Gastkommentar

Was blieb von 1968? Verwelkte Revolte der Blumenkinder

Die linken Rebellen von einst sind in Spießer- und Retroparteien aufgegangen.

Die Ära der 68er wird immer dann bemüht, wenn es um große gesellschaftliche Veränderungen und soziale Umbrüche, um Neuerungen in Musik, Mode, Kunst und Kultur geht. Filme wie „Easy Rider“ und der dazugehörige Soundtrack drücken das Lebensgefühl einer ganzen Ära und Generation aus, die sich aufmachte, sich von ihren antiquiert-konservativen Eltern zu emanzipieren.

Was aber ist von der Hippie-Generation, die ihren Ursprung in den Studentenprotesten von Berkeley hatte, und von ihren Ideen 50 Jahre danach geblieben? Die Flower-Power-Epoche war eine Ära der Kreativität und Unangepasstheit, die starke politische und soziokulturelle Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wandel hatte. Doch wo sind die kreativen Geister und Revolutionäre von einst geblieben, und warum sind sie längst Teil des verhassten Establishments geworden?

Was Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre so hoffnungsfroh mit Willy Brandt in Deutschland oder Bruno Kreisky in Österreich begann, erfuhr später eine spannende Mutation mit etwas hölzern wirkenden Politikertypen wie Helmut Schmidt oder Franz Vranitzky und mündete schlussendlich in den starken Konformisten und Systemrepräsentanten wie Martin Schulz oder Christian Kern – beides keine Prototypen für wildes Revoluzzertum.

Arrangiert mit dem System

Die Blumenkinder, die gegen die herrschenden Konventionen von Moral und Sitte aufstanden und die Welt verändern wollten, sind teilweise schon verstorben, der Rest hat sich wie Joschka Fischer mit dem System arrangiert. Die einst multidimensionalen Denkmuster der kreativen linken Bewegung sind eindimensional geworden. Die ehemals Subversiven sind, wie das Beispiel der SPÖ und auch der Grünen zeigt, zu einer veralteten Systempartei aus Apparatschiks mit klaren Denk- und Sprachregelungen geworden. Das ist auch das „Kern“-Dilemma von Sozialdemokraten und Grünen. Streng genommen haben sich diese Bewegungen selbst zu jenen Spießer- und Retroparteien entwickelt, die sie einst bekämpft haben.

Ches Geist nur auf T-Shirts

Heute sind die Erben der 68er institutionalisierter und überangepasster als diejenigen, gegen die ihre Eltern einst rebelliert hatten – nämlich die Konservativen. Politische Korrektheit und Konsumkultur sind zur neuen Religion geworden. Der revolutionäre Geist Che Guevaras erscheint nur noch auf schicken T-Shirts und Buttons.

Umso paradoxer ist es, dass ein 31-jähriger Liebling aller Schwiegermütter und Omas eine „Systemrevolution“ in Koalition mit einem stramm rechten Partner ausruft. Das konservative Feindbild von damals, der biedere Schwiegersohn, ist Kanzler geworden. Das Ganze wird abgerundet von einer oberflächlichen Medienwelt, die auf Sensationen setzt und die Politik vor sich hertreibt.

„Gefühlssozialisten“ wie Rudi Dutschke, der fast missionarisch beseelt von seiner Idee und Überzeugung handelte und mit sich selbst haderte, gibt es nicht mehr. Die kritische Selbstreflexion und das Bemühen um ständige Weiterentwicklung – auch mit der Bereitschaft, Rückschläge einzustecken, fehlen den heutigen Vertretern des linken Spektrums. Rudi Dutschke war im Vergleich zu aktuellen Proponenten der Linken, die sich auf Vorstandsposten zurückziehen, wenn es ihnen in der politischen Küche zu heiß zu werden droht, bereit, einen wirklichen Preis für seine Ideale zu zahlen. Im Fall Dutschkes war es am Ende sogar sein Leben.

Daniel Witzeling, (*1985) Psychologe und Sozialforscher. Leiter des Humaninstituts Vienna. Vor Kurzem erschien sein Buch „Wenn der Wind sich dreht: Zeitfenster in eine neue politische Ära“ (Verlag Frank&Frei).

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2018)

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