Gastkommentar

Vienna Calling – aber viele wissen nichts davon

Wien mag eine einzigartige Hauptstadt der Diplomatie und auch ein Magnet für große internationale Konferenzen und Kongresse sein. Aber es ist kein wichtiges Zentrum für die globalen Medien – und das hat Konsequenzen.

Wien ist seit 200 Jahren eine diplomatische Hauptstadt von Weltbedeutung. Keine andere Metropole hat es geschafft, so kontinuierlich ihre Relevanz beizubehalten – von der Zeit des Wiener Kongresses bis heute gilt Wien als etablierter Brückenbauer und als Drehscheibe für multilaterale Diplomatie.

Österreich hat einen schwierigen Übergang geschafft, vom europäischen Kaiserreich im 19. Jahrhundert zum geschätzten und vertrauten neutralen Gastgeber, Vermittler und Mediator in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Regierungen aller Parteien haben eine bedeutende Rolle gespielt, um die Verständigung zwischen Staaten zu fördern – von Bundeskanzler Bruno Kreisky zu Zeiten des Kalten Krieges bis zu Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Gegenwart, der noch als Außenminister Gastgeber wichtiger internationaler Gespräche etwa über das Atomabkommen mit dem Iran oder von Verhandlungen zur Beilegung der Syrien-Krise war.

Beliebte Konferenzstadt

Wien bietet nicht nur einer Reihe von bilateralen und multilateralen Botschaften ein Zuhause, es ist auch Sitz von Teilorganisationen der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie der Internationalen Atomenergiebehörde. Wien ist der Hauptsitz für mehr als 100 internationale Organisationen, wie zum Beispiel der Organisation Erdöl exportierender Länder, der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung oder der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, und, und, und . . .

Keine andere Hauptstadt der Welt hat so viele Hauptsitze von wichtigen internationalen Organisationen – und schon gar nicht mit einer solchen Breite an Themenschwerpunkten.

Das bedeutet in Klartext: mehr als 17.500 akkreditierte Diplomaten, Tausende von lokal angestellten Mitarbeitern, Kongresszentren, inklusive der Hofburg und des Austria Conference Centre mit Platz für mehr als 20.000 Delegierte. Kein Wunder, dass Wien als Kongresshauptstadt für die Wirtschaft, Fach- und Dachorganisationen international bevorzugt ist.

Man kann nicht klagen: Mit hervorragenden Verkehrsverbindungen, einer zentralen geografischen Lage, öffentlichem Verkehr auf Weltklasseniveau, vielseitigen Vergnügungsmöglichkeiten, einem ausgeprägten, hochkarätigen und günstigen Kulturangebot, gutem Essen und Trinken. Für die Ausländer, die Wien kennen, ist es keine Überraschung, dass diese Stadt neun Jahre hintereinander für die weltweit höchste Lebensqualität ausgezeichnet worden ist.

Hohes Niveau aufrechterhalten

All das ist überaus beeindruckend, und die Aufrechterhaltung dieses hohen Niveaus muss für die politischen und wirtschaftlichen Eliten Österreichs höchste Priorität haben. Es herrscht seit Jahrzehnten ein überparteilicher Konsens in Bund und Ländern und mit Unterstützung der Sozialpartner, dass Wien als internationale Drehscheibe von enormer Wichtigkeit ist – nicht nur für die Stadt selbst, sondern für Österreich insgesamt. Die wirtschaftlichen Vorteile und Steuereinnahmen, die damit zusammenhängen, sind auch nicht zu übersehen. Trotzdem, muss man immer Verbesserungsmöglichkeiten suchen, und in einer Hinsicht gibt es eine besondere Herausforderung: Wien mag eine international einzigartige Hauptstadt der Diplomatie sein, aber es ist kein wichtiges Zentrum für die globalen Medien – und das hat Konsequenzen.

