Warum Türken Erdoğan wählen

(c) Peter Kufner
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Türkische Kommunalwahlen I. Der Versuch, aus der Perspektive eines Europäers die Beweggründe der türkischen Wähler darzulegen.

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Vor einer Woche ging in der Türkei ein hitziger Wahlkampf zu Ende, der für Kommunalwahlen ungewöhnlich stark polarisierte. In üblicher Manier stilisierte die türkische Politik auch diese Wahlen zu einem Überlebenskampf für die gesamte Nation. Trotz schwerer Rückschläge ging Präsident Recep Tayyip Erdoğan als deutlicher Sieger aus dieser Wahl hervor. Was sind die Gründe für seinen Erfolg? Dies ist der Versuch, aus der Perspektive eines Europäers die Beweggründe der Wählerinnen trotz kultureller Unterschiede darzulegen:

Die Angst vor der alten Türkei: Die Türkei vor Erdoğan war weder Platons Politeia noch eine andere utopische Staatsform. Im Gegenteil, eine weißtürkische elitäre Schicht regierte durch die eiserne Hand des kemalistischen Militärs. Die Demokratie hörte dort auf, wo das Militär seine Interessen in Gefahr vermutete. So geschehen in drei Putschen: 1960, 1980 und 1997. Systematische Diskriminierungen durch Maulkorbparagrafen spannten die türkisch-muslimische Gesellschaft unter das Joch. Eine jakobinische Aufklärung, in der man den freien Geist der Aufklärung stets mit dem Zwang der Bürger zur westlichen Kleidung verwechselte, staute großen Frust in der Bevölkerung auf (siehe Hutgesetz 1925). Die Zustände waren vergleichbar mit jenen im heutigen Ägypten, wo eine Mehrheit durch eine militärische Minderheit konsequent unterjocht wird.

Die Weltmacht Türkei: Das vervierfachte Bruttoinlandsprodukt sowie Megaprojekte bildeten die ökonomischen Indikatoren einer aufsteigenden Weltmacht unter Erdoğan. Die Tatsache, dass er in vielen Teilen der Welt Gesprächs- und Angstthema Nummer eins war, bestätigte patriotische Prophezeiungen einer osmanischen Renaissance. Auf der Kehrseite verbreitet sich allmählich ein Unmut unter den Wählern gegen den chronisch rauen Ton Erdoğans gegen vermeintliche Feinde der Muslime. Der Preis, den die Türkei für diese präpotente Diplomatie zahlen musste, war in den vergangenen Jahren unverhältnismäßig hoch.

Hoffnung der islamischen Welt: Erdoğan hat sich mutig von den Fesseln des repressiven Militärs befreit und löste sich aus dem Bann der Weltmächte. Endlich forderte ein Politiker türkische Interessen wortgewandt ein. Sehr früh nannte man Erdoğan einen „Weltpolitiker“ und exzessive Angriffe aus Europa schienen diesen Titel zu untermauern. Der „Westen“ war im Lauf der Zeit zu einem nützlichen Feindbild ausgeartet. Eine starke Person, die der Welt die Stirn bietet, stellt die Zäsur, worauf die muslimische Welt lang gepocht hat. Erdoğans größte Stärke war stets, dass er die Sprache dieser „leisen Mehrheiten“ am besten beherrschte, in Wort und Emotion.

Die fehlende Opposition: Eine wählbare Alternative zu Erdoğans AKP gibt es für viele Türken nicht. Die Opposition führt die republikanische Volkspartei an, eine „linke Partei“, die man selbst in Österreich als eindeutig rechts einstufen würde. Gefolgt von der IYI-Partei, die lediglich im patriotischen Teich der MHP fischt, von der sie sich zuvor abgespalten hat. Sowie der „prokurdischen“ HDP, die sich einfach nicht von der PKK emanzipieren konnte und somit eine große Chance für die türkische Linke verspielt hat. Die laufenden Krisen, ob selbst- oder fremdverschuldet scheint Erdoğan nun seit Jahren konsequent im Alleingang zu lösen. Wem könnte man diese Verantwortung sonst übertragen, als Erdoğan? Schließlich geht es um das Fortbestehen der Nation! Oder etwa nicht?

Hakan Gördü ist Gründer einer neuer Liste für die Wiener Gemeinderatswahl. Er war Vize-Vorsitzender des AKP-nahen Vereins UETD.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2019)

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