Wir müssen reden – und zwar miteinander

(c) Peter Kufner
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Religionsfreiheit in Gefahr. Überall geraten mehr und mehr jüdische, christliche und muslimische Gläubige ins Fadenkreuz von Extremisten.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Am 15. März 2019 dringt im neuseeländischen Christchurch ein Fanatiker in zwei Moscheen ein und schießt auf die sich zum Freitagsgebet Versammelten: Über 100 Muslime werden von seinen Kugeln getroffen, 50 von ihnen sterben.

Am Ostersonntag 2019, dem höchsten christlichen Feiertag, sprengen sich auf Sri Lanka in mehreren Kirchen Selbstmordattentäter in die Luft und reißen fast 300 Christen mit in den Tod.
Eine Woche später, am letzten Tag des Pessachfestes, dringt ein 19-Jähriger in eine Synagoge in Kalifornien ein und feuert wahllos auf die dort versammelten Juden. Eine Frau stirbt, zahlreiche andere werden verletzt.

Das sind nur drei der schrecklichen Ereignisse des vergangenen Monats. Sie sind exemplarisch für viele andere. Überall auf der Welt – wirklich überall! – geraten mehr und mehr jüdische, christliche und muslimische Gläubige ins Fadenkreuz von Extremisten.

Gern wird den Religionen pauschal unterstellt, ihnen sei ein gewisser Hang zur Gewalt immanent. Religiosität steht für viele, gerade in unserer säkularen westlichen Welt, gerade zu als Chiffre für Konfliktbereitschaft, Fanatismus und Abgrenzung, und auch als Quelle von Gewalt.

Doch wer so denkt, macht es sich viel zu einfach. Die allermeisten Christen, Juden und Muslime in der ganzen Welt sehen auch Gewalttaten gegen Andersgläubige als das, was sie sind: abscheuliche Verbrechen, die mit den Werten ihrer Religion ausnahmslos unvereinbar sind.

Wenn man genauer hinsieht, fällt auch auf: Die meisten dieser Anschläge wurden gar nicht von religiösen Menschen begangen. Hinter ihnen steckte auch keine radikale Theologie. Vielmehr sind fast alle diese Täter Extremisten, Nationalisten und säkulare Sektierer, die entweder Religion als Ganzes ablehnen oder eine bestimmte Religion missbrauchen, um – nicht aus religiösem, sondern aus politischem Interesse – Menschen einer anderen Religion zu bekämpfen.

Wir befinden uns heute aber nicht in einem neuen Zeitalter von Religionskriegen, auch wenn das von manchen Kreisen so behauptet wird. Dennoch müssen wir uns alle ernsthaft die Frage stellen, wo dieser Fanatismus herkommt und wie man verhindern kann, dass Religionen politisch und gesellschaftlich missbraucht werden.

Niemand kann bestreiten, dass es Fanatiker, Hetzer und gewaltbereite Extremisten gibt, die sich den Mantel des Glaubens umwerfen, um zur Gewalt aufzuwiegeln. Sie sind zwar unter den Milliarden von Gläubigen weltweit eine kleine Minderheit, richten aber großen Schaden an, denn sie dominieren die Schlagzeilen in den Medien und bestimmen so die Wahrnehmung vieler Menschen von Religion.

Dennoch kann man nicht oft genug betonen: Die allermeisten Konflikte in der Welt sind und waren schon immer politischer Natur, nicht religiöser. Es geht um irdische Macht und Einfluss. Gewalt gegen Andersgläubige oder gar Mord sind weder mit den Werten des Judentums oder Islam noch mit der Theologie des Christentums vereinbar. Die Gewalt, die wir erleben, ist nicht von Gott gewollt. Sie ist von Menschen gemacht.

Auch bei den Kreuzzügen, dem Dreißigjährigen Krieg und dem Nordirland-Konflikt ging es nicht um religiöse, sondern ausschließlich um weltliche Interessen, die sich missbräuchlich der christlichen Religion als identitätsstiftendes Instrument bedienten, um populäre Unterstützung zu mobilisieren. Wer jedoch mit dem Finger auf Religionen zeigt, um das Grundübel von Hass und Gewalt in der Welt zu benennen, zeigt auf die Falschen. Milliarden von Menschen gehören den drei abrahamitischen Religionen an. Sind sie deswegen gewaltbereiter als andere?

