Gastkommentar

Der lärmende Aufstieg der politischen Machos

Die Inszenierung von Männlichkeit zur Beeinflussung der Massen hat eine lange Tradition, die gegenwärtig wieder aufblüht.

In einigen Weltgegenden grassiert gerade die Hypermännlichkeit. Der Präsident der USA präsentiert sich als eine Art Höhlenmensch, der sich auf die Brust trommelt, Frauen in den Schritt greift und brüllt wie ein Affe.

Ein kanadischer Psychologieprofessor namens Jordan Peterson hat unzählige junge männliche Follower im Internet um sich geschart, denen er nahelegt, aufrecht zu stehen, die liberalen Softies zu bekämpfen, ihre männliche Autorität zu bekräftigen und überkommene soziale Hierarchien wiederherzustellen, die er für Naturgewalten hält. Peterson ist eine etwas kultiviertere Version eines anderen Selbsthilfegurus für Männer, Julian Blanc, der mit seiner Aussage, es gefalle den Frauen, gewaltsam zum Sex gezwungen zu werden, vor Jahren einen Skandal ausgelöst hat.

Die politische Inszenierung von Männlichkeit zur Beeinflussung der Massen hat eine lange Tradition. In Italien war es Mussolini, der sich zwischen den beiden Weltkriegen ins Zentrum eines Männlichkeitskultes stellte: Der Duce in Reitstiefeln, die Hände fest am ledernen Gürtel, der mit finsterem Blick, stolzer Haltung und vorgeschobenem Unterkiefer Italiens Öffentlichkeit dominiert – als wäre sie seine unterwürfige Geliebte.

Das Modell Mussolini

Andere faschistische Führerfiguren in Europa nahmen sich ein Beispiel an Mussolini. Besessen von der Idee des nationalen Niedergangs und einer Verweichlichung der Kulturen waren sie bestrebt, ihr Volk durch die Zurschaustellung übertriebener Männlichkeit innerlich zu stärken. In seiner Beschreibung der Hitlerjugend fasste Hitler das männliche Ideal prägnant zusammen: „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.“

Juden wurden von den Nazis gemeinhin als bösartige Macht dargestellt, die durch niederträchtige Manipulation danach trachtet, der Gesundheit der Nationen zu schaden, und die die Weltherrschaft anstrebt. In öffentlichen Hassreden wurde aber auch das Klischee von Juden als schwach, beflissen und streberhaft instrumentalisiert – das Gegenteil des männlichen Ideals. Überträgt man die Hierarchie des Schulhofs auf die Gesellschaft, wurden Juden ein leichtes Opfer für brutale Einschüchterung durch Klassenrüpel.

Die Überhöhung von Gewalt und Hypervirilität waren nicht auf die westliche Welt beschränkt. Die grotesken Formen, die der japanische Militarismus in den 1930er-Jahren angenommen hat, sind hinreichend bekannt. Was etwa zur gleichen Zeit in Indien stattgefunden hat, hingegen nicht.

Radikale Hindu-Nationalisten gründeten den Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), ein paramilitärisches, nationalistisches Freiwilligenkorps, das nach wie vor starken Einfluss auf die Bharatiya Janata Party hat, die heute die Regierung in Delhi stellt. Inspiriert von Slogans am Ende des 19. Jahrhunderts wie „Beef, Biceps, and the Bhagavad Gita“, eiferte der RSS europäischen Faschisten nach und installierte eigene Ideale militärischer Disziplin in jungen hinduistischen Männern.

Obwohl es mehr oder weniger gleichzeitig zu Ausbrüchen von Hypermännlichkeit in unterschiedlichen Weltgegenden kommen kann, können die Ursachen verschieden sein. Normalerweise entspringt sie einem Gefühl der Demütigung oder der Angst vor Demütigung. Die Hindu-Nationalisten in Indien reagierten auf die Scham der kolonialen Unterwerfung. Sie mussten ebenso stark werden wie ihre britischen Herren, selbst wenn es entgegen eigener Gewohnheiten nötig sein sollte, Rindfleisch (Beef) zu essen.

