Wiener Herz, im eigenen Saft

(c) Peter Kufner
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Nach der Vergabe des dritten „Michelin“-Sterns an den deutsch-spanischen Koch Juan Amador begann es in der Wiener Gourmetblase zu brodeln. Weil der falsche Küchenchef ausgezeichnet wurde. Eine wehleidige Debatte.

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So schön hätte es sein können. Endlich hat der französische „Guide Michelin“ vor einer Woche erstmals einem Wiener Küchenchef den dritten Stern verliehen. Doch die Freude wurde getrübt. Denn es war leider der falsche Küchenchef. Die drei Sterne kriegte der Deutschspanier Juan Amador statt des allseits zu Recht geschätzten Heinz Reitbauer. Danach begann es in der Wiener Gourmetblase zu brodeln. Nach dem Motto „The winner takes it all“ wurde Amador zu den drei Sternen auch eine Menge an Missgunst überreicht.

In der Wiener Fressblase – nicht zu verwechseln mit der Schweinsblase, in der in Lyon Geflügel gegart wird – schmoren in einem „Mir san mir“-Sud wechselseitige und oft wechselnde, quasi freundschaftlich gepflogene Allianzen zwischen Journalisten, Köchen und Gastronomen, gewürzt mit einer kräftigen Dosis Neid und Hinterfotzigkeit, und niedrig fliegenden Hacken.

Dass Wiens erster und bislang einziger Dreisternekoch Juan Amador heißt, das verzeiht man ihm nicht. Denn die, sagen wir, 100.000 österreichischen Restaurantkritiker waren zwar alle der Meinung, dass „wir“ längst einen „Dreisterner“ verdient hätten, aber alle dachten, es würde sich dabei selbstredend um das Wiener Ausnahmerestaurant Steirereck am Stadtpark handeln. Jetzt wurden die heimischen Feinschmecker und einige der Freunde und Stammgäste der Familie Reitbauer um ihren Triumph gebracht.

Und was ist die Küche 2019?

Wenn die Wiener Blase derartig empfindlich angestochen wird, pfeift es ordentlich. Schon einen Tag nach der Veröffentlichung der Wiener Sterne-Liste verschafft „Der Standard“ Berufsessern und Amateuren sowie den Herausgebern der Konkurrenzguides „Gault Millau“ und „Falstaff“ eine Bühne. Statt dem neuen Würdenträger anständig zu gratulieren, wird da gleich beides in Zweifel gezogen: Juan Amadors sowie der „Michelin“-Inspektoren Qualifikation. „Eine sehr überkommene Vorstellung von feinem Essen“ ortet Restaurantkritiker Severin Corti. Florian Scheuba, der gutes Kabarett macht, als avancierter Esser aber nur Insidern aufgefallen ist, sieht einen „Offenbarungseid des ,Guide Michelin‘, weil er zeigt, dass er mittlerweile fachlich irrelevant ist.“ Und weiter: „Es zeigt, dass hier eine Küche forciert wird, die nicht 2019 ist.“ Aber was ist 2019? Wolfgang Rosam meint, er hätte sich die höchste Auszeichnung für ein Restaurant mit „österreichisch-authentischer“ Küche gewünscht, gratuliert aber immerhin. Wobei zu sagen ist, dass österreichische, in dem Fall Wiener Küche, auch im Steirereck am Stadtpark nur in Spurenelementen und als Zitat vorkommt. Heinz Reitbauer hätte sonst nie das unbestreitbare Spitzenniveau erklimmen können, auf dem er und sein Team arbeiten. Gault-Millau-Chefin Martina Hohenlohe kritisiert den „Michelin“ für den „internationalen Stil“, den dieser in den Küchen suche, „etwas, das Sie genauso in Paris essen können“. Die mit drei Sternen ausgezeichneten Sushibars in Tokio legen nahe, dass es da auch noch etwas anderes als internationalen Stil geben muss.

Der neue Drei-Sterne-Koch Juan Amador feiert seinen Erfolg mit seinem Team im Lokal eines Bekannten. Kollegen aus Wien haben sich den Feiernden kaum angeschlossen, auch hielten sich ihre Glückwünsche in Grenzen. Dafür las man in den sozialen Medien von vielen Gratulanten aus dem Ausland, allen voran von Eckart Witzigmann, der einst ein Österreicher in Deutschland war und dort von der Kollegenschaft und den Kritikern sofort als Teil der Ihren aufgenommen wurde, ebenso wie der Südtiroler Heinz Winkler.

