Das waren noch Zeiten paradiesischer akademischer Freiheit!

Damals wurde Karriere kaum geplant, Wissenschaft war Berufung, nicht Beruf, für mich neben der Familie Mittelpunkt und Sinn des Lebens.

Welche Befreiung, als ich nach der Matura in Linz und dem Wehrdienst in Wien im Herbst 1973 endlich mit dem Biologiestudium in Salzburg beginnen durfte. Lehramt, dann Doktorat in Zoologie. Endlich tun können, was mich am meisten interessiert! Die Mittelschule war mir aufgrund langweiliger Lehrer und Inhalte ein Graus. In der siebenten Klasse brachte ich es auf stolze 400 (!) Fehlstunden, 200 davon unentschuldigt. Auch, weil auf meinem Schulweg der Laden eines Aquarienfischgroßimporteurs lag. Dort durfte ich zu Unterrichtszeiten viel arbeiten und lernen; es waren 400 bestens investierte Stunden. Es war eben eine wilde Zeit. Obwohl es in den ersten Jahren jede Menge Vorlesungen und Übungen zu absolvieren gab, war das Studium längst nicht so verschult wie heute.

Bald bildete sich ein Kreis engagierter Studierender in sozialen Kontakten zu manchen Uni-Assistenten; viel Hands-on-Biologie mischte sich mit jeder Menge Party und Bier. Aber wie heißt es so schön: Intelligenz säuft, Dummheit frisst. Jedenfalls überlebten wir auch diese intensive Phase. Bald wurde ich als halbtagstechnischer Assistent für Histologie für meine Leidenschaft auch noch bezahlt. Ich fertigte für die Übungssammlung des Instituts Dünnschnitte von einer Fülle von Geweben quer durch das Tierreich an, darunter Fischköpfe und -hirne. Und als ein lieber Kollege seine Frau zur Entbindung begleitete, bekam er ein Gläschen Fixierflüssigkeit und eine anatomische Schere mit. Seitdem enthält die histologische Sammlung Schnitte durch die menschliche Nabelschnur und Placenta. Nebenbei wurde ich unter Anleitung eines lieben Kollegen zum Experten für Käfer und Wanzen, mit Fischen kannte ich mich ja bereits vor der Uni recht gut aus. Babys und Hunde tauchten im Leben auf und stellten erste Weichen in Richtung Verhaltensbiologie.

Wir hatten beinahe beliebig Zugang zu Elektronenmikroskopen und anderen Großgeräten und ließen dem Forscherdrang freien Lauf – ziemlich unbehelligt von akademischer Betreuung. Das förderte zwar enorm die wissenschaftliche Kreativität, ließ mich aber auch in so manche Irrwege und Sackgassen laufen. Es folgten 1979 die Sponsion, 1981 bereits die Promotion, mit einer Dissertation über Fischhirne, und 1986 die Habilitation. Dazwischen begab ich mich samt Familie – einer verständnisvollen Frau, die als Lehrerin in den ersten Jahren maßgeblich das Haushaltsbudget verdiente, und zwei kleinen Kindern – für zwei Jahre in die USA, erst nach Arizona, dann nach Colorado, um wie wild an der Evolution und den Sinnessystemen von Fischen zu forschen. Dann kam der Anruf aus Wien. Mit 37 Jahren trat ich 1990 als Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle meine erste feste Stelle an. Vorher hatte ich mich um einige Stellen in Salzburg beworben, die ich wohl wegen meiner Ecken und Kanten nicht bekommen hatte. Gut so, denn was zunächst Frust verursachte, entpuppte sich als Katalysator für die weitere Entwicklung.

So war das damals. Karriere wurde kaum geplant, Wissenschaft war Leidenschaft und Berufung, nicht Beruf, war neben der Familie Mittelpunkt und Sinn des Lebens. Der Rest würde sich ergeben; so war es dann auch. Und wie läuft das heute? Dazu ein Augenzeugenbericht in zwei Wochen.

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenschaft & Umwelt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2019)

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