Kommt der Kirche die Öffentlichkeit abhanden?

(C) Peter Kufner
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Die christlichen (Frei-)Kirchen machen gerade mit ihrem Segensgebet für den Ex-Kanzler Schlagzeilen, aber für die katholische Kirche wird die Kommunikation über die meinungsbildenden Medien immer schwieriger.

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Die „christlichen Kirchen“ machen Schlagzeilen. Der Kongress „Awakening Europe“, bei dem unter anderem Sebastian Kurz und Kardinal Schönborn zu Gast waren, hinterlässt mit seiner politischen Komponente und Schlagseite einen unangenehmen Beigeschmack von Peinlichkeit und Unangemessenheit. Von den Betroffenen wird versucht, die Veranstaltung und die Teilnahme von Politikern und Kirchenvertretern umzudeuten. Das „Segensgebet“ des Predigers Ben Fitzgerald wirft ein nahezu messianisches Licht auf Sebastian Kurz, seine Weisheit und sein Herz für das Volk Gottes. In einem österreichischen Wahlkampf verschafft eine solche Inszenierung jedoch (noch) keinen nennenswerten Support – aber viel Gegenwind.

Eine einzigartige Bühne bekam hingegen die christlich-fundamentalistische Veranstalterin Godfest Ministries Inc., die mit enormem finanziellen Aufwand und ausgezeichneter Zielgruppenarbeit auf dem Markt der europäischen Spiritualitätsversorger weiter aufholt. Sie bieten alles, was eine breite öffentliche Aufmerksamkeit braucht: schillernde Figuren, fantastische Geschichten (und seien sie noch so weit hergeholt) und ein Megaevent, das die offensichtlich schon erlösten Teilnehmer in charismatischer Verzückung präsentiert.

Zeit der Hirtenbriefe ist vorbei

Für die katholische Kirche hingegen wird hierzulande die Kommunikation über die meinungsbildenden Medien immer schwieriger. Der Rückgang an Kirchenmitgliedern und Gottesdienstbesuchern führt zu einem fortschreitenden Verlust der Deutungshoheit in religiösen, kirchlichen und spirituellen Fragen. Parallel dazu haben die vergangenen Jahrzehnte einen veritablen Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche mit sich gebracht, insbesondere in moralischen, aber auch dogmatischen Belangen. Der säkulare Gegenwind in Fragen der Sexualmoral, die zahllos anmutenden Verbrechen kirchlicher Vertreter an Kindern und Jugendlichen, die Fokussierung auf kirchliche Dogmen, die mit den Fragen unserer Zeit so gar nichts mehr zu tun haben: All das erzeugt Kontroversen, die das Kirchenschiff in eine gefährliche Schieflage gebracht haben.

Die Zeiten, in denen Hirtenbriefe der Bischöfe, verlesen in gut besuchten Sonntagsgottesdiensten, ungehindert und unverfälscht an das Ohr der Gläubigen gelangten, sind längst vorbei. Früher gut funktionierende innerkirchliche Kommunikationskanäle sind zu Trampelpfaden verkommen, über die das, was für eine Glaubensgemeinschaft so wichtig wäre, nicht mehr zu bekommen ist: eine Synchronisation der Gläubigen in kirchlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Der Einfluss, der hier der Kirche entgleitet, geht in erster Linie auf die meinungsbildenden, reichweitenstarken Medien über, deren Vielfalt in Österreich zweifellos über- und deren Macht immer noch unterschätzt wird.

Wichtige Stütze: „Krone“

Dabei ist der Kirche der Weg in die Massenmedien keineswegs verschlossen. So hat sie mit der „Kronen Zeitung“ eine wohlwollende und wichtige Stütze, ohne die das Bild der Kirche um einiges trister aussehen würde. Die wöchentliche Kolumne von Kardinal Schönborn in der Sonntags-„Krone“ kann mit Fug und Recht als wichtiges Element in der Verkündigungstätigkeit der katholischen Kirche bezeichnet werden.

