ORF-Exit: Kein Facebook ist auch keine Lösung

(C) Peter Kufner
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Der Facebook-Rückzug von orf.at ist ein schlechter PR-Stunt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte im Netz präsenter sein.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Mit 1. April hat der ORF nach knapp 17 Monaten die Präsenz seines Online-Angebots orf.at auf Facebook beendet. Und es war kein leiser Abgang. Die ausführliche Begründung des Facebook-Abschieds auf orf.at liest sich streckenweise wie eine politische Streitschrift und Anklage.

Kritisiert werden dort nicht nur „Datenlecks, kommerzielle Nutzung von persönlichen Daten und die ,steuerschonende‘ Vorgangsweise des Konzerns“. Auch die algorithmische Sortierung von Inhalten durch Facebook wird als „höchst problematisch“ beschrieben. Facebooks Algorithmus zensuriere „harmlose Inhalte“, verbreite „Fake News“ und bestrafe Links zu externen Inhalten mit geringerer Reichweite – zumindest, wenn Seitenbetreiber nicht gewillt sind, für Klicks zu bezahlen. Inhalte mit Beträgen zwischen 25 und 40 Euro auf Facebook mehr Reichweite zu verschaffen, sei jedoch keine Option. Denn „für orf.at als öffentlich-rechtlichen Anbieter kam es nicht infrage, mit Zahlungen an Facebook, immerhin direkter Gegner auf dem Markt um Werbegelder, Beiträge zu pushen“.

Spätestens an diesem Punkt in dem ORF-Pamphlet lohnt es sich, kurz innezuhalten. Und an die Hunderttausenden Euros zu denken, die der ORF für Inserate in Printpublikationen ausgibt. Den größten Anteil davon in Boulevard-Zeitungen, die auch auf Emotionalisierung setzen und oft Desinformation verbreiten.

Geld für Printinserate ist da

Konkurrenten auf dem Markt um Werbegelder sind diese ebenfalls, allerdings auch noch viel unmittelbarere Wettbewerber, was ihre redaktionellen Online-Ableger betrifft. Hinzu kommt, dass mit Printinseraten nur für Sendungen geworben wird, während Facebook auch die unmittelbare Verbreitung von Inhalten ermöglicht.

Reichweite war noch nie kostenlos zu haben. Deshalb sind Inserate in reichweitenstarken Printzeitungen so teuer. Und auch online sind die Zeiten vermeintlich kostenloser Facebook-Reichweite schon lang vorbei. Warum es also für den ORF in Ordnung ist, für Printreichweite zu bezahlen, nicht aber für – vergleichsweise günstige – Onlinereichweite, erschließt sich mir zumindest nicht.

Die übrigen Kritikpunkte an Facebook und dessen Algorithmen sind schon eher angebracht. Allerdings bleibt auch hier die Frage, ob es sich ein öffentlich-rechtlicher Anbieter und die ihn finanzierende Gesellschaft leisten kann und will, neue digitale Plattformöffentlichkeiten komplett zu ignorieren. Auf diese Weise werden diese neuen, digital-öffentlichen Räume zur Gänze profitorientierten und parteipolitisch motivierten Angeboten überlassen. Ja, Kritik an Facebooks Newsfeed-Algorithmus, an seinen Datenlecks, an seiner Steuervermeidung ist angebracht. Umso wichtiger wäre es, dass auch Facebook-Nutzer von ihrem gebührenfinanzierten Nachrichtenangebot regelmäßig und fundiert über genau diese Punkte informiert werden.

Für die Präsenz öffentlich-rechtlicher Sender auf YouTube gilt übrigens das Gleiche wie für Facebook: Auch dort verbreiten sich verschwörungstheoretische und hetzerische Videos dank eines rein auf Klicks und Profit optimierten Algorithmus. Gleichzeitig ist YouTube für Jugendliche heute schon wichtiger als klassisch-lineares Fernsehen. In Deutschland hat der Gesetzgeber darauf bereits vor einiger Zeit reagiert und bei ARD und ZDF das gemeinsame Jugendangebot „Funk“ beauftragt. Ohne linearen Sender im Hintergrund war Funk von Anfang an auf plattformbasierte Öffentlichkeiten des Internets hin ausgerichtet. Im Ergebnis ist mit Funk ein öffentlich-rechtliches Multi-Channel-Netzwerk auf YouTube und anderen Plattformen wie Instagram oder TikTok mit aktuell rund 60 verschiedenen Kanälen entstanden. Dieses Set-up erlaubt auch, viele Formate auszutesten, zu experimentieren. Die Ergebnisse gut zwei Jahre nach dem Start 2016 können sich durchaus sehen lassen: Fast 50 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen Funk-Formate wie die mit dem renommierten Grimme-Preis prämierten Kanäle „Datteltäter“ (zum Thema Islam und Muslime in Deutschland) oder „Mailab“ (Wissensvermittlung).

