Soll diese Übergangsregierung sein?

(c) Peter Kufner
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Verfassung. Die parlamentarische Demokratie bildet sich in einer Übergangsregierung wie unserer aktuellen nicht ab. Sie sollte auf keinen Fall auf Dauer regieren. Eine unaufgeregte Analyse der aktuellen politischen Ereignisse, frei nach Kelsen.

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„Dadurch, dass etwas ist, kann noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, dass es auch sein soll.“Hans Kelsen, Begründer der österreichischen Bundesverfassung


Zunächst ist klarzustellen, dass die Verantwortlichkeiten im Fall Ibiza bereits nach wenigen Stunden den zuständigen Gerichten, den zuständigen Behörden und nicht zuletzt der österreichischen Bundesverfassung – ganz nach den demokratischen und gewaltenteilenden Grundprinzipien – zugewiesen wurden: Sowohl unser Bundespräsident als auch unser vormaliger Bundeskanzler Kurz haben getreu der Bundesverfassung gehandelt und sich bemüht, die Reputation Österreichs im In- und Ausland wiederherzustellen.

Die Österreicher hätten sich nach dem Motto „Wir hören nicht zum ersten Mal von Korruption, da wären ja noch das Wiener Krankenhaus Nord, die Veruntreuungsprozesse des SPÖ-Bürgermeisters in Salzburg und, und, und“ ihrem Alltag zugewandt, wäre da nicht den klaren Verlierern der Europa-Wahl, nämlich der Liste Jetzt und der SPÖ – diese wiederum Hand in Hand mit der FPÖ – die kühne und fantasievolle Idee gekommen, unser Land mit einem Misstrauensvotum zunächst nur gegen den nach der Bundesverfassung legitimierten Bundeskanzler, Sebastian Kurz, und in der Folge gleich gegen die gesamte, von unserem Bundespräsidenten ernannte Regierung doch noch zu destabilisieren.

Wir nicken artig!

Jedoch hat unsere Verfassung auch für diesen Fall Vorkehrungen getroffen und unserem Bundespräsidenten quasi den Auftrag erteilt, mit der von ihm ernannten Bundeskanzlerin, Brigitte Bierlein, und mit den von ihr ernannten Bundesministerinnen und Bundesministern die unbedingt erforderlichen „Verwaltungsgeschäfte“ Österreichs, jedoch nur vorübergehend(!), zu besorgen. Werden wir Bürger zur Neuwahl des Nationalrats und damit zur Neuzusammensetzung des „Kräfteverhältnisses“ (Kelsen) im österreichischen Parlament unverzüglich, wie vom Bundespräsidenten versprochen, mit einem gleichzeitig festgelegten Wahltermin für „Anfang September“ und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgerufen, müsste die Frage nach der verfassungsrechtlichen Grundlage und der Ratio aus der österreichischen Bundesverfassung dieser „Übergangsregierung“ nicht gestellt werden.

Würde hingegen von Kanzlerin Bierlein und/oder von unserem Bundespräsidenten der Erfüllung ihrer aus der Bundesverfassung entspringenden Pflicht zur Berufung einer „Übergangsregierung“ eine fast unbegrenzte – in der Bundesverfassung nirgends angeordnete – Ermächtigung zur Beibehaltung dieser Regierung über den unbedingt erforderlichen Zeitraum hinaus, den Begehrlichkeiten der noch im Nationalrat vertretenen politischen Parteien folgend, unterstellt, bereitet dies Sorge. Denn die parlamentarische Demokratie bildet sich in dieser „Übergangsregierung“ nicht ab.

Wir leben in einer Welt, die so komplex ist, dass sich niemand bei dem lauten Gelabere der Initiatoren des Misstrauensantrags gegen die angebliche demokratische Richtigkeit dieses Antrags aufzubegehren traut, weil diese politische Situation für uns neu ist. Wir nicken artig und wiederholen das, was uns alle vorbeten, denn wir sind vernünftig und unterdrücken dabei die immer wieder aufkeimende Frage: Haben wir dem Nationalrat unser Wahlmandat zur Erhebung eines Misstrauensantrags gegen die von unserem von uns direkt gewählten Bundespräsidenten eingesetzte Bundesregierung erteilt? Das führt uns zur Frage, ob diese „Übergangsregierung“ nach Kelsen und der österreichischen Bundesverfassung sein soll, auch wenn sie „ist“?

