"Londoner Patient" bringt etwas Hoffnung bei Aids

(c) Peter Kufner
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Die Heilung eines weiteren HIV-1-infizierten Patienten ist beachtlich. Sie zeigt: Die Elimination von HIV aus dem Körper ist möglich.

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Am 4. März ging eine Meldung um die Welt: Bei einem HIV-1-infizierten Patienten aus London war zwei Jahre nach der Transplantation von blutbildenden Stammzellen das Virus nicht mehr nachweisbar, obwohl er keine virushemmenden Medikamente nahm. Dass sich die Meldung noch vor der offiziellen Präsentation der Daten durch Dr. Ravindra Gupta vom University College in London wie ein Lauffeuer verbreitete, zeigt, wie sehr das Thema HIV 35 Jahre nach der Isolation des Virus und 23 Jahre nach der Einführung hochwirksamer antiviraler Medikamente noch immer die Gemüter bewegt.

Die Geschichte der HIV-Krankheit ist ein Beispiel dafür, wie wichtig Grundlagenforschung ist. Nur durch Erforschung jedes einzelnen Schrittes des Lebenszyklus von HIV gelang es, Schwachpunkte zu identifizieren, an denen das Virus bekämpft werden kann. Die Voraussetzung für die Behandlung des „Londoner Patienten“ etwa basiert auf den Entdeckungen, dass das HI-Virus nur Zellen des Immunsystems mit besonderen Eigenschaften infizieren kann.

Die Aufklärung dieser ersten Schritte der Interaktion des Virus mit Zielzellen ist ein etwas komplizierter Prozess. Zuerst bindet das Virus an den CD4-Rezeptor, der auf T-Helferzellen und Makrophagen – beides Zellen des Immunsystems – vorkommt. Danach ist die Bindung an ein zweites zelluläres Protein nötig, damit die Virushülle so aktiviert wird, dass das Virus in die Zelle eindringen kann. Dieses zweite Molekül wird als Korezeptor bezeichnet. Es kann entweder das CXCR4-Molekül sein, das an T-Zellen, oder das CCR5-Molekül, das an Makrophagen vorkommt. Mitte der 1990er-Jahre wurde entdeckt, dass eine natürlich vorkommende Mutation von CCR5 gegen die Infektion mit manchen HIV-Stämmen schützt, sofern sie auf beiden Allelen des Chromosoms vorhanden, also homozygot ist. Diese Mutation wird Delta32 genannt.

2007 wurden einem Patienten mit HIV-Infektion nach der Behandlung seiner Leukämie blutbildende Stammzellen eines Spenders mit dieser Mutation transplantiert. Diese Transplantation musste einige Jahre später wiederholt werden, da die Leukämie neuerlich auftrat. Seit dieser zweiten Transplantation ist der Patient, der als „Berliner Patient“ in die Literatur eingegangen ist, von der Leukämie geheilt. Erstaunlich war: Obwohl er keine virushemmenden Medikamente nahm, konnte nach einigen Monaten auch kein HI-Virus mehr bei ihm nachgewiesen werden. Das heißt, das Virus konnte die Immunzellen, die sich aus den transplantierten Stammzellen entwickelt hatten, nicht infizieren und sich damit nicht mehr vermehren. Der Patient Timothy Ray Brown, der seinen Namen selbst öffentlich machte, wird sowohl was die Leukämie als auch die HIV-Infektion betrifft, als geheilt angesehen.

Seit diesem ersten Fall wurde mehrfach versucht, bei HIV-infizierten Patienten, die wegen anderer Erkrankungen eine Stammzelltransplantation brauchten, diese von Spendern mit Delta32-Mutation zu transplantieren – allerdings bis jetzt ohne Erfolg. Der „Londoner Patient“ wurde wegen eines Hodgkin-Lymphoms mit Stammzellen behandelt, und seine Heilung verlief vergleichbar mit jener Timothy Browns: Nach der Transplantation kam es zu einer Erneuerung des Immunsystems durch die Spenderzellen, und trotz Verzichts auf antivirale Medikamente konnte seit mehr als 18 Monaten kein HI-Virus bei ihm mehr nachgewiesen werden.

