Von der Torheit der Regierenden

Ist ein Dacapo der blau-schwarzen Wenderegierung denkbar?

Nein, regierungsfähig sei diese FPÖ unter dem Politkrawallisten Heinz-Christian Strache heute gewiss nicht, heißt es immer, wenn aus Anlass des Zehnjahrjubiläums des Regierungsantritts von Blau-Schwarz im Jahre 2000 die Frage nach einer neuerlichen „bürgerlichen“ Koalition erhoben wird. Damals, das sei doch etwas ganz anderes gewesen, die Haider-FPÖ habe immerhin originelle Ideen eingebracht (so jüngst Andreas Khol), und die Wende weg von der ausgelaugten rot-schwarzen Großen Koalition sei in der Luft gelegen. Und außerdem war da ja noch der Wählerwille...

Und heute? Heute ist die große rot-schwarze Restkoalition innovativ, dynamisch und reformfreudig? Heute ist der Wählerwille ganz anders? Sind es nicht weit über 50Prozent, die ein insgesamt nichtsozialistisch regiertes Österreich goutieren würden?

Ach, wie sich die Bilder in Wahrheit gleichen: Die Freiheitlichen, allzumal nach dem Beitritt der Kärntner FPK und dem zu erwartenden Abschwellen der einigermaßen gekünstelten medialen Empörung, werden über kurz oder lang eine ähnliche Stärke haben wie die Haider-FPÖ Ende der 90er-Jahre. Der Überdruss an der Großen Koalition wird wachsen, denn nichts deutet darauf hin, dass das Duo Faymann-Pröll sich zu Reformgiganten auswachsen könnte. Und jene Probleme, in denen die breite Mehrheit der Bevölkerung der Strache-FPÖ die Meinungsführerschaft zugesteht, eben die Frage der Zuwanderungsgesellschaft und die Dramatik der Sicherheitssituation, sie werden immer dringlicher.

Der „Verfassungsbogen“

Wie sollte es da verhinderbar sein, dass andere Regierungsoptionen unter Einbeziehung der Freiheitlichen ins Gespräch kommen, allzumal dann, wenn bei den kommenden Wahlen in den Ländern der Wählerwille entsprechende Möglichkeiten offenlässt beziehungsweise sogar nahelegt.

In den späten 90er-Jahren gab es da den Verfassungsbogen, dessen Copyright-Inhaber, Andreas Khol, ex cathedra erklärte, wer sich darunter befinde und wer außerhalb. Haiders FPÖ jedenfalls blieb außerhalb – bis zu dem Tag, an dem der Wähler im Herbst 1999 die Option einer blau-schwarzen Koalition auftat.

Ähnlich wird es sich wohl mit der gegenwärtig allenthalben diagnostizierten Regierungsunfähigkeit der Strache-FPÖ verhalten. Diese wird für die Parteizentralen von SPÖ und ÖVP an genau jenem Tage enden, an dem sich die reale Möglichkeit einer Regierungskoalition eröffnet, bei der die parteitaktischen Vorteile für eine der angeblich so staatstragenden und damit regierungsfähigen Parteien offenkundig ist.

Wenn man sich aber von derlei allzu opportunen Überlegungen freimacht und mit nüchternem Blick auf die österreichischen Parlamentsparteien, deren Personal und deren Programmatik die Frage stellt, welche Partei sich als ebenso regierungsfähig wie regierungswürdig erwiese, dann sieht es traurig aus. Die politischen Eliten der Republik sind im freien Fall, was Ethos, Bildung und handwerkliche Fähigkeiten betrifft.

Gemäß dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ beherrschen mediokre Parteiapparate und mit ihnen verhaberte Medienmacher unterdurchschnittliche Politrepräsentanten, deren Opportunismus umso größer ist, je näher sie an den Machtzentren angesiedelt sind. Womit die Regierenden eindeutig schlechtere Karten haben als die Oppositionellen. Was wieder gegen Faymann und Pröll spricht und für Glawischnig, Bucher und Strache. Was aber nur ein relatives Urteil ist und kein absolutes in Hinblick auf Kenntnisse und ethische Bindung.

Die viel zitierte „Torheit der Regierenden“ manifestiert sich hiermit also insgesamt in der politischen Klasse und das nicht nur in Österreich, sondern gewiss quer durch Europa. Regierungsfähigkeit von ÖVP und SPÖ ist allenfalls dadurch im höheren Maße gegeben, dass es abhängige und damit willfährige Medien gibt, die das Agieren beider Parteien schönschreiben und schönreden und dass es im Rest des rot-weiß-roten Kammerstaats institutionelle Strukturen gibt, die ein Minimum von fachlicher Zuarbeit garantieren. Was die angebliche Regierungsunfähigkeit oppositioneller Parteien betrifft, so ist es allenfalls das Fehlen dieser beiden Faktoren, welche dieselbe ausmachen.

Eine Lehre allerdings ist aus den politischen Entwicklungen des Winters 1999/2000 wohl zu ziehen: Der Wechsel von der Fundamentalopposition hin zu zumeist allzu pragmatischer Regierungstätigkeit ist mühsam und mit der Akzeptanz schmerzhafter Verluste bei kommenden Wahlen verbunden. Jede politische Partei, die kurz- oder mittelfristig regieren will, wird daher gut daran tun, ein Minimum an politischer Vernunft und Realisierbarkeit im Hinblick auf ihre Programme zu gewährleisten. Wer allen alles verspricht, jedem Wählersegment das konträr zu den Bedürfnissen des jeweilig anderen Stehende, riskiert nicht nur seine aktuelle Glaubwürdigkeit, er garantiert ein allzu rasches Scheitern, sollte er jemals an die Regierung kommen. Angesichts anstehender Wahlen mag dies für eine oppositionelle politische Bewegung zweitrangig sein, klug ist es nicht. Das muss sich auch eine erfolgreiche Oppositionspartei wie die FPÖ ins Stammbuch schreiben lassen.

Andreas Mölzer (geboren am 2.Dezember 1952 in Leoben) ist ein österreichischer Publizist und Abgeordneter im Europaparlament.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2010)

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