„Mehr Staat, weniger privat“ ist heute wieder salonfähig

Lechts oder rinks – oder wohin eigentlich? Egal. Es geht heute ohnehin weniger um Ideologie als um die Macht der Worte.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Während in Europa die gesamte Nachkriegsgeneration wusste, wo sie weltanschaulich steht – nämlich dort, wo beispielsweise dem Gemeindebau der Vorzug vor dem freien Wohnungsmarkt gegeben wurde –, wird die heutige Generation von Extremisten hofiert und ihre Unzufriedenheit zu Zorn gebündelt. Ein Grund dafür ist die Auflösung und Überschneidung ideologischer Konturen.

Zwischen Rechts- und Linkspopulisten geht es oft kaum um ideologische Unterschiede, sondern vielmehr um Konkurrenz, die dem politischen Willen zur Durchsetzung massentauglicher Ziele gleichsam von selbst entspringt. Beiden Seiten geht es um die „hart arbeitenden, anständigen Menschen“ im Land, worunter nur noch zum geringsten Teil die klassische Kundschaft fällt – ob Proletarier, Gewerkschafter, Kapitalisten oder stockkonservative Abendländer.

Ruf nach Enteignungen

Beide Lager müssen sich ihre Wähler aus der Gemengelage aus Neid, frustriertem Karrierismus, moralischer Empörung, Fremdenangst und der Gier nach Sensationen lukrieren. Die Krise des Westens, der auf seine liberaldemokratische Prägung stolz war, besteht darin, dass einerseits weder der globale Markt noch das digitale Universum eine ihm innewohnende Moral haben; dass andererseits die humanitären Impulse der Aufklärung vor einer außengelenkten Wutbürgerkultur zurückweichen.

Während in den 1990er-Jahren Gerhard Schröder, Tony Blair und Co. mit dem „Dritten Weg“ eine Versöhnung mit der Marktwirtschaft herstellen wollten, driftet vor allem die Sozialdemokratie heute oft an den linken populistischen Rand ab. Und an diesem Rand (vor allem der Jugendorganisationen) sind Sozialismus und Kommunismus keine Schimpfworte mehr, wie etwa Forderungen nach Enteignungen von Immobilienfirmen in Deutschland zeigten. Das ist natürlich verständlich, wenn man 1500 Euro brutto verdient und nicht weiß, wie es weitergeht, die Mieten ständig steigen und man in sozialen Medien sieht, wie andere „perfekt“ leben. Doch sind Enteignungen wirklich der Weisheit letzter Schluss?

Keine harmlosen Placebos

Anders ist auch die Lust am Kommunismus und Nationalismus nicht zu erklären, die im Unterschied zu Homöopathie aber keine harmlosen Placebos sind. „Mehr Staat, weniger privat“ ist wieder salonfähig geworden.

Da das aber auch viel kostet, darf der Staat zur Deckung seiner Ausgaben ungehemmt bei der Notenbank anklopfen. Hyperinflation ist eine der Folgen davon – und taugt als Beispiel, um Geschichtsverdrängung als Konstante in den Nostalgiebeschwörungen der linken und rechten Seite erkennen zu können.

Vor allem junge Menschen hängen Teilen derartiger Utopien an, sie schwenken rote Fahnen mit Konterfeis von Che Guevara. Sie streben zwar keine neue Sowjetunion an, es dürfte ihnen vielmehr um Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität gehen. Und wer will schon gegen diesen Dreiklang sein? Der Sozialismus ist wie ein modisches Accessoire.

Woher das viele Geld kommen soll, das im Namen der Gerechtigkeit ausgegeben werden soll, ist allenfalls eine lästige Randfrage. Mit derlei Details will man sich das gute Gefühl, auf der Seite der Gerechten zu stehen, nicht verderben lassen. Das Abstrakte genügt. Genauso versucht man auf der rechten Seite, mit höheren Zäunen an den Grenzen und der Verunglimpfung klassischer Medien wieder mehr Homogenität herzustellen.

Internationales, langfristiges Engagement, um die Ursachen der Wanderbewegungen aus der Dritten Welt zu beseitigen, wäre zwar zielführender als die Symptombekämpfung innerhalb der eigenen vier Wände/Grenzen. Doch Freiheit schafft immer auch Freiheit zur Abschaffung von Freiheit. Sollte man nun diejenigen aus dem politischen Prozess ausschließen, die die Freiheit, Toleranz und sogar die Demokratie ablehnen?

Wer diese Konsequenz als zwingend notwendig erachtet, sollte sich auch im Klaren sein, dass man sich dadurch der Mittel der Gegner bedient. Auch Freiheitsfeinde müssen Freiheiten genießen können – außer sie nutzen Freiheiten, die das Ende der Freiheit herbeiführen. Die Unterscheidung, wer zu welcher Kategorie gehört, ist freilich nicht einfach, die Übergänge sind oft fließend.

Wir alle sind nicht komplett frei von Ideologie, ebenso wie Schulen und Universitäten nie völlig neutral sein können. Aber der Wille zur Ausgewogenheit sollte zumindest ersichtlich sein.

Isolierung radikaler Ränder

Demokratien mit einer selbstverständlichen Oppositionskultur können mit der Zeit durchaus durch ständige Konsenssuche Probleme bekommen. Denn das permanente Streben nach Konsens kann das politische Interesse erlahmen lassen und radikalere Lösungen attraktiver machen.

Die positive Bindung an ein Gemeinwesen ist essenziell für das gesellschaftliche Engagement. Denn wenn man sich nicht zugehörig fühlt, kann man sich nicht für das Gemeinwohl einsetzten. Das Wissen um Demokratie, ihre Grundprobleme und Fragilität, die Dimension der politischen Beteiligung muss zumindest jungen Menschen nähergebracht werden. Integration und Toleranz sind wesentlich, um das Funktionieren einer Demokratie zu gewährleisten und die radikalen Ränder zu isolieren.

DER AUTOR

Dr. Wolfgang Glass promovierte in Politikwissenschaft an der Uni Wien, mit Schwerpunkt EU und Medienkompetenz. In seiner Dissertation analysierte er die Berichterstattung zur Europawahl 2009 in einigen österreichischen Tageszeitungen. Beruflich ist er in EU-kofinanzierten Projekten und derzeit im Personalbereich tätig.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.