Die Angst der Parteien vor harten Kontroversen

Höchste Zeit, dass es in den Parteien wieder Streit und fetzige Debatten gibt.

In der österreichischen Parteienlandschaft breitet sich Schlaftablettenpolitik aus. Geistige Auseinandersetzungen über Zukunftsfragen werden von den Parteienspitzen an externe Experten ausgelagert. Gleichzeitig gehen sie ideologischen und programmatischen Kontroversen möglichst aus dem Weg. Für unsere politische Kultur aber sollte dies Anlass zur Sorge geben.

Funktionierende Parteistrukturen sind Voraussetzung für ein Mitmachen im politischen Wettbewerb, aber Wahlen gewinnt man wohl nur noch mit außergewöhnlichen Spitzenkandidaten. Dass dadurch immer mehr Macht in der Spitze zentriert wird, ist klar und hat seine Berechtigung. Genauso berechtigt ist aber, dass eine Partei nicht nur der Vorsitzende sein kann, sondern dass sie ein eigenständiges, lebendiges, denkendes, diskutierendes Organ sein muss. Aber sind das die Parteien heute noch? Wann gab es in den vergangenen zehn Jahren erinnerliche harte politische, programmatische oder ideologische Auseinandersetzungen auf Parteitagen? Wann gab es Abstimmungen über Koalitionsvereinbarungen? Ganz genau, es gab keine. Es gibt Köpfe, die gerne Kontroversen angezettelt hätten, aber ihrer Karriere wegen verzichteten sie lieber darauf. Heute interpretieren Führungsspitzen sachlich fundierte Kritik sogleich als persönlichen Affront. Jegliche Bereitschaft zu konstruktivem Streit, jede Form von Entschiedenheit wird in Österreich als persönliche Illoyalität oder Verrat an Grundsätzen des Landes interpretiert.

Fortschritt braucht Konflikte

Wo führt das Ganze hin? Die Gefahr einer Entpolitisierung der Parteien ist real. Sie schreitet voran. Dabei beruht doch der Fortschritt geradezu auf Auseinandersetzung. Und ohne Auseinandersetzung, ohne zivilisierte Konflikte gibt es keinen Fortschritt. Parteien begreifen diese Tatsache erst dann, wenn sie kurz davor sind, den Boden küssen zu müssen. Siehe Deutschland, wo der Juso-Chef, Kevin Kühnert, auf eigene Faust die Parteibasis der SPD gegen eine Große Koalition mit der Union mobilisiert.

Parteichefs als Heilsbringer

Viele meinen, eine solche Aktion zerstöre die Geschlossenheit der Partei. Und sie warnen davor, sich in der fehleranfälligen Basisdemokratie à la Neos oder Grüne zu verheddern. Doch es kommt immer darauf an, wie man die Plattform für Kontroversen ausgestaltet! Die Delegierten sind das Herz einer Partei. Wenn sie nicht politisiert sind, wenn sie nur zu bloßen Abnickmaschinen verdammt werden, dann wird es keine Langfristigkeit in einer Partei geben. Und eine solche Partei ist letztlich zum Scheitern verurteilt.

Christian Kern und Sebastian Kurz überschatten die ideologische und programmatische Leere in ihren Parteien, weil sie in den eigenen Reihen als Heilsbringer angesehen werden. Aber sie werden eines Tages nicht mehr sein – was bleibt, sind die Delegierten, aus denen Funktionäre heranwachsen sollen. Wenn diese zu etwas taugen sollen, dann muss es Raum für fetzige Debatten geben.

Wie soll der Nachwuchs morgen ein Land regieren, wenn er nie zuvor einen inhaltlichen Streit geführt hat? Die Delegierten müssen begreifen, dass die ideologische und programmatische Auseinandersetzung dazugehört und der Garant für das langfristige Überleben der Partei ist.

Auseinandersetzungen bilden das Fundament einer politischen Partei. Ausschließlich durch sie können sich die besten Köpfe profilieren. Feigheit und Streitsucht um der Streitsucht willen dagegen gehören zu den verantwortungslosen Eigenschaften eines Politikers.

Muamer Becirovic ist Student und Obmann der Jungen Volkspartei in Rudolfsheim-Fünfhaus. Herausgeber des Magazins
„Kopf um Krone“, in dem er Gespräche
mit Persönlichkeiten veröffentlicht.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2018)

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