Eure Heiligkeit, Ihre Entschuldigungen reichen nicht aus!

Zölibat hat zum Unheil des sexuellen Missbrauchs strukturell beigetragen.

Papst Franziskus hatte es bei seinem Besuch in Irland nicht leicht. Zu sehr haben die hundertfachen Vergehen des dortigen Klerus und der Ordensfrauen das Klima vergiftet. Leider gab es vonseiten des Papstes außer den schon bekannten Entschuldigungsformeln und den immer gleichen Ankündigungen, von jetzt an werde es anders, nichts Neues. Und das ist entschieden zu wenig. Franziskus ist kaum noch glaubwürdig. Es braucht dringend Reformen struktureller wie theologischer Natur.

Es gibt viele Menschen, die im Besitz von Macht diese für sexuelle Übergriffe missbrauchen. Die Kirche ist nicht die einzige Institution, auf die dies zutrifft: Hollywood mit seinen Moguln und Filmstars, Popstars oder machtvolle Bürokraten zählen auch dazu. Der #Me-Too-Diskurs hat einiges aufgedeckt. Das grundsätzliche Problem ist daher männliche Macht. Dieser Gedanke führt uns weiter zum Patriarchat. Der Männer Dominanz hat schon immer zu sexueller Gewalt geführt. Je größer das Machtgefälle zwischen dem Patriarchen und seinen Untergebenen, umso schlimmer die sexuelle Gewalt.

Da Priester ihre Sexualität nur im Verborgenen leben können, musste ihr Quasipatriarchat zu sexuellem Missbrauch bei den Schwächsten ihrer Lebenswelt führen. Je schwächer deren Opfer, desto größer die Scham. Je größer die Scham, umso wehrloser und verschwiegener die Opfer. Darauf konnte sich nicht nur in Irland der kinderschändende Klerus verlassen: Gegen einen Priester, gar gegen einen Kardinal Vorwürfe zu erheben, war sehr, sehr riskant.

Der Zölibat muss weg

Wir können daraus folgern, dass der Zölibat zum Unheil des Missbrauchs strukturell beigetragen hat, daher muss er weg. Spätestens seit der Enthüllung, dass sich in Philadelphia mindestens 300 Priester an Ministranten bzw. kleinen Mädchen vergangen haben, muss klar sein, dass der Zölibat die falschen Priesterkandidaten anzieht: Pädophile und Schwule. So kam es zum Skandal „Kardinal Groer“ oder zu den ekligen Vorfällen in Bischof Kurt Krenns Priesterseminar, wo polnische Seminaristen Schwulenfeste feierten. Mich schaudert beim Gedanken, wie viele Missbrauchsfälle von Priestern oder Bischöfen Österreichs nie aufgedeckt wurden.

Es gibt wichtigere Dinge

Die Tage des rein männlichen und zölibatären Priestertums sind vorbei. Eine Fokussierung auf „Keuschheit“, die in praxi nur selten ohne Peinlichkeiten funktionierte, und der Ausschluss von Frauen von der Priesterweihe sind Relikte aus dumpfer Vergangenheit. Der Zölibat wird von keinem Evangelisten erwähnt. Warum sexuelle Enthaltsamkeit einen Menschen veredeln soll, ist mir schleierhaft. Dieses Denken muss überwunden werden.

Das Judentum, aus dem unsere Kirche ja hervorgegangen ist, hegt im Gegensatz dazu eine hohe Wertschätzung der Sexualität. In der Thora wird festgehalten, ein „erfülltes Eheleben“ sei für Männer und Frauen anzustreben. Ein unverheirateter Rabbi ist bei den Juden kaum denkbar. Wie soll auch ein Unverheirateter den Menschen Ratschläge über Ehe und Kindererziehung geben, wenn er nur aus dem hohlen Bauch heraus redet?

Wann endlich wird die Kirche ihr Auge vom Schlafzimmerschlüsselloch abziehen? Es gibt wahrlich wichtigere Dinge als das selbstmörderische Festhalten am Zölibat. Franziskus sollte sich vielmehr (und viel mehr) um soziale und ökonomische Gerechtigkeit kümmern, als um die Finessen des sechsten Gebots. Auch der Schutz dieser von Gott erschaffenen Welt vor Zerstörung und Vergiftung ist ein wichtiges, bisher vernachlässigtes theologisches Anliegen.

Univ.-Prof. (i.R.) Adi Wimmer ist Pfarrgemeinderat der Pfarre Don Bosco, Klagenfurt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2018)

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