Jetzt entsteht etwas Neues. Das stimmt optimistisch, die letzten Tage haben gezeigt, wie stark unsere Demokratie ist.
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Aufgeregtheit allerorten in den letzten Tagen: Ibiza-Video, Rücktritte, Übergangsregierungen. Und dann auch noch den Kanzler abwählen: „Ja, dürfen's denn das?", fragt frei nach Kaiser Ferdinand der gelernte Österreicher. Dabei wäre etwas mehr Gelassenheit angebracht, denn der Vorgang ist ganz normal und in der Verfassung vorgesehen. Von Instabilität weit und breit keine Spur, ganz im Gegenteil. Die neue Kanzlerin wird uns in ruhigere politische Fahrwasser führen. Im Ausland sah man das denn auch fern unserer Erregung deutlich gelassener. Der Deutschlandfunk sprach gar von einer „Sternstunde der Demokratie" und begrüßte die Abwahl des Kanzlers: „Die Parteien leben noch, und sie bieten einem kaltschnäuzigen Macht-Arithmetiker die Stirn."
Warum sollten Oppositionsparteien eine ÖVP-Alleinregierung unterstützen, deren Chef die Krise schon vom ersten Tag an für einen Wahlkampfauftritt missbrauchte? Der keine Sekunde daran dachte, andere Parteien in die Bildung seiner Minderheitsregierung einzubinden oder auch nur mit ihnen zu reden?
Die Bewertung der eineinhalb Jahre Türkis-Blau fällt naturgemäß sehr unterschiedlich aus. An Fakten aber führt kein Weg vorbei: Kurz ignorierte das Volksbegehren für mehr Nichtraucherschutz mit fast 900.000 Unterschriften. Das Volk entscheidet? Offensichtlich nur dann, wenn's grad passt. Auch Gesetze scheinen den jungen Altkanzler wenig zu stören. Bei der Nationalratswahl hat die ÖVP fast doppelt so viel ausgegeben wie erlaubt. Die viel zu geringe Strafe wurde aus der Portokasse bezahlt. Und nach wie vor will die ÖVP die Einhaltung des Limits bei den kommenden Wahlen nicht garantieren. Vertrauensbildend ist das nicht.
Kurz hat seine Verachtung für das Parlament am Tag seiner Abwahl erneut gezeigt. Statt zuzuhören spielte er mit seinem Handy und vergaß sogar die Beantwortung der Dringlichen Anfrage. Als er die nachholte, war das demokratiepolitisch verstörend: „Heute hat das Parlament bestimmt. Aber am Ende entscheidet in Österreich immer noch das Volk." Das Volk gegen das vom Volk gewählte Parlament auszuspielen, gehört zum Handwerkszeug von Rechtspopulisten. Kurz hat viel von der FPÖ gelernt.
Es ist spürbar, dass das Nachkriegsmodell der großkoalitionären Konsensdemokratie in den letzten Zügen liegt. Das Parlament war in Österreich nie wirklich stark, in den letzten 17 Monaten aber war es nur noch eine Abstimmungsmaschinerie, mit der die Regierung Gesetze durchpeitschte. Das hat unserem politischen System schon zu Zeiten rot-schwarzer Eintracht nicht gutgetan.
Das alte Modell war lange Zeit erfolgreich, aber auch geprägt von undurchsichtigen Deals in den Hinterzimmern von Bünden und Kammern. Jetzt entsteht etwas Neues. Das stimmt optimistisch, denn die letzten Tage haben gezeigt, wie stark unsere Demokratie ist. Sie erneuert sich, der Parlamentarismus hat ein deutliches Lebenszeichen von sich gegeben. Das Parlament ist übrigens eine Erfahrung, die dem Ex-Kanzler fehlt: Er war nie Mitglied des Nationalrats und verweigert nun erneut diese möglicherweise heilsame Erfahrung.
Bei der Angelobung der Interimsregierung hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen gemeint, die Situation zeige, „wie wichtig Gespräche sind". Ohne den Namen des Altkanzlers zu nennen, hat er hinzugefügt, es „reicht eben in einer Demokratie nicht, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie braucht. Das rächt sich dann."
Der eingangs zitierte Kaiser Ferdinand hat freiwillig abgedankt. Sebastian Kurz nicht. Aber heute gibt's ein Parlament, das nachhelfen konnte.
Harald Walser (*1953) ist Historiker und war von 2008 bis 2017 Nationalratsabgeordneter der Grünen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2019)