Gastkommentar

Das Kopftuchverbot kann nur der erste Schritt sein

Gegen ein reaktionäres Islamverständnis hilft keine Blümchenpädagogik. Da sind tiefer greifende Maßnahmen notwendig.

Wenig überraschend hat das geplante Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen der Debatte um Kopftuch, Islam und Integration neue Dynamik verliehen. FPÖ und ÖVP begründen ihr Vorhaben mit dem Schutz vor Diskriminierung, als Beseitigung eines Integrationshemmnisses und als Einstehen für den säkularen Staat.

Die Reaktionen darauf waren vielfältig und zumeist vorhersehbar, in ihren Details aber aufschlussreich. So erklären Repräsentanten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), das Tragen von Kopftüchern sei für noch nicht religionsmündige Mädchen zwar kein religiöses Gebot, dennoch werde man das Kopftuchverbot für eben diese Mädchen vor dem Verfassungsgericht bekämpfen.

Indirekt unterstützt die IGGÖ also den Kopftuchzwang für Kinder. Werden Mädchen früh an das Kopftuch gewöhnt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie es auch später unhinterfragt tragen, so das offensichtliche Kalkül.

Problembewusstsein steigt

Weniger eindimensional sind die Positionen von SPÖ und Neos. Ihre Vertreter bekunden durchwegs Missbehagen wegen des Kopftuchs oder sogar dessen Ablehnung. Im selben Atemzug bezweifeln sie allerdings die Sinnhaftigkeit eines Verbotes, verlangen zudem einen umfassenderen Ansatz beim Thema Integration (Stichwort mehr Sozialarbeiter in Schulen, keine Streichungen bei Deutschkursen etc.) oder sorgen sich um das Grundrecht der Religionsfreiheit.

In all ihrer Widersprüchlichkeit können diese Reaktionen dennoch ein Indiz dafür sein, dass im linken und liberalen Politspektrum das Problembewusstsein in der Kopftuchfrage und der dahinter stehenden Integrationsthematik gestiegen ist. Gerade im Falle der SPÖ wäre das ein bemerkenswerter Fortschritt. Lange Zeit dominierte dort die Praxis, die Herausbildung von Parallelgesellschaften abzuleugnen und etwa beim Thema Kopftuch unreflektiert die Außendarstellung des reaktionären Islam zu übernehmen.

Dieser Darstellung zufolge ist das Kopftuch ein harmloses religiöses Symbol, für das sich deren Trägerin freiwillig entscheidet. Inwieweit von Freiwilligkeit bei einem religiösen Gebot überhaupt die Rede sein kann, bleibe dahingestellt. Und selbst wenn eine Frau nicht bereit ist, das Gebot eines frühmittelalterlichen Textes wortwörtlich zu nehmen, so lange ihr familiäres und soziales Umfeld dies tut, kann von Entscheidungsfreiheit einmal mehr nicht die Rede sein.

Im überkommenen Islamverständnis gilt eine kopftuchlose Frau bald einmal als „nicht anständig“ und „schlechte Muslimin“. Schließlich liegt dem Kopftuchgebot die Idee zugrunde, dass die unbedeckte Frau quasi automatisch Männer zu sündhaften Gedanken und eventuell Taten verleite. Die Schuld daran sei selbstverständlich nicht bei den Männern, sondern bei der unbedeckten Frau zu suchen.

Nun mag eine solche negative Sexualisierung direkt aus der Lebenspraxis einer arabischen Stammesgesellschaft des sechsten Jahrhunderts gegriffen sein. Warum sich aber ausgerechnet Linke und Liberale des 21. Jahrhunderts so schwer damit tun, aktiv gegen die Verbreitung eines derartigen Frauen- (und Männer-)bildes vorzugehen, verstehe, wer kann. Zumal ebendieses Kopftuch vom reaktionären Islam weltweit zum Symbol für das Dichtschließen der eigenen Reihen und die Ablehnung des säkularen Gesellschaftsmodells erkoren wurde.

