Aufgedeckt: Homophober des Jahres war auf Schwulenhochzeit!

Anzeigen, Beschimpfungen, Forderungen nach Berufsverbot. Ich sitze im Shitstorm meines Lebens.

Letztens schrieb ich anlässlich der Homo-Ehe eine Polemik gegen die Unduldsamkeit der herrschenden Ideologie. Ich schrieb nicht über Homosexuelle oder Homosexualität, sehe aber aus den Reaktionen, dass ich Homosexuelle beleidigt habe. Das tut mir aufrichtig leid. Abseits des Shitstorms, der aus der Twitteria zu mir hereinschwappte, bekam ich auch berührende Briefe von jungen Homosexuellen. Diese Briefe beschämten mich, so genau, persönlich und respektvoll waren sie geschrieben. Viele erwähnten die hohe Selbstmordrate unter Homosexuellen. Ich wusste das nur von Transsexuellen, da ich als Reporter den Fällen belgischer Transsexueller nachgegangen war, die sich nach ihrer Geschlechtsumwandlung euthanasieren ließen. Das beschäftigt mich jetzt. An diesen wunderbaren Menschen ist oft etwas Zerbrechliches.

Nun, da ich als homophob gebrandmarkt bin, muss ich an die Hochzeit meiner schwulen Freunde denken. Ein maskuliner Highlander und ein zappeliger Pressburger, wir sind seit 15 Jahren befreundet. Ihretwegen kannte ich in ihren Städten nur schwul-lesbische Lokale. Unsere Zechtouren enden stets gleich: Der Highlander zerrt den Pressburger zum Taxi, manchmal andersrum, einmal musste ich beide zerren. Meine Freunde wissen, dass ich katholisch bin. Während ich unterschiedliche Rechtsinstitute für unterschiedliche Arten des Zusammenlebens befürworte, fiebern sie der absoluten Gleichstellung entgegen. Wir haben das bis zur physischen Erschöpfung diskutiert. Einmal sprang der Highlander fluchend auf, weil ich sie keine „family“ nannte, sondern bloß ein „loving couple“. Als er wieder saß, fanden wir heraus, dass es in Großbritannien geläufig ist, sie als Familie zu bezeichnen.

Es gibt zwischen uns auch Unaussprechbares. Siehe oben, dieses Zerbrechliche. Ich bin außerstande abzuschätzen, wie sehr die Gleichstellung Selbstmorden vorbeugt und wie sehr sie durch neue Erwartungen auch neue Tragödien schafft. Was sie von den Methoden ihrer Lobby halten, habe ich meine Freunde nie gefragt.

Ein Schatten lag über ihrer Edinburgher Hochzeit. Von den Angehörigen meiner geselligen Freunde kamen nur zwei. Dabei waren das keineswegs konservative Milieus – ein weltläufiger Manager, ein international tätiges Model. Auch viele Freunde fehlten. Beim Bankett schließlich war ich der einzige Mann vom Kontinent. Ein Anblick am anderen Ende der Tafel beunruhigte mich: Da saß ein mürrischer Sir mit Beatmungsschlauch, rauchend. Der Sir war transsexuell, er hatte als Frau gelebt. Ausgerechnet ich wurde gebeten, die Tischrede zu halten. Ohne meinen Glauben zu verschweigen, bezeugte ich ihre Liebe. Sie waren den Tränen nahe.

Bei Sonnenuntergang waren alle Hochzeitsgäste gegangen, bis auf drei. Wir Restlichen saßen noch bis zum Morgengrauen an der Nordsee. Der Sir trank und rauchte und sagte: „I am dying.“ Die Taubenzucht seines Vaters habe ihm als Kind die Lunge zerstört. Er wurde im Verlauf des Tages mein liebster Gast, kein überflüssiges Füllwort, trockener Humor.

Jedes Mal, wenn wir uns sehen, danken mir meine Freunde dafür, dass ich auf ihrer Hochzeit war. Mir ist dieses Lob unangenehm; ich hätte es nicht übers Herz gebracht, sie so hängen zu lassen wie all diese verlogenen Liberalen. Als sie unlängst wieder damit anfingen, fragte ich nach dem Befinden des Transsexuellen. Der Sir, erfuhr ich, ist tot.

Martin Leidenfrost, Autor und Europareporter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland.
E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2018)

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