Grundsätzlich zeigen sich zahlreiche Medien durchaus bereit, der Kirche Raum zu geben. Das Problem: Diese Räume sind weitgehend isoliert, der öffentliche Diskurs ist davon kaum betroffen. So finden sich beispielsweise im ORF mehrere – auch durchaus qualitativ hochwertige – Formate, die religiöse und kirchenaffine Themen abarbeiten. In den Printmedien sind es Kolumnen kirchlicher Proponenten, die ohne redaktionelle Beeinflussung quasi als deren Sprachrohr fungieren. Der neu gewählte evangelische Bischof Michael Chalupka meinte erst kürzlich in einem „ZiB 2“-Interview, das Evangelium wäre immer politisch. Der große gesellschaftspolitische Diskurs findet aber weitestgehend ohne Involvierung der Kirche statt.

Ein Problem liegt darin, dass sich kirchliche Sprache und Ausdruck im Moment der öffentlichen Auseinandersetzung häufig nicht mehr bewähren, kirchliche und theologische Debatten sind für den größten Teil der Medienkonsumenten heute völlig unverständlich.

Die „Frames“, also die Deutungsrahmen bestimmter Aussagen und Begrifflichkeiten im kirchlich sozialisierten Umfeld, sind mit den aktuell aktiven Frames in den Medien nicht mehr kompatibel. Nicht nur mit Blick auf Bedeutungsinhalte, sondern auch auf Wertungen. Wenn ein Papst kommuniziert, er würde zu Kritik an seiner Amtsführung schweigen, begeht er aus Sicht der Medienmacher einen kommunikationstechnischen Kapitalfehler. Schweigen – in kirchlich-christlichem Kontext durchaus auch positiv konnotiert und häufig auch als christliche Tugend verstanden – trifft auf Schweigen im politisch-gesellschaftlichen Kontext, wo der Begriff als Synonym für Vertuschung und Verweigerung steht. Das führt zu Misserfolg in der Debatte und damit zu einer zunehmenden Frustration.

Medien sind also ein denkbar schlechter Resonanzkörper für kirchliche Botschaften, solang die Kirche mit einer welt-, weil medienfremden Sprache kommuniziert. So ergibt sich in der Berichterstattung österreichischer Medien ein oftmals geradezu desaströses Bild der Kirche. Die Beschäftigung mit sich selbst und den eigenen Defiziten steht seit Jahren im Vordergrund. Die Kirche ist betroffen von der Berichterstattung, aber längst nicht mehr Gestalterin des Bilds, das von ihr gezeichnet wird. Aus einer Defensivhaltung heraus, die auch Schuldbewusstsein und Verunsicherung signalisiert, lässt sich in Moral- und Wertedebatten kaum noch glaubwürdig Position beziehen.

Desaströses Bild der Kirche

Man mag dagegenhalten, dass in medialer Präsenz und Sichtbarkeit nicht die Aufgabe all dieser Teile der Kirche liege. Doch wie verträgt sich das mit dem Auftrag Jesu, „in alle Welt zu gehen und das Evangelium zu verkünden“? Wie mit dem Anspruch der Christen, als „Salz der Erde“ die Welt mitzugestalten. Denn die Welt heute, das sind in ganz hohem Maß auch die Medien. Sie eröffnen wesentlich und zunehmend den Zugang zur Welt. Und hier zeigt sich eine Kirche, die mit größter Hilflosigkeit zusehen muss, wie eine simplifizierende Berichterstattungsmaschinerie jeden Winkel ihrer Unzulänglichkeit ausleuchtet.

Der reale Beitrag der Kirchen zu einem funktionierenden Gemeinwesen ist immer noch erheblich, unser Gesundheits-, Bildungs-, oder Sozialwesen sind darauf angewiesen. Doch wie die Politik oder große Unternehmen muss auch die Kirche professionelle Kommunikation als Kernprozess ihres Handelns und Wirkens verstehen, sonst verliert sie aus Sicht einer kritischen Öffentlichkeit mit der schwindenden Aufmerksamkeit auch einen Teil ihrer Legitimität. Kirche muss wagen, sich einem Fremdbild zu stellen, das häufig weit von ihrem eigenen Selbstbild abweicht und dessen Beeinflussung sich maßgeblich über Medien vollzieht.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Walter Schwaiger ist Geschäftsführer der Agentur MediaAffairs, die sich auf die Analyse von Medienmärkten spezialisiert hat (www.mediaaffairs.at).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2019)

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