Severin Corti legte dann noch einmal kräftig nach. In seinem Kommentar „Drei Sterne, die nicht funkeln“ unterstellt er Amador einen „auf teilweise jahrzehntealte Signature Dishes fokussierten Küchenstil aus importierten Luxusprodukten“. Er vergisst dabei, dass auch ein großer Teil anderer mit Topwertungen im „Michelin“ bedachten Küchenchefs mit „importierten Luxusprodukten“ arbeitet oder das mit zwei Sternen ausgezeichnete Ikarus in Salzburg nicht nur Zutaten, sondern gleich ganze Küchenkonzepte eins zu eins importiert, eine nach Corti „überkommene Vorstellung von feinem Essen“. Am Ende seines Kommentars nimmt er sich noch einmal den „Michelin“ vor und stellt fest, dass dieser „abgehoben von lokalen Küchentraditionen“ benote. Österreichs Köche mögen sich den ersehnten Markteintritt des roten Guide bitte noch einmal überlegen, empfiehlt Corti. Be careful what you wish for. Denn, schreibt Corti ein paar Tage später, die Drei-Sterne-Restaurants seien geprägt von „Pomp, bonzenhafter Maßlosigkeit und beliebiger Luxusgier“.

Für alle, die weghören, wenn es um die Belange der gehobenen Gastronomie geht: Dem französischen Guide mit dem Reifengummimännchen ist die heimische Restaurantlandschaft zurzeit keinen eigenen Guide wert, solang die heimische Politik nicht ins Portemonnaie greift und für fünf Jahre garantiert eine Subvention herausrückt, die je nach Quelle zwischen 600.000 und 900.000 Euro jährlich beträgt. In Österreich werden also nur die Städte Wien und Salzburg besucht und bewertet, die dann jedes Jahr im März im Guide „Cities of Europe“ erscheinen. Das kulinarisch teilweise sehr attraktive Umfeld dieser Städte wird leider außen vor gelassen. Der Rest des Landes ebenfalls überhaupt nicht abgebildet.

Manch einer hat eigene Agenda

Die Produktionskosten des „Guide Michelin“ sind im Vergleich beträchtlich. Denn die Inspektoren sind angestellt, so müssen neben den Reise- und Restaurantspesen auch Gehälter bezahlt werden. Während die als Freelancer arbeitenden Tester etwa des „Gault Millau“ sich mit einem Pauschalbetrag bis zu 150 Euro pro Restauranttest zufrieden geben, der Spesenersatz und Honorar in einem ist.

Manche Kommentatoren der Geschehnisse verfolgen womöglich eine eigene Agenda. Weder „Falstaff“-Herausgeber Rosam noch „Gault Millau“-Chefin Hohenlohe können ernsthaftes Interesse an einem Markteintritt des französischen „Guide Michelin“ haben. „Standard“-Gourmetkritiker Corti gibt einen Restaurantführer für Slow Food heraus, ist im übrigen beruflich sehr dem „Falstaff“ verbunden. Während Florian Scheuba wiederum zu den wichtigsten Mitarbeitern und Ezzesgebern des „Gault Millau“ zählt.

The loser is standing small. Verloren hat die Wiener Feinschmecker-Bubble, die sich ihr Drei-Sterne-Restaurant nicht selbst aussuchen durfte und der der Anstand fehlte, dem Klassenbesten einfach zu gratulieren. Immerhin veröffentlichte Sebastian Kurz ein kleines Video, in dem er Juan Amador Respekt erwies. Eine Sensation in diesem Land, in dem Politiker fast ausnahmslos jeden Kontakt mit der Spitzengastronomie meiden.

Als wäre es eine Sünde, für ein Essen mehr als das Nötigste auszugeben. Heinz und Birgit Reitbauer, deren Steirereck seit Jahren in der internationalen Oberliga mitspielt, haben eine derartige Form und Phalanx der Verteidigung ganz sicher nicht bestellt, aber – wohl auch zu ihrem eigenen Leidwesen – dennoch serviert bekommen.

Zum Autor

Alexander Rabl ist Chefredakteur des deutschen Weinmagazins „Schluck“ und freier Autor für „Der Feinschmecker“, „À la Carte“, „Welt am Sonntag“. Er begann seine berufliche Laufbahn als Texter und Kreativdirektor und schrieb nebenbei mehr als zwei Jahrzehnte lang Restaurantkritiken für einen heimischen Gourmetführer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2019)

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