Die Zahl an internationalen Journalisten, die aus Wien für renommierte Sender oder Zeitschriften berichten, liegt auf einem Rekordtief. Ausländische Berichterstatter, die in Wien tätig sind und auf hohem Niveau arbeiten, sind oft über Österreich hinaus auch für die größere Region zuständig. Leider werden mediale Themen aus und über Österreich von den Entscheidungsträgern in den internationalen Medien nur begrenzt berücksichtigt.

Natürlich wird über Weltereignisse, die in Wien ablaufen, berichtet – oft von Journalisten, die dafür speziell nach Österreich entsandt wurden. Aber vieles mit Nachrichtenwert, die internationalen Organisationen in Wien und die Ansichten von österreichischen Experten und Kommentatoren betreffend, bleibt ohne Medienecho. Wer wäre denn ein besserer Interviewpartner zur Ost-West-Krise als Emil Brix, der einst als österreichischer Botschafter in London und Moskau Erfahrungen und Expertise sammelte und jetzt die älteste diplomatische Akademie der Welt leitet?

Viele begabte Fachleute

Warum sollte man die Herausforderungen und Möglichkeiten für demokratische Erneuerungen erörtern, ohne mit Philippe Narval vom Forum Alpbach zu sprechen? Warum sich nicht über das wandelnde Bild von Frauen in der Wirtschaft mit der imposanten Michaela Novak-Chaid von HP Austria auseinandersetzen oder über die internationalen Klimainitiativen der Organisatorin des R20 Austria World Summit, Monika Langthaler, berichten?

Und lasst uns die Vereinten Nationen nicht vergessen, die eine ganze Riege von Fachleuten und Sprechern haben – unter anderem den begabten Kommunikator Neil Walsh vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, das an vorderster Front in der Bekämpfung der Onlinekriminalität und des Terrorismus tätig ist.

Internationaler Brückenbauer

All diese Persönlichkeiten, und viele mehr, sind in Wien zu Hause – und ihre Organisationen sind es auch. Sie sind mehr als qualifiziert, um in den Medienberichten von CNN, Bloomberg TV, BBC, France 24, Deutsche Welle und vielen anderen internationalen Medien auftreten zu können. Sie alle sollten Go-to-Interviewpartner für diese Sender sein, genau so, wie Außenministerin Karin Kneissl mit ihrem Auftritt vor Kurzem in einer Livesendung von CNN den Weg angezeigt hat.

Die gute Nachricht ist, dass es Österreich nicht an hochbegabten Experten mit ausgezeichneten Kommunikations- und Fremdsprachenkenntnissen mangelt. Wenn Konsens darüber herrscht, dass es von Vorteil wäre, österreichische und in Wien ansässige internationale Experten und Kommentatoren öfter in internationalen Medien zu sehen, muss die Frage gestellt werden, wie das dann zu erreichen wäre.

Wie kann sich Wien längerfristig als eine Hauptstadt der Diplomatie erfolgreich behaupten – ohne das dazu erforderliche globale Medieninteresse? Ich bin der Frage diese Woche bei einer Public Diplomacy Tagung in der Diplomatischen Akademie nachgegangen. Die gute Nachricht ist, dass diese Lücke überwindbar ist.

Österreichs langfristige Rolle ist weiterhin die eines internationalen Brückenbauers. Aber um das erfolgreich zu bewerkstelligen, muss in der Welt darüber berichtet werden, was in Wien eigentlich alles abläuft.

DER AUTOR

Angus Robertson (geboren 1969 in Wimbledon, London) studierte Politik und Internationale Beziehungen an der Universität Aberdeen. Er arbeitete zehn Jahre in Wien als ORF-Nachrichtenredakteur bei Blue Danube Radio und als Korrespondent für die BBC. Von 2007 bis 2017 war er Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP) im britischen Unterhaus und führte für die SNP erfolgreich mehrere Wahlkämpfe. Heute Public Diplomacy Berater.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.