Vertrauen bilden statt ausgrenzen und strafen

Wie wird man mit dem Phänomen Radikalisierung am besten fertig? Österreichs Strategie zielt zwar auf die Bekämpfung einzelner Extremisten, aber sie befasst sich nicht grundsätzlich mit dem Problem der Radikalisierung.

Vergangene Woche sollte eine junge Frau samt Ehemann und kleinen Kindern nach Russland abgeschoben werden – und auf den ersten Blick hätten wohl wenige Menschen ein Problem damit. Denn laut Papieren ist sie eine islamistische Terroristin. Als Kleinkind war sie mit ihren Eltern vor dem Tschetschenienkrieg nach Österreich geflohen. Kurz nach Ausrufung des IS-Kalifats im Sommer 2014 hatte sie jedoch versucht, nach Syrien auszuwandern.

Eine „Freundin“ in einem Chatforum hatte sie zu dieser Reise ermutigt und ihr versichert, dass sie dort als Krankenschwester den von Assad bombardierten Kindern helfen könne. Die junge Frau konnte damals an der Ausreise gehindert werden. Sie landete in Haft statt in Raqqa.

Österreichs strenge Gesetze

Im Gefängnis wurde sie gut betreut, sie knüpfte Beziehungen zu Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen. Nicht zuletzt aufgrund der guten Betreuung gab sie ihr Vorhaben, nach Syrien zu gehen, auf. Ihren strengen Glauben und ihren Gesichtsschleier wollte sie jedoch nicht ablegen.

Die österreichischen Behörden entzogen ihr nach der Haft den Flüchtlingsstatus und damit die Existenzgrundlage. Das Schicksal, das ihr droht, wenn sie als verurteilte tschetschenische „Terroristin“ den russischen Behörden übergeben wird, und vor allem auch das Schicksal ihrer Kinder, ist ungewiss.

Es ist durchaus möglich, dass ihre Abschiebung in ein Land, in dem Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen, das Non-refoulement-Gebot verletzt. So genau weiß das aber keiner, denn bisher wurden solche Abschiebungen nicht durchgesetzt.

Das Schicksal dieser jungen Frau ist ein Beispiel für den harten Umgang Österreichs mit seinen Jihadisten – auch mit jenen, die selbst keine Gewalt ausgeübt haben. Österreich führte bereits 2002 eines der strengsten Antiterrorgesetze Europas ein. So ist seither etwa die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die auch schon durch psychologische Unterstützung verwirklicht sein kann, mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Die versuchte Ausreise in ein Kriegsgebiet war in Österreich längst strafbar, als in anderen europäischen Ländern gerade die Diskussionen darüber begannen, wie weit die Vorverlagerung der Strafbarkeit überhaupt gehen dürfe.

Diese strengen österreichischen Gesetze im Umgang mit dem radikalen Islamismus haben sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Positiv ist etwa, dass die Ausreise nach Syrien in vielen Fällen – der Verfassungsschutz spricht von knapp 60 Personen – verhindert werden konnte. Diese häufig noch sehr jungen Menschen, die sich unter dem Einfluss der Propaganda des IS auf den Weg nach Syrien machten, konnten so vor sich selbst und die Syrer vor ihnen geschützt werden.

Negative Hafterfahrungen

Wer im Netz von Anschlägen fantasierte, wurde festgenommen, auch wenn er womöglich nie zur Tat geschritten wäre. Hätten deutsche Behörden wie die österreichischen gehandelt, wäre einer wie Anis Amri wohl rechtzeitig verhaftet worden, als er Attentate angekündigt hatte.

Doch die Härte der heimischen Justiz gegenüber Extremisten hat auch negative Auswirkungen. Denn Gefängnisstrafen sind insgesamt weniger Teil der Lösung als Teil des Problems. Das Gefängnis bietet nicht nur ein geradezu ideales Umfeld, um andere für den Jihad zu rekrutieren. Lange Untersuchungshaften, in denen wenig Betreuung, aber dafür viel Isolation den Alltag prägen, verstärken Radikalisierung eher als ihr entgegenzuwirken.