Furcht vor dem Feminismus

Viele deutschen ,Männer, die als Soldaten gekämpft hatten, empfanden die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die strengen Auflagen der Siegermächte für ihr Land als Schmach. Sie wollten Rache, nicht nur an den alliierten Siegern, sondern auch an Liberalen und Juden, die sie angeblich verraten hatten.

Die Franzosen, die Ende des 19. Jahrhunderts rechtsradikale Bewegungen wie Action Française gründeten, litten noch unter der Niederlage des Deutsch-Französischen Krieges von 1871. Reaktionäre Intellektuelle träumten davon, die Nation wiedererstarken zu lassen. Einige empfanden die Vorstellung eines im Verfall begriffenen Frankreichs als dermaßen quälend, dass sie die deutsche Invasion 1940 als notwendigen Schock begrüßten, der die männlichen Tugenden wiederherstellen würde.

Woher rührt der derzeitige politische Machismo? Warum in den USA? Warum in Europa? Die Furcht vor Demütigung kann viele Ursachen haben. Einige junge Männer fühlen sich möglicherweise von feministischen Forderungen nach Gleichberechtigung eingeschüchtert. Eine Erklärung für den Widerwillen, der Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin entgegenschlug, war tatsächlich, dass sie viele Männer an die Art von einer weiblichen Vorgesetzten erinnerte, die sie hassen.

Zielscheiben für Volkszorn

Viele junge Männer scheinen sich nach der Bestätigung zu sehnen, die ihnen Selbsthilfegurus durch die Aussage vermitteln, es sei ganz natürlich für Männer, die Führung zu übernehmen. Andere fühlen sich durch die #MeToo-Bewegung sowie Forderungen, die Rechte von Frauen durchzusetzen, möglicherweise sexuell verunsichert.

Multikulturalismus ist ein weiteres Ziel der machohaften Rechten, speziell die Präsenz von Muslimen. Der Aufstieg von Frauen in Machtpositionen in westlichen Gesellschaften geht mit einer steigenden Anzahl erfolgreicher Führungspersonen außereuropäischer Herkunft einher. Und so wie Juden in der Vergangenheit werden Muslime heute als Gefahr für die westliche Zivilisation dargestellt: als Fanatiker und Terroristen.

In Wahrheit befinden sich die meisten Muslime im Westen in einer Position der Schwäche, was sie leicht zur Zielscheibe für den Volkszorn werden lässt. Und während diese Entwicklungen vor der eigenen Haustür stattfinden, rücken nicht westliche Mächte wie China als existenzielle Bedrohungen im Ausland ins Blickfeld.

Barack Hussein Obama, der zwar kaum als Softie gilt, repräsentierte all das, was bei vielen Menschen auf Ablehnung stößt: Er war hochgebildet, liberal, hatte einen muslimischen zweiten Vornamen, und sein Vater war Afrikaner. Durch Obamas Präsidentschaft, den Aufstieg Chinas, die Sichtbarkeit nicht westlicher Einwanderer und die Herausforderungen des Feminismus wurde klar, wie sich die Welt verändert hatte.

Hinter Donald Trumps Fassade

Deshalb entschieden sich die Wähler in den USA für einen großen, blonden, schwadronierenden, Frauen in den Schritt greifenden Präsidenten, der versprach, dass alles wieder so wird wie früher.

Und trotzdem ist Trumps Hypermännlichkeit irgendwie nicht so recht überzeugend. All seinem Gepolter zum Trotz bleibt der Eindruck, dass sich hinter der Fassade des aufgeblasenen Machismo ein ängstlicher, kleiner, weißer Mann verbirgt, der weiß, dass er die Kontrolle verloren hat.

DER AUTOR

Ian Buruma (* 1951 in Den Haag) studierte chinesische Literatur in Leiden und japanischen Film in Tokio. 2003 wurde er Professor für Demokratie und Menschenrechte am Bard College in New York, 2008 mit dem Erasmus-Preis ausgezeichnet. Zahlreiche Publikationen. Buruma ist seit Frühjahr 2017 der Chefredakteur der renommierten „New York Review of Books“.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2018

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2018)

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