Aber ist das Kopftuch nun also nur ein harmloses Stück Stoff oder doch ein wichtiges Markenzeichen des reaktionären Islam?

Endlose Serie von Verboten

Eine muslimische Frau, die sich für das Kopftuch „entscheidet“, oder jene, die sie dazu nötigen, machen damit eben nicht nur deutlich, dass sie Moslems sind, sondern auch, dass sie – bewusst oder unbewusst – dem Islam in seiner reaktionären Auslegung anhängen.

Der Koran wird dabei auf den direkten Wortsinn verengt, was nur wenig Raum für ein Textverständnis offenlässt, das auch die historischen Gegebenheiten der Entstehungszeit berücksichtigt. Als Ergebnis fühlen sich gläubige Moslems auch heute noch an eine endlose Serie von Verboten und Vorschriften gebunden – von der Kleidung über die Gebetszeiten bis zur Auswahl der Speisen und Getränke.

Über das vergleichsweise Oberflächliche hinaus messen sie zudem Männern und Frauen einen unterschiedlichen Wert zu ebenso wie Gläubigen – also ihnen selbst – und sogenannten Ungläubigen. Spätestens an diesem Punkt aber ist die Kollision mit den Werten und Rechtsnormen der aufgeklärten und egalitären Demokratien europäischen Zuschnitts vorprogrammiert.

Gezielte Selbstabschottung

Interessanterweise erkennen inzwischen nicht nur Politiker und Kommentatoren zunehmend die Unvereinbarkeit von westlicher Demokratie und rückwärtsgewandter Islaminterpretation, wobei die Linke im Erkenntnisprozess nachhinkt. Auch und besonders die Proponenten des reaktionären Islam selbst sind sich dieser Unvereinbarkeit bewusst. Nicht umsonst suchen sie ihre Gläubigen gegen die Gefahr, die aus ihrer Sicht vom westlichen Gesellschaftsmodell und dessen Lebensstil ausgeht, zu imprägnieren.

So zeigt etwa eine 2017 veröffentlichte Studie, dass in sechs von 16 repräsentativ ausgewählten Moscheen Wiens (salafistische Bethäuser waren nicht Gegenstand der Betrachtung) aktiv gegen die Integration gepredigt und die Religion über die staatlichen Gesetze gestellt wird. Die Selbstabschottung der Muslime ist offenbar ein wichtiges Ziel in konservativ islamischen Zirkeln.

Die ersten, die darunter zu leiden haben, sind jene Muslime, die nicht bereit sind, sich der rigoros-reaktionären Islamauslegung zu unterwerfen. Im zweiten Schritt, so steht zu befürchten, werden sich, nachdem die eigenen Gläubigen auf Linie gebracht sind, die Konflikte mit der Mehrheitsgesellschaft häufen.

Um das säkular demokratische Gesellschaftsmodell und den inneren Zusammenhalt der europäischen Gemeinwesen zu erhalten, muss die Integration der muslimischen Bevölkerungen gelingen. Sie muss über die Eingliederung ins Berufsleben und den Spracherwerb hinausgehen und die Internalisierung westlich-demokratischer Werte sowie die Relativierung des Religiösen umfassen.

Ganzheitliche Integration

Um eine solch ganzheitliche Integration sicherzustellen, werden einige zusätzliche Sozialarbeiter und vermehrte Deutsch- und Wertekurse, wie jetzt von der Opposition gefordert, nicht ausreichen. Gut zureden und Blümchenpädagogik bringt Menschen selten von ihrer religiösen Überzeugung ab.

Zusätzlich und in erster Linie sind daher Maßnahmen zu entwickeln, die sich langfristig und gezielt gegen Organisationen und Personen richten, die die reaktionäre Islamauslegung pflegen und vorantreiben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Christoph H. Benedikter (*1966 in St. Pölten) studierte Handelswissenschaft, Geschichte sowie Kultur- und Sozialanthropologie in Wien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Forschungsinstitut mit den Schwerpunkten Zeitgeschichte und strategische Analyse sowie freier Ausstellungskurator. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2018)

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