Die jüngere Geschichte hat gezeigt: Wer Religion als ein Übel bekämpft und die Religionsfreiheit einschränkt, stiftet nicht Frieden, sondern nur neues Unheil. Man kann gewaltbereiten Fanatikern nicht dadurch das Wasser abgraben, dass man sich ihrem Schwarz-Weiß-Denken anschließt, dass man mit gleicher Münze zurückzahlt. Es wird Zeit, dass jedem bewusst ist: Wer die Gotteshäuser einer anderen Glaubensgemeinschaft angreift, greift uns alle an. Wer auf Betende schießt, ist kein Märtyrer, sondern ein Verbrecher.

Religiöse und spirituelle Ausrichtung im Leben kann niemals Rechtfertigungsgrund für Hass auf Andersdenkende sein. Das ist ein Widerspruch in sich selbst. Dies gilt sowohl für die monotheistischen Religionen des Judentums, des Islam und des Christentums als auch für den Buddhismus und die verschiedenen Formen des Hinduismus. Es wäre wichtig, dass dies immer wieder zum Ausdruck gebracht wird – nicht nur von religiösen Führern, sondern auch von Politikern und Medien.

Als Verantwortliche in unseren Religionsgemeinschaften sind auch wir gefordert. Wir können Bigotterie und Extremismus in der Gesellschaft nur besiegen, wenn alle ihre Scheuklappen ablegen und zusammenarbeiten.

Das Thema Religion ist bereits auf der politischen Agenda, allerdings in sehr negativer, verzerrter Weise. Angesichts der schlimmen Angriffe auf Moscheen, Kirchen und Synagogen muss es endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wenn Religionen pauschal zum Sündenbock gemacht werden, beschleunigt das die Spirale der Gewalt nur.

Reden allein wird nicht reichen

Es gibt nur einen Ausweg aus diesem Schlamassel: Wir müssen reden. Miteinander, und nicht übereinander. Gerade in Österreich sind die Voraussetzungen dafür gut. Der interreligiöse Dialog funktioniert hier fast überall vorbildlich. Wir müssen auch mit der Politik reden, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene, denn: Die Religionsfreiheit ist in Gefahr. Gerade in Wien gibt es zahlreiche Organisationen, die es sich auf die Fahne geschrieben haben, Dialog und Toleranz zu fördern. Als Vertreter der österreichischen Religionsgemeinschaften freuen wir uns darüber.

Reden allein wird aber nicht reichen. Dialog und Worte der Solidarität sind sehr wichtig, aber es braucht auch Taten. Ein positives Beispiel und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist da das Projekt MuslimInnen gegen Antisemitismus, das von der Muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ) initiiert wurde. Auch der Hass, den man im Internet und in den sozialen Netzwerken findet und der viele der Attentäter zu ihren Taten angestachelt hat, muss bekämpft werden. Das wäre der wichtigste Beitrag zur Verhinderung der Radikalisierung von jungen Menschen. Entgegen landläufiger Meinung findet sie nämlich nicht in Gotteshäusern statt, sondern oft vor Computerbildschirmen.

Ein zweiter, wichtiger Punkt: Alle Menschen haben ein Anrecht auf Sicherheit und körperliche Unversehrtheit. Daraus folgt: Unsere Gotteshäuser und die Menschen, die sich in ihnen zum Gebet versammeln, müssen sicher sein. Das ist heute aber leider nicht mehr selbstverständlich.

Die Weltreligionen sind dem Frieden verpflichtet. Ihre Angehörigen dürfen nicht länger ungerechtfertigterweise stigmatisiert werden.

Die Autoren

Ramazan Demir (* 1986 in Ludwigshafen als Sohn türkischer Einwanderer) lebt seit 2006 in Wien, ist Imam und Initiator der Imame-Deklaration gegen Extremismus in Österreich.

Schlomo Hofmeister (* 1975 in München) ist seit 2008 einer der beiden Gemeinderabbiner in Wien und Vorstandsmitglied der Europäischen Rabbinerkonferenz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2019)

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