Der Hass auf den säkularen Staat wird durch negative Erfahrungen in Haft geschürt: Der in Österreich geborene Lehrling und Bombenbauer Lorenz K. hat dies vor Gericht als ein wesentliches Motiv für seine Hinwendung zu radikalen Predigern angeführt.

Da Radikalisierung fast immer mit Ausgrenzungserfahrungen und Diskriminierung zu tun hat, mit dem Gefühl, dass „die Muslime“ von „dem Westen“ unterdrückt werden, passt ein hart strafender Staat nur allzu gut in die Schwarz-Weiß-Propaganda der Jihadisten. In Österreich addieren sich schließlich strenge strafrechtliche Sanktionen mit existenzbedrohenden fremdenrechtlichen Folgen. Das scheint zumindest in den Fällen, in denen keine Gewalt ausgeübt und keine konkreten Anschlagspläne gehegt wurden, unverhältnismäßig. Besonders hart trifft es die Kinder, die für die störrische Haltung ihrer Eltern einen sehr hohen Preis bezahlen müssen.

IS weitgehend entzaubert

Wenn der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht den Rückgang der Ausreisen nach Syrien auf präventive und repressive Maßnahmen sowie auf die konsequente Strafverfolgung zurückführt, so ist das nur ein Teil der Wahrheit. Die Zahl der Auslandskämpfer ging vor allem auch deshalb zurück, weil es den „Islamischen Staat“ als solchen nicht mehr gibt. Der IS ist inzwischen sowohl durch sein extrem brutales Vorgehen und als auch durch seine militärische Erfolglosigkeit weitgehend entzaubert.

Das Ende eines territorialen „Islamischen Staats“ bedeutet jedoch nicht, dass religiös motivierte extremistische Gruppen nicht weiter versuchen werden, an Einfluss zu gewinnen, ihre Propaganda zu verbreiten und auch Anschläge zu begehen. Was wäre also jenseits von Repression und Strafe zu tun?

Andere Länder mit ähnlich hohen Zahlen an Auslandskämpfern zeigen Wege auf, wie man auf Radikalisierung reagieren kann, ohne dass die Extremisten zu Nichtbürgern erklärt werden.

Wie andere Länder vorgehen

Im dänischen Aarhus und im belgischen Mechelen bekommen jene, die nach Syrien reisen wollten oder von dort zurückgekehrt sind, keine Gefängnisstrafe, sondern eine Chance auf Rehabilitierung. Neben einem Mentoringprogramm werden sie bei der Suche nach Wohnung und Arbeit unterstützt. Die Politik bemüht sich bewusst um ein gesellschaftliches Klima frei von Abwertung und Diskriminierung, um nicht den Propagandisten in die Hände zu spielen.

Man ist überzeugt, dass der Aufbau von Vertrauen sowie der Austausch mit den Eltern und den muslimischen Communities mehr bringen als Bestrafung und Ausschluss. Familien und ihre radikalisierten Kinder werden nicht als Feinde, sondern als Leute, die Hilfe brauchen, betrachtet und professionell unterstützt.

Auch bei uns gibt es professionelle Sozialarbeit. Der repressive Umgang mit Extremisten aber behindert die Helfer mitunter enorm und konterkariert ihre Anstrengungen. Die Strategie Österreichs hat einen hohen Preis, nicht nur für die, die unverhältnismäßig hart bestraft werden. Sie bekämpft einzelne Radikalisierte – auch die, die nicht gewaltbereit sind –, aber sie befasst sich nicht mit dem Problem der Radikalisierung an sich.

DIE AUTORIN

Dr. Veronika Hofinger (*1972) ist Soziologin und wissenschaftliche Geschäftsführerin am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. Sie forscht zu den Themen Gefängnis, Rückfall und Extremismus. Zuletzt untersuchte sie Radikalisierungsprozesse von in Österreich aufgewachsenen Jugendlichen und evaluierte Deradikalisierungsmaßnahmen im Strafvollzug.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2018)

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