwurzler“ (Andreas Mölzer) aus den Korporationen sukzessive durch jung-dynamische Karrieristen.

Als es ans Regieren ging, zog Haider sich selbst zurück. Der Ursprungsformation der Regierung Schüssel I gehörte kein einziger deutschnational Korporierter an. Dass die FPÖ trotzdem in die Krise schlitterte, lag weniger an burschenschaftlichem Störfeuer als am Spagat zwischen Oppositionsrhetorik und Regierungspraxis – sowie am Umstand, dass Haider es verabsäumt hatte, Strukturen aufzubauen, die die Korporationen nachhaltig in ihrer Kaderschmiedefunktion hätten ersetzen können (wer erinnert sich noch an die Junge Akademie oder die Freiheitliche Studenteninitiative?).

H.-C. Straches Credo

So wurde schnell offenbar, dass die FPÖ spätestens bei Regierungseintritt nicht auf Burschenschafter verzichten kann – noch vor Jahresende 2000 waren zwei überforderte Minister durch Korporierte ersetzt worden. An den Schreibtischen der Ministerkabinette hatten sie – wie auch heute – davor schon Platz genommen.

Strache restituierte ab 2005 personell wie inhaltlich den burschenschaftlichen Einfluss in der Partei und baute ihn noch aus. Im Ergebnis verfügt die FPÖ heute wieder über ein die deutsche Volksgemeinschaft beschwörendes Parteiprogramm, eine Nationalratsfraktion mit einer historischen Rekordanzahl an Burschenschaftern und einen Parteivorstand, in dem völkische Korporierte eine absolute Mehrheit stellen.

Straches Credo seit Übernahme der Obmannschaft war es, die Fehler Haiders nicht zu wiederholen – und im Abrücken von den Verbindungen erblickte er einen solchen Fehler. Der Erfolg schien ihm recht zu geben: Die FPÖ eilte ab 2005 wieder von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und ist inzwischen auch auf die Regierungsbank zurückgekehrt.

Hier muss sie nun erkennen, was Haider schon vor 20 Jahren erkannt hat: Eine deutsch-völkisch grundierte Partei kann in Österreich zwar bemerkenswert viel erreichen – findet aber weder eine absolute Mehrheit noch einen Koalitionspartner, der es sich leisten könnte, sie sie selbst sein zu lassen.

Mannhaft und dogmentreu

Eben Letzteres erwartet aber das völkische Lager, dem nichts verhasster ist als Grundsatzverrat und Treuebruch. Einem inhaltlich beliebigen Machtpragmatismus stehen die von den Korporationen hochgehaltenen Ideale der Mannhaftigkeit und Dogmentreue im Weg. Dass „Schlagende“ als Ergebnis von Straches langjähriger Personalpolitik heute die Partei dominieren, legt die FPÖ auf permanentes Krisenmanagement fest.

Es sei denn, das völkische Korporiertenmilieu unternähme tatsächlich, was es seit 70 Jahren verbissen verweigert hat: eine schonungslos kritische Selbstbeschau, die auch an völkischen Dogmen rührt. Billiger ist die nun mancherorts eingemahnte Katharsis nicht zu haben.

DER AUTOR

Bernhard Weidinger (*1982 in Tamsweg) ist promovierter Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Rechtsextremismusabteilung am Dokumentationsarchiv des öster-
reichischen Widerstandes (DÖW). Seine Dissertation über „Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945“ erschien 2015 im Wiener Böhlau-Verlag. Zahlreiche Auszeichnungen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2018)

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