Europa und die Briten: Das wird schon wieder

(c) Peter Kufner
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Wie auch immer die Brexit-Streiterei am Ende ausgehen wird: Los werden wir einander in absehbarer Zeit ohnehin nicht werden, die Briten und wir. Das zeigt auch die lange Geschichte zwischen Insel und Kontinent.

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Der Prozess um den Brexit, den viele von uns in den vergangenen drei Jahren gern verdrängt haben, ist zuletzt wieder omnipräsent. Wo er hinführen wird, ist immer noch unklar. Egal, ob in Großbritannien, Europa oder Österreich – die Meinungen dazu sind gespalten. Einerseits wird in Brüssel und in so gut wie allen nationalen Hauptstädten inklusive Wien gebetsmühlenartig betont, dass man die Entscheidung der Briten bedaure, wenn auch respektiere. Auf der anderen Seite macht sich vielerorts aber doch eine gewisse „Jetzt haut doch endlich ab“-Einstellung breit. Geht, wenn ihr das für richtig haltet, aber bitte geht. Übrigens eine Einstellung, die auch auf der britischen Insel immer öfter zu hören ist ? „Get on with it!“

Der Bruch mit Rom

Und wer weiß, vielleicht wäre es ja wirklich besser, das Ganze endlich hinter uns zu bringen. Mit oder ohne Deal. Denn wie auch immer diese Brexit-Streiterei am Ende ausgehen wird: Los werden wir einander in absehbarer Zeit ohnehin nicht werden, die Briten und wir. Zumindest nicht, wenn man der Geschichte Glauben schenken will. Über die vergangenen paar Hundert Jahre sind die britische Insel und der Kontinent immer wieder aneinandergeraten, nur um sich sofort wieder in die Arme zu fallen. Egal, wie sehr man in London in der Geschichte auf Europa auch angefressen gewesen sein mag, der Kontinent war trotzdem immer die Lösung. Wenn auch keine sehr angenehme.

Ein besonders lehrreiches Beispiel für die heutigen Beziehungen zwischen Insel und Kontinent bietet eines der großen Ereignisse der englischen Nationalgeschichte: die Glorreiche Revolution von 1688. Denn dieser Gründungsmoment der modernen englischen Staatlichkeit hätte ohne Schützenhilfe aus Europa so wohl kaum stattfinden können. Wie vieles in der englischen Geschichte hat die Revolution aber keinen politischen, sondern vielmehr einen religiösen Hintergrund. Das ist eine Tatsache, die in einem Land, in dem gefühlt jede Kirche heute einen Supermarkt beherbergt, doch immer wieder zu überraschen vermag.

Die Ereignisse, die dieser Glorreichen Revolution in England den Weg bereiteten, hatten ihren Ausgang gut 150 Jahre früher. Da überwarf sich der englische König Heinrich VIII. mit der katholischen Kirche und brachte England auf den Weg zum Protestantismus. Wirklich beabsichtigt dürfte das von seiner Seite freilich nicht gewesen sein. Heinrich sah sich sein ganzes Leben nicht als Protestant, nur hatte er da eben ein paar Probleme mit den Frauen.

Im darauffolgenden Jahrhundert eskalierte die religiöse Lage aber endgültig. Auf dem Kontinent verbinden wir diese Zeit vor allem mit dem Dreißigjährigen Krieg, der ja (zumindest vordergründig) im Namen der Religion ausgefochten wurde. Während sich England aus diesem Konflikt heraushalten konnte, folgte dort in den 1640ern ein ganz ähnlich gearteter Bürgerkrieg. Dort erhoben sich protestantische parlamentarische Kräfte gegen den angeblich prokatholischen König Karl I. Stuart.

Die Parlamentsgruppen unter Oliver Cromwell blieben in diesem Krieg siegreich, doch folgten auf ihren Triumph die Hinrichtung des alten Königs und eine republikanische Diktatur, die sich als auch nicht viel beliebter oder erfolgreicher herausstellte als das vorangegangene Regime. Nach Cromwells Tod und nachdem dessen Sohn das ihm übertragene Amt des Lordprotektors schneller wieder abgegeben hatte, als Theresa May dreimal „strong and stable“ sagen kann, entschieden sich die Adeligen Englands, das Experiment mit der Republik doch lieber sein zu lassen. Man holte den Sohn des hingerichteten Königs – Karl II. – ins Land zurück. So schlimm waren die Stuarts dann doch nicht, mag man sich gedacht haben. Es gibt Gründe, dass das Vereinigte Königreich heute entgegen jeder menschlichen Logik immer noch eine Monarchie ist.

Besser Ausländer als Katholik!

Nur wenige Jahrzehnte später wurde die Lage für das protestantische Establishment in England aber wieder verdammt ungemütlich. König Karl II. starb nämlich, und ausgerechnet sein offen katholischer Bruder Jakob trat seine Nachfolge an. Das ging einigen Parlamentariern zu weit, und sie wandten sich – in auch damals schon altbewährter Manier – an Europa, in der Hoffnung auf Hilfe. Die fanden sie auch. Teile des Adels luden nämlich einfach den niederländischen Statthalter Wilhelm von Oranien ins Land, um Jakob die Krone notfalls mit Gewalt abzunehmen. Besser ein Ausländer aus Europa auf dem Thron als ein Katholik! Konsequenterweise wurde nach der erfolgreichen und vorerst unblutigen Machtübernahme Wilhelms und seiner Frau dann gleich festgelegt, dass von nun an kein Katholik jemals König Englands werden konnte. Wunderbar! Dann hätte England sein hartnäckiges Problem mit der Religion ja souverän gelöst. Dass keine fünfzehn Jahre darauf mit Georg von Hannover ausgerechnet ein Deutscher aufgrund dieses Gesetzes gut achtzig Plätze in der englischen Rangfolge übersprang und zum König aufstieg, war ein Kompromiss, den man einzugehen bereit war.

Diese Einstellung änderte sich in der britischen Politik auch nicht mehr grundlegend. Noch im 20.Jahrhundert blickte das politische Establishment des Landes nach Europa, sobald es auf der eigenen Insel brenzlig wurde. Und das passierte öfter. Dem ist es auch geschuldet, dass das Vereinigte Königreich 1973 nach langem Hin und Her doch noch Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde. Zumindest beim zweiten Versuch, nachdem Charles de Gaulle diese Pläne zuerst noch mit einem resoluten „Non!“ durchkreuzt hatte. Das britische Empire war zu dem Zeitpunkt nicht mehr und die ach so „Special Relationship“ mit den USA vermochte das Land nicht aus der anhaltenden Wirtschaftskrise zu holen. Wie schon in den Jahrhunderten zuvor musste die Lösung also auf dem Kontinent zu finden sein, auch wenn das einen noch so schweren Kompromiss darstellte. Heute scheint diese Tatsache in der britischen Öffentlichkeit wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Aber bitte, liebe Briten. Geht, wenn ihr das für richtig haltet! Los werdet ihr uns ohnehin nicht. Das seid ihr noch nie.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor

Ralf Grabuschnig (*1988) ist Historiker, Blogger, Podcaster und Autor des Buchs „Endstation Brexit“. Auf seinem Déjà-vu-Podcast spricht er aktuell über das genaue Gegenteil dieses Artikels: „Warum das mit Großbritannien und Europa nichts mehr wird“. Mehr Infos finden Sie hier: https://ralfgrabuschnig.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2019)

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