In dieser heißen Stadt gibt es doch nicht nur Autos!

Alltägliche Beobachtungen einer Bewohnerin eines Wiener Gürtelbezirks.

Die Gentrifizierungswalze rollt noch immer über unser Wohngebiet nahe dem Wiener Gürtel, der vierspurigen Straße voller Abgase und Autolärm. Heute Früh fehlte schon wieder ein Haus – eine alte Werkstatt, vor der noch bis vor Kurzem alte Leutchen in ihrem Rosengarten saßen. Als Nächstes wird wohl das alte Hotel daran glauben müssen, an dem lachende Frauenköpfe an der Fassade zum Eintreten einladen. Die Fenster und die Innenstiege fehlen bereits – wohl, um die Baufälligkeit herzustellen.

Viele Menschen werden es dem neuen Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig, bei der nächsten Wahl nicht verzeihen, dass er als Wohnbaustadtrat nichts gegen die Zerstörung ihrer Wohnbezirke unternommen hat. Jeder kann selbst sehen, wohin die Laissez-faire-Politik geführt hat: Leerstehende Betonhäuser, für die so lange „Vorsorgewohnungen“ angepriesen werden, bis das Schild vergilbt ist. Oder es wird an Touristen vermietet. Für normale Mieter aber bleibt kein Platz.

Die öffentlich viel beschworene „Verdichtung“ führt dazu, dass inzwischen sogar Innenhöfe als Privatbesitz verkauft werden. Wohlhabendere Leute schauen dann neiderfüllt auf gemeinschaftlich genutzte, lebendige Höfe mit Kindern, Wäscheleinen und wechselnden Raucher-Besprechungen herüber – einsam zwischen Pelargonien thronend. Oder sie versuchen, mit einer riesigen Baumschere den Baum im Nachbarhaus zu stutzen, der seine Blätter auf den teuren Korbmöbeln verteilt.

Blockierte Straßen

Der Tieflader voll Betonfertigteilen mit ungarischem Kennzeichen, die Hackler, die in schwindelnder Höhe einen alten Backsteinkamin abtragen und in einem Auto mit polnischem Kennzeichen ihre Jausenbox auspacken – die Unternehmer, die diese Arbeiter nach Österreich holen, sieht man praktisch nie. Gesehen und gehasst werden die ausländischen Arbeiter, die mit ihrem Laster ungerührt stundenlang die Straße blockieren oder die in der Früh im Supermarket Wodkaflaschen einkaufen.

Wohnen in Abgasschwaden

Drei Baustellen in unserer Straße, vier in den beiden Querstraßen. Wann werden endlich genug Vorsorgewohnungen in unserer Gürtelgegend errichtet sein? Und seit wann wollen wohlhabende Leute in Abgasschwaden wohnen?

Nein, Ludwig dürfte nicht lange Wiener Bürgermeister bleiben. Entweder wird die „Bauunternehmerpartei“ gewählt werden – in Verkennung der Sachlage –, die Hintermänner der ausländischen Arbeiter, die Bankenkredite aufnehmen, Förderungen kassieren und schnelle Geschäfte erhoffen.

Oder die Grünen werden ihre Macht in den Bezirken ausbauen können, falls sie sich nicht wieder in irgendwelche Bauherrengeschäfte verstricken lassen, wie beim Wiener Eislaufverein, dessen Kennzeichnungsmerkmal Frei- und Frischluft abgeschafft werden wird. Damit es oberhalb eines überdachten Eislaufplatzes noch mehr Geschäfte gibt. Als ob es an der Landstraße nicht schon genug Shoppingcenter gäbe. In Wien Währing muss die grüne Bezirksvorsteherin derzeit 600 Bäume pflanzen lassen, denn unter ihren Vorgängern wurde nur abgeholzt, aber nicht nachgepflanzt.

Und denkt eigentlich noch jemand daran, dass in dieser heißen Stadt Menschen leben und es nicht nur Autos gibt? Wenn ich in der Früh in die Arbeit gehe, sehe ich die gestaute Autoschlange, mit jeweils einem düster dreinblickenden Fahrzeuglenker. Daneben zu Fuß unterwegs: Frauen, Kinderwagen schiebend, Frauen mit Rollwagerln, Fahrradfahrer. Auch Fußgängerinnen und Mieterinnen haben eine Stimme bei der Wahl.

Kerstin Kellermann ist freie Journalistin in Wien. Unter anderem schreibt sie für die Obdachlosenzeitung „Augustin“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Stellungnahme des Wiener Eislauf-Vereins zu dem Gastkommentar

Kerstin Kellermann verbreitet in ihrem Kommentar eine glatte Falschmeldung. Sie schreibt, dass der Platz des Wiener Eislauf-Vereins nach dem Umbau überdacht sein würde. Das ist schlicht falsch. Er wird ein Freiluft-Platz bleiben und das lässt sich auf allen veröffentlichten und den BürgerInnen zugänglichen Plänen auch ersehen. Diese seltsame Behauptung ist also nur geeignet, Mitglieder und Freunde unseres Vereins zu verunsichern. Vielleicht ist es derzeit ja wirklich zu heiß in der Stadt.

Peter Menasse, Pressesprecher Wiener Eislauf-Verein

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2018)

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