Neue Kräfte nach der EU-Wahl

Kelsen schien es nötig, dass das Parlament möglichst alle Strömungen der Gesellschaft entsprechend ihrem Kräfteverhältnis widerspiegle. Leitet man das Ergebnis der „EU-Wahl“, bei der überdurchschnittlich viele Österreicher ihre Stimme abgaben, auf die Zusammensetzung des Nationalrats ab, könnten etwa die Mandatare der Jetzt-Partei keinen Misstrauensantrag stellen, weil sie mangels Wählerstimmen nicht mehr im Parlament vertreten wären. Das Kräfteverhältnis der Mandatare der SPÖ wäre jedenfalls zum Vorteil der ÖVP und zum Zugewinn der Neos verschoben. Für die FPÖ kann gesagt werden, dass sie nicht dazugewonnen und ihr „Kräfteverhältnis“ zur Nationalratswahl 2017 zumindest im geringen Ausmaß verringert hat.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentierte auf ihrer Titelseite das Misstrauensvotum des Nationalrats so: „Kurz nahm die Bürger ernst, und diese dankten es ihm. Denn nur einer hat schon früh begriffen, dass es sich nicht mehr so einfach im Schlafwagen regieren lässt, und wurde hierfür bei der Europawahl belohnt. Der österreichische Kanzler, Sebastian Kurz, und seine ÖVP erzielten Gewinne, im Gegensatz zu den oppositionellen Sozialdemokraten und dem einstigen Koalitionspartner, FPÖ. Als Kanzler wurde Kurz zwar durch ein Misstrauensvotum gestürzt; nach den Parlamentswahlen wird er die nächste Regierung bilden.“

Ausschließlich aus diesem Misstrauensantrag, der nach einer hier hypothetisch vorgenommenen Hochrechnung der EU-Wahl wohl so nicht zustande gekommen wäre, leitet die „Übergangsregierung“ ihre verfassungsrechtliche Legitimierung ab.

Gestürzt aus reiner Taktik?

Wir stellen uns jedoch die Frage, ob Kurz ohne parlamentarische Legitimierung, aus rein parteipolitischen Gründen – wofür unsere „schöne, elegante“ (© Bundespräsident Van der Bellen) österreichische Bundesverfassung keinesfalls missbraucht werden darf – „gestürzt“ wurde. Wir fragen uns, lässt sich die „Übergangsregierung“ aus der Begehrlichkeit der Macht von der SPÖ dazu überreden, das von unserem Bundespräsidenten gegebene Wort zu brechen? Prolongiert daher die „Übergangsregierung“ möglicherweise ohne demokratische Legitimierung die Politik der SPÖ „als Geschichte von Gut gegen Böse“ (©JeanAsselborn, Sozialdemokrat, luxemburgischer Außenminister), womit die SPÖ bloß versucht, ihre Tatenlosigkeit zu kaschieren?

Lasst uns ehestmöglich wählen

Im Aufgabenbereich der neuen „Übergangsregierung“ liegt es nun, den vom Bundespräsidenten vorgesehenen Wahltermin „Anfang September“ vorzubereiten und einzuhalten. Die Bundesregierung hat daher „Anfang September“ gegenüber dem Bundespräsidenten ihre Demission zu erklären. Alles Weitere sieht und gibt unsere Bundesverfassung vor; einschließlich der Abhaltung von Nationalratswahlen. Gegenteiliges würde dem demokratischen Grundverständnis in diesem Land einen bleibenden Schaden zufügen! Der Zustimmung des Nationalrats bedarf es nicht, und damit auch nicht der Zustimmung durch die Parteien SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt.

Es stellt sich daher die Frage, weshalb die „Übergangsregierung“ den Bürgern dieses Landes die Verlängerung eines beispiellos unwürdigen Schauspiels im Nationalrat, welches ausschließlich von verantwortungsloser parteipolitischer Taktik getragen ist, nicht auf Grundlage unserer Bundesverfassung erspart?

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin

MMag. Vera Sundström ist Rechtsanwältin und Expertin für Verfassungsrecht in Wien und Initiatorin der Plattform www.pro-gesetz.at. Ihre Kanzlei ist auf Vergaberecht spezialisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2019)

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