Hilferuf nach behutsamem Umgang mit der Macht

Der offene Brief von Mitgliedern des Burgtheaters war mehr als eine Abrechnung mit einem hyperemotionalen Ex-Direktor.

Es vergeht fast kein Tag, ohne dass in den Medien nicht irgendwelche neuen Missbrauchsvorwürfe auftauchen. Davon betroffen ist bedauerlicherweise auch der österreichische Skiverband. Zuletzt erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Bericht über sexuellen Missbrauch, begangen Ende der 1960er-Jahre an jungen Sportlerinnen, untermauert durch eidesstattliche Erklärungen. Bei der „Süddeutschen“ handelt es sich nicht um irgendein ein Boulevardblatt, das Informationen ungeprüft übernimmt, sondern diese werden sorgfältig geprüft, bevor sie gedruckt werden.

Die Reaktion der potenziellen Täter – es gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung – ist praktisch immer die gleiche: Abstreiten der Vorwürfe, Beauftragung von Anwälten, die durch Klagsdrohungen und hohe Schadenersatzforderungen die Opfer verängstigen und zum Schweigen bringen wollen.

Beim jüngst veröffentlichten offenen Brief namhafter Schauspieler und weiterer Mitarbeiter des Wiener Burgtheaters geht es nicht um strafbaren sexuellen Missbrauch, sondern um angeblichen Machtmissbrauch in Arbeitsverhältnissen während der Direktionszeit von Matthias Hartmann von 2009 bis 2014.

Radikal und demütigend

Schon 2013 geriet das Burgtheater negativ in die Schlagzeilen, damals handelte es sich um den Verdacht finanzieller Misswirtschaft durch Hartmann, ermöglicht durch Holding-Chef Georg Springer, der, so lautete der Vorwurf, seine Kontrollfunktionen vernachlässigt haben solle.

Hartmann wurde als Folge dieses Skandals entlassen, Springer rettete sich in die Pension, als Bauernopfer blieb Silvia Stantejsky auf der Strecke, die von den Mitarbeitern des Burgtheaters stets als „Seele“ ihres Theaters bezeichnet worden war. Die Strafverfahren gegen Springer und Hartmann wurden dem Vernehmen nach inzwischen eingestellt, Stantejsky muss hingegen mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Durch Bestellung von Karin Bergmann als Intendantin und des kaufmännischen Direktors, Thomas Königstorfer, konnte in kurzer Zeit viel Schaden wieder gutgemacht werden. Durch Neuaufstellung der Holding unter Christian Kircher ist es gelungen, den finanziellen Ruin vom Burgtheater abzuwenden, den Finanzskandal zu beenden und die Institution Burgtheater wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Worin besteht nun der Machtmissbrauch, der Hartmann vorgeworfen wird, und der „eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherung“ geschaffen haben soll? Hartmann war während seiner Direktionszeit sehr häufig auch selbst als Regisseur tätig und hat Proben geleitet. Während der Proben war Hartmann radikal und demütigend, einen respektvollen Umgang mit seinen Schauspielern soll es nicht gegeben haben. Als Regisseur hatte er über Engagements, Arbeitsverträge und deren Beendigung allein entschieden.

Die Grenze zwischen Provokation im Dienste der Kunst und Egomanie ist fließend und kann nicht durch allgemeine Normen geregelt werden, weil es immer wieder auf die Einzelsituation ankommt, auf den Tonfall, die Gestik, Mimik und wie agiert wird. Hartmanns von vielen als beleidigend empfundener Ton und seine unangebrachten Scherze waren laut Erzählungen immer im Raum, gepaart mit Macht. Dieses Verhalten wiederum war einerseits Auslöser von Furcht und Ohnmacht unter Abhängigkeit, andererseits gab es von den Schauspielern die Liebe zum Beruf und zur Burg. Eine solche Situation sorgt für Stress.

Schwierig wie in einer Familie

Schauspieler wollen auf der Bühne stehen und spielen. Die Verteilung der Rollen durch den jeweiligen Regisseur verleiht diesem große Macht, die Hartmann auch gnadenlos ausgenützt haben soll. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass das Verhältnis Regisseur/Schauspieler mit einer schwierigen Familiensituation vergleichbar ist.

Manchmal müssen Personen miteinander spielen, die die größten Konkurrenten sind, sie müssen Liebesverhältnisse oder auch Hassgefühle überzeugend darstellen. Gegenseitige Beleidigungen zwischen Gleichberechtigten sind grundsätzlich leichter zu ertragen als Beleidigungen der Untergebenen durch den Vorgesetzten.

Den offenen Brief haben auch Techniker und das administrative Personal des Hauses unterschrieben. Produktionen werden bekanntermaßen technisch immer anspruchsvoller, die Arbeit der technischen Mitarbeiter immer bedeutender und komplizierter. Der Umgang Hartmanns auch mit dem technischen Personal war nicht zimperlich, regelmäßig gab es Verbalinjurien. Hartmann entschuldigte dies mit seiner Emotionalität und den manchmal blank liegenden Nerven. Dass die Mitglieder des Burgtheaters sich erst vier Jahre nach Beendigung der Intendanz Hartmanns an die Öffentlichkeit gewandt haben, ist leicht mit Scham zu erklären, dem heikelsten aller Gefühle.

Die Zukunft der Burg im Auge

Motivation für den Gang an die Öffentlichkeit war letztlich die #MeToo-Bewegung, die entsprechende Aufmerksamkeit für das Anliegen der Ensemblevertreter versprach. Ich bin überzeugt, dass es dem gesamten Ensemble des Burgtheaters nicht nur um Matthias Hartmann geht, vielmehr haben sie die Zukunft des Theaters im Auge. Ein Weg zur Einigkeit innerhalb des Ensembles muss gesucht werden, um einer neuen Direktion mit Würde und Bestimmtheit begegnen zu können.

Es gab bereits vor Hartmann autoritäre Regisseure wie Peter Stein, Peter Zadek, Frank Castorf, Luc Bondy. Diese hatten jedoch nicht die Doppelfunktion Intendant/Regisseur, und damit wesentlich weniger Macht. Als Claus Peymann kam, gab es viel Aufregung. Er brachte eine Reihe von Schauspielern mit, Wiener Publikumslieblinge wie Erika Pluhar und Fritz Muliar wurden hingegen nicht mehr beschäftigt.

Für das Ensemble stellt sich nun die Frage, wie das Burgtheater nach Ende der Intendanz Bergmann künstlerisch neu aufgestellt werden wird. Martin Kusej wird ab 2019 die Direktion des Burgtheaters übernehmen. Er ist als besessener Theatermacher bekannt.

Vermeidung früherer Fehler

Das Ensemble des Burgtheaters und alle Kunstinteressierten Österreichs wünschen sich, dass sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und die künftige Zusammenarbeit Direktion/Ensemble friktionsfrei und mit gegenseitigem Respekt vor sich gehen wird.

Die Bedeutung des offenen Briefes geht also weit über den Anlassfall hinaus. Überall dort, wo es Abhängigkeiten gibt – sei es im Wirtschaftsleben, in der bildenden Kunst, auf den Universitäten, in der Forschung, der Justiz und in Anwaltskanzleien, in den Redaktionen, letztlich auch in der Kirche – ist mit (geliehener) Macht besonders behutsam umzugehen. Es bedarf großen Einfühlungsvermögens und eines starken Charakters, um Ungerechtigkeiten jeglicher Art, Beleidigungen und Hassgefühle zu vermeiden.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2018)

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