Fatale Netzverbote für den ORF

Der ORF hingegen darf noch nicht einmal einen eigenen YouTube-Kanal betreiben. Von neuen öffentlich-rechtlichen Experimenten für jüngere Zielgruppen auf Plattformen wie Instagram ganz zu schweigen. Das ist bereits heute von Nachteil, für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Angebots von morgen aber fatal: Es wird an Reichweite in relevanten Zielgruppen sowie an der Lernkurve fehlen, die es für die Entwicklung nicht linearer und plattformbasierter Angebote braucht. Dabei muss gerade ein gebührenfinanziertes Angebot dorthin gehen, wo das Publikum ist. Das erfordert aber sowohl neue Angebote für verschiedene Plattformen als auch mehr Bewegungsfreiheit für öffentlich-rechtliche Anbieter im Netz. Das gesetzliche Verbot von ORF-YouTube-Kanälen kann nur wollen, wer auf absehbare Zeit keine relevanten öffentlich-rechtlichen Angebote mehr haben möchte.

Das Problem ist deshalb nicht, dass der ORF mit öffentlich-rechtlichen Inhalten auch auf kommerziellen Plattformen wie Facebook und YouTube präsent ist. Am Küniglberg dürfte man sich dessen auch bewusst sein. So wird zwar das Facebook-Angebot von orf.at lautstark eingestellt, das Facebook-Angebot der „Zeit im Bild“ mit über 500.000 Fans und, laut Armin Wolf auf Twitter, einer täglichen Reichweite von rund einer Million Menschen soll wie gewohnt weiterlaufen. Diesen Umstand in der öffentlichen Erklärung zum Facebook-Rückzug von orf.at mit keinem Wort zu erwähnen, macht diesen endgültig zum PR-Stunt.

Dabei hätte der ORF tatsächlich auch in seinem eigenen Einflussbereich Möglichkeiten, der Dominanz kommerzieller Plattformen entgegenzuwirken. Dazu müssten zum Beispiel ORF-Inhalte so veröffentlicht werden, dass sie auch von freien Rundfunkprojekten und offenen Plattformen wie Wikipedia genutzt werden können. Bestehende gemeinnützige Plattformen zu stärken wäre der logische erste Schritt, wenn man sich kommerziellen Giganten wie Facebook oder YouTube und deren Algorithmen nicht völlig ausliefern möchte.

Gerade die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia wäre hier ein besonders attraktiver Partner. Wikipedia ist nicht nur die einzige gemeinnützige unter den meistbesuchten Webseiten der Welt, sie ist auch besonders bei jungen Zielgruppen beliebt, mit denen sich der ORF schwertut. Hinzu kommt, dass Wikipedia vor allem Textinhalte liefert. Videos von ORF-Eigenproduktionen sind hier die perfekte Ergänzung. Voraussetzung für eine Kooperation mit der Wikipedia-Community ist, dass der ORF Inhalte unter offenen, Wikipedia-kompatiblen Lizenzen bereitstellt. Diese könnten dann von Wikipedia, aber auch von anderen freien und kommerziellen Medien genutzt werden. Ein solcher Ansatz würde dem öffentlich-rechtlichen Gedanken im Internet entsprechen und einen nachhaltigen Beitrag zur Stärkung des offenen Webs leisten.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor

Leonhard Dobusch (*1980), Betriebswirt und Jurist, ist Universitätsprofessor für Organisation an der Universität Innsbruck, u. a. zum Management digitaler Gemeinschaften und organisationaler Offenheit, Mitglied des ZDF-Fernsehrats für den Bereich Internet und bloggt regelmäßig auf netzpolitik.org 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2019)

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