Ist jede HIV-Infektion heilbar?

Heißt das, jede HIV-Infektion kann durch die Übertragung fremder Stammzellen, welche die Delta32-Mutation haben, geheilt werden? Dazu ist einiges zu bedenken: Neben der gesundheitlichen Belastung der Transplantation selbst muss der Patient danach lebenslang immunsuppressive Medikamente einnehmen, damit die fremden Immunzellen nicht den Körper angreifen. Bei dieser Art der Behandlung werden also die hochwirksamen antiviralen Medikamente durch immunsuppressive Medikamente ersetzt.

Ein weiteres Problem, das diese Art der Therapie nicht allgemein anwendbar macht, ist die Tatsache, dass neben dem Korezeptor CCR5 eben auch ein zweiter Korezeptor, nämlich CXCR4 existiert. Im Falle des „Londoner Patienten“ wurde festgestellt, dass er mit einem Virus infiziert war, das nur CCR5 als Korezeptor verwendet. Daher war die Transplantation mit Stammzellen, in denen dieser Rezeptor mutiert ist, erfolgversprechend. Liegt jedoch ein Virusstamm vor, der den anderen Korezeptor, nämlich CXCR4 verwendet, oder sind beide Stämme in einem Patienten vorhanden, würde die Transplantation solcher mutierten Stammzellen keinen Vorteil bringen, da das Virus sich in den CXCR4 tragenden T-Zellen vermehren könnte. Mehr als die Hälfte der HIV-infizierten Patienten sind entweder mit einem Virusstamm infiziert, der diesen zweiten Korezeptor verwendet, oder tragen beide Virusstämme in sich.

Der jetzige Bericht ist dennoch bedeutend. Er bestätigt, dass die Elimination von HIV aus dem Körper machbar, und dass Forschung in diese Richtung sinnvoll ist. Wegen der damit verbunden Risken und der Komplexität des Behandlungsprotokolls wird auch in Zukunft eine Transplantation fremder Stammzellen keine generell anwendbare Therapie sein. Durch die Fortschritte auf dem Gebiet der molekularen Techniken, insbesondere der immer präziser werdenden Eingriffe in die genomische DNA, haben sich jedoch in den vergangenen Jahren realistische Möglichkeiten eröffnet, Mutationen wie Delta32 auch gentechnisch in Zellen einzubringen. Durch punktgenaue Veränderungen an der genomischen DNA könnten auch beide Korezeptoren von HIV in den eigenen blutbildenden Stammzellen von infizierten Patienten inaktiviert und diese veränderten Zellen den jeweiligen Patienten transplantiert werden. Die Immunzellen, die sich aus diesen veränderten Stammzellen entwickeln, könnten nicht von HIV infiziert werden und würden die unveränderten Zellen ersetzen, die durch HIV zerstört werden. Diese Vorgangsweise hätte den Vorteil, dass keine langfristige Gabe von immunsuppressiven Medikamenten nötig wäre, da ja die Zellen von den transplantierten Patienten selbst stammen. Klinische Studien zu solchen Therapieansätzen sind bereits im Gange, und erste Teilerfolge wurden schon berichtet.

Hochwirksame Medikamente

Ich bin überzeugt, dass in den kommenden zehn Jahren die technologischen Voraussetzungen so perfektioniert sein werden, dass die genetische Veränderung von Immunzellen, um sie gegen HIV zu schützen, möglich und in das Armamentarium gegen diese Infektion inkludiert werden wird. Allerdings vermutlich nur im industrialisierten Teil der Welt, in dem die dafür nötige medizinische Infrastruktur existiert. Der Großteil der HIV-infizierten Patienten lebt in Regionen, die keinen Zugang zu diesen Technologien eröffnen oder in nächster Zukunft eröffnen werden.

Neben der Begeisterung über die Fortschritte in Richtung einer vollständigen Heilung der HIV-Infektion sollte auch nicht vergessen werden, dass bereits seit Mitte der 1990er-Jahre hochwirksame Medikamente gegen HIV eingesetzt werden, die in der Lage sind, das Virus vollkommen zu unterdrücken und die den Patienten ein Leben mit normaler Lebenserwartung ermöglichen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2019)

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