Gastkommentar

NRA und das Recht, Waffen zu tragen

Solang es zahn- und wirkungslose Waffengesetze gibt, sind in den USA Massaker nicht zu verhindern.

Im März beschloss der Kongress des Bundesstaats Florida als Reaktion auf das Massaker von 14. Februar an der Parkland High School eine „Verschärfung“ des Waffengesetzes. Erst ab 21 Jahren dürfen Jugendliche Feuerwaffen kaufen. Daneben wurde es Lehrern an allen Schulen ermöglicht, ja empfohlen, selbst Feuerwaffen zu tragen. Florida ist der 19. Bundesstaat, der dies ermöglichte.

Der erste Teil der „Verschärfung“ ist zahn- und wirkungslos. Die Mörder der Columbine High School waren 17, konnten aber trotz des Mindestalters von 18 ungehindert im Supermarkt Waffen und Munition kaufen. Der Amokmörder an der Sandy-Hook-Elementarschule, in der 20 Kinder unter zehn und acht Erwachsene niedergemäht wurden, nahm sich einfach das Sturmgewehr seiner Mutter, das sie völlig legal erworben hatte. Eine Verpflichtung zur Aufbewahrung in einem versperrten Waffenschrank ist in den Vereinigten Staaten selten.

Der zweite Teil der Gesetzesnovelle (die Bewaffnung von Lehrern zu ermöglichen) ist völlig aberwitzig. Aus Augenzeugenberichten von US-Veteranen des Vietnam-Kriegs weiß ich, dass selbst topausgebildete Marines von dem Moment an, an dem feindliches Feuer auf sie eröffnet wurde, nur mit allergrößter Anstrengung handlungsfähig blieben. Die Urreaktion in einer solchen Situation ist, davonzurennen oder sich flach auf den Boden zu legen und zu verkriechen.

Absolutes Chaos

Nun stelle man sich vor, was geschehen würde, wenn einer wie Nicholas Cruz an der Parkland School oder Adam Lanza in Sandy Hook Schülerinnen und Schüler im Pausenraum unter Feuer nimmt. In wenigen Sekunden gibt es absolutes Chaos: Schüler schreien und weinen, Blut fließt, es herrscht ein unbeschreibliches Gebrüll.

Die Gesetzgebung Floridas meint nun, dass die Musiklehrerin oder der Geschichtelehrer in Seelenruhe eine 9-mm-Pistole zieht, sich ins Chaos stellt und den Angreifer mit einem einzigen Schuss unschädlich macht. Dieser ist aber mit einem Schnellfeuergewehr bewaffnet, das in der Sekunde 12 Schuss abgeben kann. Absurd!

Und jetzt kommt das Unbegreifliche: Die Waffenlobby NRA hat selbst dieses zahnlose, dumme Gesetz beeinsprucht. Nur weil ein Verrückter ein paar Menschen erschoss, dürfe man doch einem 18-jährigen Amerikaner nicht das Recht auf Waffen nehmen. Dieses Recht sei im sakrosankten 2. Zusatzartikel zur Verfassung festgeschrieben.

Viele kennen die Argumentation der NRA, aber nicht den Text dieses Zusatzartikels. Er lautet: „A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.“ Der Waffenbesitz ist demnach an die Zugehörigkeit zu einer „ordentlich regulierten Miliz“ gebunden. Das traf auf keinen der Schulamokläufer zu.

Keine Langwaffen

Die heute in den USA erwerbbaren Waffen bringen in Sekundenschnelle eine Vielzahl von Geschossen ans Ziel. Schon deswegen müsste man den Text des zweiten Zusatzartikels verändern. Handfeuerwaffen (wie z. B. die in Ferlach hergestellte Glock) mögen legal bleiben. Aber Langwaffen? Nun gut, aber bitte nicht an erst Zehnjährige wie in Texas. Hingegen dienen eine Pumpgun, ein Schnellfeuergewehr nicht der Selbstverteidigung und nicht der Jagd. Sie sind für das Militär entwickelte Waffen, die in einem Minimum an Zeit ein Maximum an Blutvergießen und Tod hervorrufen.

Wann wird sich Amerika aus dem Würgegriff der NRA lösen? Wie lang noch wird Amerika zusehen, wie die NRA die Mehrheit der im Kongress versammelten Abgeordneten und Senatoren kauft, damit nur ja keine Waffenkontrolle Gesetz wird?

Adi Wimmer war Univ.-Prof für Amerikanistik an der Universität Klagenfurt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2018)

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